Kapitel 26

10 4 0
                                    

„Schatz!", rief Julia, eingehüllt in einen Morgenmantel, als sie das Licht im Zimmer ihres Sohnes anknipste.

„Mama?", stammelte Sidney im Halbschlaf, eingewickelt in seiner Bettdecke.

„Dein Vater ist aufgebracht!", sagte Julia und fuchtelte ängstlich mit den Händen herum. „Veronica steht unten und schreit wie verrückt deinen Namen. Sie weckt die ganzen Nachbarn auf. Dein Vater wird uns umbringen, wenn wir den Titel der besten Familie in Uspiam nicht bekommen. Du musst jetzt sofort hinuntergehen und ihr sagen, dass sie still sein soll."

Als seine Mutter zu Ende gesprochen hatte, war Sidney hellwach und hatte mehrere Schreie von Veronica gehört.

„Ich geh schon, Mama, entschuldige", sagte er und schlurfte mit hängendem Kopf durch die Tür.

Er ging durch den Korridor mit den vielen Fenstern, zum Wohnzimmer und stieg in den Fahrstuhl. Die eisige Kälte kroch ungehindert in seinen Körper, weil sein Muskelshirt und die Shorts ihn nicht vermochten warmzuhalten. Er drückte den Knopf für die erste Etage, die Türen des Aufzugs schlossen sich und er fuhr hinunter. Er hörte die entspannende klassische Musik und einen Moment später tauchte der Aufzug ab und die Lichter flackerten.

Sidney ging sofort in die Lobby, als er die erste Etage erreicht hatte. Durch die transparente Eingangstür des Gebäudes sah er, wie Veronica mit den Armen winkte und Belmont mit dem Bogen Pfeile verschoss.

Er ging zur Tür und wollte den Türknauf ergreifen, aber die abscheuliche Klaue eines Driders zerbrach die Scheibe und stieß ihn nach drinnen.

„Sidney!", schrie Veronica von draußen.

Der Junge holte Luft, sprang behände auf und sah wieder zur Tür. Ein Drider versperrte ihm den Ausgang.

„Sidney, du musst sofort da raus!"

„Was?", schrie er und wich ein paar Schritte zurück.

Der Drider trat mit einem Bein nach ihm und Sidney wich aus, aber es musste etwas Scharfes an dem Bein gewesen sein und als es seine Haut streifte, hinterließ es an seinem Bauch einen Schnitt.

Er hatte keine andere Wahl und ging wieder zum Fahrstuhl, aber dieser war bereits auf dem Weg in ein anderes Stockwerk. Er drehte sich um und wollte zurück, doch jetzt standen drei Drider hinter ihm. Einer von ihnen warf ein gigantisches Spinnennetz, das sich um seinen Körper schlang und er konnte sich nicht mehr bewegen.

Die drei Drider verließen das Gebäude mit Sidney und gingen hinaus auf die Wiese. Sie stellten sich vor Veronica und Belmont, der nicht aufhörte, Pfeile zu schießen.

„Lasst ihn los!", schrie die Blondine und rannte auf die Drider zu.

Belmont hatte keine andere Wahl und musste den Bogen wegwerfen, um sie stolpern zu lassen, und war unbewaffnet.

„Was machst du da, du Ratte?", rief Veronica wütend und stand auf.

„Bleib ruhig", antwortete Belmont. „Sie werden nicht zögern, deine Brust mit ihren Beinen zu durchstoßen."

Noch mehr von diesen Kreaturen kamen von den Wänden herab und umringten sie.

„Wir wollen alle Edelsteine oder er wird sterben", sagte einer der drei Drider, der Sidney festhielt und ihr Anführer zu sein schien.

„Nein!", schrie Veronica, hob den Bogen auf und reichte ihn Belmont. „Töte diese verdammten Viecher!", befahl sie.

„Sie werden uns drei auslöschen, bevor ich auch nur einen einzigen Pfeil schieße."

„Bekommen wir die Edelsteine nicht", sagte der Anführer, „dann wird er sterben." Er hielt ein Bein an Sidneys Hals.

Sidney beobachtete alles und konnte nichts sagen. Er betrachtete das Bein des Driders vor seinen Augen. Es war voller messerscharfer Haare, bereit, alles in Stücke zu zerfetzen. Sicherlich hatten sie die Wunde an seinem Bauch verursacht, die jetzt wie Feuer brannte.

„Die Hexen haben sich Sidney schon einmal geholt, ich werde nicht zulassen, dass das noch einmal jemand macht", versicherte Veronica. „Wir werden euch die anderen Edelsteine geben. Ich bin eine von ihnen."

„Das wissen wir", sagte der Anführer, „Wir wollen auch den Rubin und den Saphir."

„Wir müssen einen töten, dann werden wir seine Kräfte bekommen", schlug ein Drider vor.

Der Anführer hob ein Bein hoch und wollte damit Sidney enthaupten, der regungslos in dem Spinnennetz feststeckte.

„Nein!", schrie Veronica laut.

Der Boden vibrierte und die Erde unter den drei Monstern sank ein. Als er sah, dass die anderen abgelenkt waren, ergriff Belmont seinen Bogen und schoss treffsicher.

Veronica rannte zu dem Loch, das sich im Boden aufgetan hatte, und warf sich hinein. Es fiel ihr nicht schwer, Sidney in dem Dreck auszumachen.

„Sidney, komm da raus, verdammt noch mal", grummelte sie und versuchte ihren Freund aus dem Spinnennetz zu holen.

Die Drider standen auf. Sidney dachte, das wäre sein Ende, doch anstatt anzugreifen, verschwanden sie schnell aus ihrem Blickfeld.

„Hier, nimm das, vielleicht kannst du ihn damit leichter befreien", sagte Belmont vom Rand des Loches und warf Veronica ein Messer zu.

Das blonde Mädchen brauchte einige Zeit, um Sidney zu befreien und als sie es geschafft hatte, bemerkte sie die blutende Wunde an seinem Bauch.

„Scheiße!", murmelte Veronica. „Tut es weh?"

„Bei den Wassern von Uspiam!", stöhnte Sidney. „Das brennt höllisch", fügte er hinzu und krümmte sich am Boden.

Ragnvald tauchte auf und stieg in das Loch hinab, mit makellosem Aussehen und gefolgt von vier Elfen als Wachen.

„Herzlichen Glückwunsch, meine Dame", sagte er und neigte seinen Kopf.

„Warum?", fragte sie.

„Sie haben endlich geschafft, Ihr Element zu nutzen."

„Ich? Ich habe gar nichts gemacht."

„Natürlich haben Sie das", versicherte Ragnvald. „Sie haben dieses Loch im Boden geöffnet."

„Ich?", rief die Blondine, die noch neben Sidney kauerte, der nicht aufhörte zu jammern.

„Das heißt, du kannst jetzt mit deinem Training beginnen", sagte Belmont und ging auf sie zu.

„Und jetzt müssen nur noch Sie, mein Herr Sidney und meine Dame April ihre Kräfte entfesseln", fügte Ragnvald hinzu.

„Warum hat Konrad noch nicht mit dem Training begonnen?", fragte Veronica. „Er konnte seine Kräfte schon vor einer ganzen Weile kontrollieren."

„Weil ihn nur die Heliopathen trainieren können", antwortete Ragnvald, „und ich fürchte, sie sind nicht aufzufinden."

„Und Sidney?", fragte Veronica eilig.

„Die Feen werden ihn am Treffpunkt kurieren. Der Rettungsdienst der Menschen wird bald hier sein, wir müssen gehen."

Die Edelsteine von UspiamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt