Die Kerkerzelle

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Für einen kurzen Moment berührten sich unsere Lippen. In meinem Inneren explodierten wieder die Glücksgefühle, doch von einem auf den anderen Moment, hatte er sich von mir gelöst und stand auf. Bevor ich aber überhaupt den Verlust seiner Nähe realisieren konnte, zog er mich mit einem Ruck auch auf die Füße. Sichtlich verunsichert strich ich mir mein Kleid zurecht und vermied es ihm in die Augen zu sehen. In meinem Inneren herrschte ein Gefühlschaos und der Schmerz über den plötzlichen Verlust seiner Nähe, brannte sich in mein Herz. Wie gerne hätte ich ihn wieder an mich gezogen, um noch einen weiteren Moment seine Lippen auf den Meinen spüren zu können. „Ich habe mit Heimdall gesprochen.", räumte ich mit einem beinahe schon beiläufigen Unterton ein, als die Stille, die zwischen uns herrschte, mir unerträglich erschien. Ich linste vorsichtig zu Loki hoch und bemerkte, dass dieser jeden meiner Bewegungen ganz genau verfolgte. Ein amüsiertes Lächeln umspielte dabei seine Lippen und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er genau wusste, was sich in meinem Kopf abspielte und wusste, wie sehr ich mir seine Nähe wünschte. Ich errötete leicht. Konnte er eigentlich Gedanken lesen? Ich hatte ihn das nie gefragt, doch dies ihn dies in diesem Moment zu fragen, erschien mir gänzlich als unangebracht. „Ja, das weiß ich.", sagte er schließlich und mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck, trat er auf mich zu. Ich wich nicht zurück. Er stand nun ganz nah vor mir, sodass unsere Oberkörper sich beinahe berührten. Meine Atmung wurde unregelmäßiger und ich starrte nervös auf seinen Brustkorb. Ich wagte es nicht meinen Blick zu heben, was ihn dazu veranlasste, mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und fast schon zärtlich anzuheben, sodass er besser in mein Gesicht schauen konnte. Ich hob meinen Blick und seine Augen begegneten meinen. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten und ich wusste nicht wie ich reagieren oder was ich sagen sollte. „Was hast du ihm gesagt!?", fragte er mich gedehnt. Er legte seinen Kopf leicht schief und musterte mich von oben herab. Seine Haltung wirkte zurückhaltend, doch seine Stimme klang schon fast drohend, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Für einen Moment schwieg ich. Dachte genau über meine Antwort nach und wägte jedes einzelne Wort genaustens ab. Das Gefühlschaos in meinem Inneren erschwerte es mir, einen klaren Gedanken zu fassen, wobei seine Nähe es nicht gerade erleichterte. Schließlich antwortete ich: „Die Wahrheit..." Ich schob, in einer fast schon trotzig wirkenden Geste, mein Kinn vor. Mit einer Handbewegung schob ich seine Hand von meinem Kinn, was er mir komischerweise ohne Weiteres gewährte.  Ich wich nicht vor ihm zurück, aber brachte doch ein wenig Abstand zwischen uns. Seine Nähe ließen alle meine Sinne verrücktspielen und hinderten mich daran einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Außerdem fühlte ich mich nicht in der Position mich vor ihm rechtfertigen zu müssen. Hätte ich nicht gehandelt, wäre er jetzt einen Kopf kürzer und das wortwörtlich... Mein Blick glitt durch die Zelle. Ich war noch nie in einer Zelle eingesperrt gewesen. Selbst in meiner Gefangenschaft bei Loki hatte ich das Recht auf ein gemütliches Zimmer gehabt. Wenn ich so daran zurückdachte, war es ein schönes Zimmer gewesen. Hell, groß und insgesamt sehr einladend. Die Zelle, in der wir uns befanden, war dagegen das genaue Gegenteil. Die Wände und der Boden bestanden aus Stein, wobei ich nach nur wenigen Schritten die gegenüberliegende Wand erreichte. Wie mir einfiel, hatte meine Schwester damals auch nicht das Privileg eines Zimmers gehabt. Sie war im Kerker in Asgards Schloss eingesperrt gewesen, aber auch die Zelle im Schloss hatte bei weitem bessere Vorzüge geboten, als das Loch im Berg, in dem ich und Loki jetzt hockten. Wenn ich darüber nachdachte, wirkte selbst Lokis Zelle bei den Avengers einladend. Allerdings hatte er in dieser Zelle keinerlei Privatsphäre gehabt. Die Wände hatten aus einer Art Glas bestanden, was, wenn man es von außen berührte, sich in Luft auflöste... Ein Mechanismus, denn ich damals unwissend ausgelöst hatte, aber ich bereute dies keineswegs. Ich schenkte Loki einen kleinen Seitenblick. Er stand immer noch an der gleichen Stelle und schien zu überlegen. Auf seiner Stirn war eine Denkfalte und er starrte immer noch auf den Platz, auf dem ich noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte. Ich wandte mich wieder ab und ein leichtes Lächeln glitt über meine Lippen. Nein, ich bereute es keineswegs...
Mein Blick glitt weiter durch die Zelle und meine Aufmerksamkeit blieb an den dicken Eisenstäben hängen, die uns hier drinnen gefangen hielten. Ich seufzte. Es blieb uns wohl nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass Heimdalls Einfluss auf die Männer groß genug war. Ich musste aber gestehen, dass ich mir nicht allzu große Hoffnungen machte. Die anderen Männer mistrauten Loki und schienen ihn über alles zu hassen. Meine offensichtliche Zuneigung zu dem Gott, lies sie auch mir mit Misstrauen gegenüberstehen. Das einzige Licht, was die Zelle erhellte, waren die Fackeln, die außerhalb der Zelle an der Wand hingen. Sonst waren wir hier drinnen von der Außenwelt abgeschnitten. Es war stickig und ich fühlte mich wie eine Labormaus in einem Käfig. Die Worte des Narbengesichts, dass hier unten Ratten geben könnte, hielt ich nun gar nicht mehr für abwegig. Ich schauderte. Ob dies nur an der Vorstellung lag, dass es hier unten Ratten geben könnte oder allein der Gedanke an das Narbengesicht, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beiden. Mein Blick fiel auf ein unförmiges etwas, was am hinteren Ende der Zelle stand. Von der Form her, die ich im Halbdunkel ausmachen konnte, erinnerte es mich stark an eine Bank. Als ich mich darauf zubewegte, griff eine Hand nach meinem Arm und hielt mich zurück. „Was meinst du mit Wahrheit?", fragte mich Loki und ich drehte mich langsam zu ihm um. Loki hatte sich wohl aus seiner Starre gelöst und schaute mich jetzt durchdringend an. Ich zögerte, als ich zu dem Gott hinaufschaute. Wie sollte ich ihm das Gespräch mit Heimdall nur erläutern. Hauptsächlich drehte es sich um ihn. Zu hören, was ich Heimdall erzählt hatte, würde er nicht gutheißen. „Es hat gereicht, um Heimdall zu überzeugen, dass er uns helfen möchte.", informierte ich den Gott kurz und knapp und hoffte, dass dies dem Gott als Erklärung reichen würde. Loki sah mich einen Moment ungläubig an. Dann brach er in ein Gelächter aus und schüttelte dabei heftig seinen Kopf. Überrascht sah ich ihn an. Ich hatte mit fast schon jeder Reaktion gerechnet, aber nicht damit. Was war daran so lustig? Glaubte er etwa nicht, dass ich es schaffen könnte, den Wächter auf unsere Seite zu bringen und sein Vertrauen zu ergattern?
Als er sich wieder beruhigt hatte, sah mich Loki mit einer Mischung aus Unglauben und Faszination an. „Du bist echt unglaublich...", sagte er und schüttelte mit einem Schmunzeln auf den Lippen den Kopf. Ich musterte ihn von oben bis unten. Genau das gleiche hatte auch Heimdall zu mir gesagt...
Er ließ meinen Arm los und lehnte sich mit seiner rechten Schulter gegen die Gitterstäbe. Seine Arme verschränkte er vor der Brust und sah mich musternd mit hochgezogener Augenbraue an. Jetzt war ich es, der schmunzeln musste. „Du wirst es mir nicht glauben, aber du bist heute schon der Zweite, der mir das sagt.", bemerkte ich grinsend und sah wie Lokis Blick sich verfinsterte. „Wie?", fragte er, aber ich zuckte nur mit den Schultern und wandte mich von Loki ab. Ich ging zum hinteren Ende der Zelle, wo sich wirklich eine Bank befand. Mit einem erschöpften Seufzer ließ ich mich nieder und lehnte mich gegen die kalte Steinwand. Er jetzt merkte ich wie der ganze Tag meine Nerven beansprucht hatte und die Strapazen des Tages jetzt ihren Attribut forderten. Unsere Reise durch den Wald hatte gewaltig an meinen Kräften gezerrt und meine Fußsohlen pochten von dem langen Marsch, den ich hauptsächlich ohne Schuhe zurückgelegt hatte. Ich betrachtete meine dreckigen Fußsohlen und zuckte mit den Schultern. Dann sah ich wieder zu Loki, der immer noch gegen die Gitterstäbe der Zelle gelehnt war und zu mir ins Halbdunkel starrte.
Ich gähnte und schloss meine Augen. Ich merkte wie ich langsam in den Schlaf driftete, als sich neben mich eine Person niederließ. Ich zuckte leicht zusammen und öffnete meinen Augen einen Spalt breit. Für einen kurzen Moment begegneten mein und Lokis Blick sich, bis ich wieder meine Augen schloss. Loki legte seinen Arm um mich und ich lehnte mich unbewusst an ihn. Ich begrüßte seine Nähe, die sich wie ein Fels in der Bandung anfüllt, an dem man sich festhalten konnte, bevor die Flut einen mitriss. Ein Schutz vor allem und jeden. Vor allem ein Schutz vor meinen Gedanken. Ich kuschelte mich an ihn und sog seinen Geruch ein. „Und was jetzt?", fragte Loki plötzlich in die Stille hinein. Ich öffnete meine Augen wieder und richtete mich leicht auf und dem Gott in die Augen zu sehen. „Wir warten...", antwortete ich. „Heimdall ist auf unserer Seite. Nur die anderen müssen es noch sein.", fügte ich schlaftrunken hinzu. Loki schaute zu mir herab und schien zu überlegen. Er hatte seine Augenbrauen zusammengezogen, sodass sich eine Falte auf seiner Stirn bildete. Ich gähnte noch einmal. „Heimdall vertraut mir nicht und die anderen auch nicht. Es gibt viele, die wegen verschiedenen Gründen nicht gut auf mich zu sprechen sind... ", bemerkte er an und sprach damit auch die Sorgen aus, die mich plagten. Meine Gedanken drifteten zu dem Narbengesicht und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich lehnte mich wieder an Loki. Auch er schien an das Narbengesicht zu denken. Ich spürte wie er sich anspannte und seine Hände zu Fäusten ballte. Ich kuschelte mich noch enger an ihn, was ihn zu beruhigen schien. Ich versuchte meine Gedanken abzulenken, doch immer tauchte das dreckige Grinsen des Mannes vor meinen Augen auf. „Aber Heimdall vertraut mir. Die anderen werden auf seinen Rat hören...", antwortete ich und versuchte meine ganze Überzeugungskraft in meine Stimme zu legen, doch auch ich klang genauso überzeugt wie ich mich fühlte. Also, gar nicht... Loki schwieg. Es herrschte eine beängstigende Stille zwischen uns. Ich versuchte gegen das Bild in meinem Kopf anzukämpfen, dass sich langsam aber immer deutlicher in meinen Kopf drängte und das ich wahrscheinlich auch nicht mehr so bald aus meinem Gedächtnis verbannen könnte. Ich sah, wie das Narbengesicht hinter Loki stand und ihm ein Messer an die Kehle hielt, während mein zerschundener Körper leblos in einer Lache aus Blut auf dem Boden lag. Ich glaubte sein kehliges Lachen zu hören, als er Loki die Kehle aufschlitze. Ich schloss meine Augen und versuchte die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. Eine einsame Träne bannte sich einen Weg über mein Gesicht und tropfte auf mein Kleid. Langsam blickte ich wieder zu dem Gott hoch. Sein Gesicht war zerfurcht von Sorgenfalten und er starrte die Wand außerhalb der Zelle an. Es war nicht zu leugnen, dass er sich genauso über die Zukunft sorgte wie ich es tat. Unsere Zukunft lag noch im düsteren und ich hoffte verbittert auf ein gutes Ende, doch immer mehr Hindernisse taten sich uns auf, die immer mehr einen Abgrund bildeten, der immer größer und unüberwindbarer schien. „Loki?", fragte ich leise. Meine Stimme klang erschöpft und brüchig. Der Gott schien aus seiner Trance zu erwachen und sah auf mich herab. „Ja?", fragte er mich. „Ich habe Angst...", hauchte ich und weitere Tränen stiegen in mir auf.

I will always hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt