Das Treffen

598 35 0
                                    

Es war kurz nach halb 12 und ich hatte mich immer noch nicht entschieden. In knapp einer halben Stunde sollte ich diese mysteriöse Person treffen. Aufgebracht lief ich im Zimmer auf und ab. Ich wusste, dass die Wachen draußen vor der Tür eingeschlafen waren, das waren sie schon vor Stunden. Außerdem müsste ich nur kurz nach draußen und schauen, wer dort auf mich wartete oder ob überhaupt jemand dort war. Was aber war, wenn mich eine der Wachen dabei erwischte oder sogar Loki? Würden sie mich für meinen Ungehorsam bestrafen? Ich zitterte bei dem Gedanken, aber ich musste dies wohl oder übel in Kauf nehmen. Ich war einfach zu neugierig. Ich schnappte mir aus dem kleinen Schrank einen schwarzen Umhang und pustete die Kerze auf dem Tisch aus. Ich durfte nicht entdeckt werden. Langsam öffnete ich die Tür und tatsächlich schlummerten die Wachen immer noch. Vorsichtig stieg ich über die schlafenden Körper und bewegte mich langsam an der Wand entlang durch die Gänge. Bloß kein Geräusch erzeugen. Innerlich verfluchte ich mich jetzt schon, dass ich keine anderen Schuhe angezogen hatte. Diese Schuhe hatten einen Absatz und klackerten auf dem Parkettboden bei jedem Schritt. Es war schwer sich mit diesen leise zu fort zu bewegen.

Plötzlich hörte ich Stimmen und das Licht von Fackeln erleuchtete den Gang. Ich presste mich so eng wie möglich in einen Spalt in der Wand und betete nicht gesehen zu werden. Mit einer Hand zog ich die Kapuze des schwarzen Umhangs tiefer in mein Gesicht. Die Stimmen wurden lauter. Ich erkannte Loki und neben ihnen her gingen zwei Wachen mit Fackeln. Automatisch presste ich mich weiter in den Spalt und wagte kaum zu Atmen. Loki gab irgendwelche Anweisungen, von denen ich nur ein paar Fetzen verstand:,,... Bereitet alles für einen Angriff vor...." Ich zuckte zusammen als das Licht der Fackeln mich streifte. Sie schienen mich aber nicht zu bemerken und liefen einfach weiter. Kurz darauf waren ihre Schritte wieder verhallt. Ich atmete tief aus. Puh, das war knapp gewesen. Ich wartete noch ein paar Sekunden, ob sie zurück kommen würden. Dann schob ich mich weiter und irgendwann erreichte ich die große Tür zum Garten. Es war nicht schwer gewesen die Richtige zu finden, da ich den Weg heute bereits schon einmal gelaufen war.
Ich öffnete die große Tür einen Spalt breit und schlüpfte nach draußen. So gleich umschloss mich wieder die Kälte, die ich auch schon auf dem Balkon gespürt hatte. Ich zog den Umhang enger um meinen Körper. Langsam lief ich durch den Garten und schaute mich in der Dunkelheit um. Da vorne war der Brunnen. Nur noch ein Meter.
Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf meine Mund und zog mich in ein nahes Dornen Gebüsch. Ich wollte Schreien und wehrte mich verzweifelt, aber eine Stimme raunte mir in mein Ohr:, Psst... Sei Leise, sonst hört er uns noch...",, Wer", flüsterte ich zurück. Wortlos zeigte die Person, die immer noch hinter mir stand in die Ferne. Ich folgte mit meinem Blick seiner Hand und erblickte eine Wache, die komplett in schwarz gekleidet am Brunnen lehnte. Neben ihm hatte er seine Lanze am Brunnen Rand abgelegt. Erschrocken zog ich die Luft ein. Den hatte ich überhaupt nicht gesehen. Nun ließ er mich los und duckte sich im Gebüsch. Ich tat es ihm gleich. Dann betrachtete ich ihn neugierig. Es war wirklich der Mann vom Fenster, der mich beobachtet hatte. Er hatte lange blonde Haare und ebenso blaue Augen wie ich, aber seine waren heller und durchdringender, das erkannte ich sogar im Dunkeln. Er war gut gebaut und schaute mich mit schief gelegten Kopf an.,, Du siehst ihr so ähnlich... ", flüsterte er irgendwann verträumt und traurig. Er streckte sein Hand aus, als wollte er mich berühren, entschied sich dann aber doch anders. Verplüfft sah ich an.,, Wie bitte!? Wen?", fragte ich ebenso leise zurück.,,Deiner Schwester Jane. Du hast die gleichen braunen Haare und die gleiche Nase wie sie.", erklärte er und sah mich lächelnd an, doch ich lächelte nicht. Ich blickte nur den seltsamen Mann an. .,, Woher kennst du sie!?", fragte ich weiter. Misstrauen und Ungläubigkeit lag in meiner Stimme.,,Mein Name ist Thor oder auch Thomas, wie du mich wahrscheinlich eher kennen wirst.", antwortete er. Ich zog scharf die Luft ein. Thomas war der Freund meiner Schwester und sie musste bei ihm sein. Zumindestens nach ihrer Nachricht nach. Ich blickte mich suchend um, aber ich erblickte nicht die mir vertrauten Konturen meiner Schwester in der Dunkelheit. Da vorne stand nur die Wache. Thor packte mich an den Schultern und sah mir ernst in meine Augen.,, Hör mir zu Lucy, deshalb wollte ich dich hier treffen. Ich weiß, was du denkst. Sie muss bei mir sein, aber das ist sie nicht. Wir wollten dieses Jahr zu deinen Eltern und zusammen mit dir Weihnachten feiern, aber sie kam nicht zum Treffpunkt. Also ging ich zu ihr nach Hause und fand alles verwüstet vor. Ich bin nachdem ich sie überall gesucht hatte wieder nach Hause gegangen und da habe ich dich gesehen. Draußen mit meinen Bruder. Ich dachte zuerst, dass du sie seist, aber..." Er stockte und sah mich an. Er hielt mich immer noch an den Schultern fest. Tränen liefen mir in Wasserfällen über die Augen und ich schluchzte. Besorgt sah er sich nach der Wache um, aber sie schien uns nicht gehört zu haben. Dann sah er wieder mich an und zog mich in eine Umarmung.,, Nein... Nein... Nein... Sag, das das ein Scherz war, bitte!!!", flehte und schluchzte ich in seine Schulter. Er fuhr mir beruhigend mit einer Hand über meinen Rücken.
,,Wir finden sie. Ich glaube, dass mein Bruder sie auch wie dich entführt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass Loki sie mitnahm, weil er mir eins auswischen wollte. Du musst wissen, dass wir nicht gerade das beste Verhältnis pflegen... Ich kann mir aber keinen Reim darauf machen, warum er dich auch entführt hat...", sagte er und ich hörte ganz deutlich die Traurigkeit in seiner Stimme. Ich löste mich aus seiner Umarmung und sah ihm in seine Augen. Auch in seinen Augen waren Tränen, wie in meinen.,, Und was sollen wir jetzt tun?", fragte ich besorgt.,, Ich glaube, dass sie ebenfalls hier im Schloss irgendwo ist. Wir müssen sie finden und dann bringe ich euch zu einem sicheren Ort, an dem er euch nicht finden kann...", sprach er und ich wunderte mich, dass seine Stimme fest und sicher klang, während meine zitterte. ,, Ok...", flüsterte ich.
,, Und dabei habe ich mich gefreut, dich anders kennen zu lernen...", sagte er und ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. Auch ich musste, trotz meiner Trauer, schmunzeln. Plötzlich stand er auf und zog mich mit sich aus dem Gebüsch und wieder in Richtung Schloss.,,Du musst zurück, bevor er entdeckt, dass du fort warst... Schnell und mach keine Dummheiten... ", raunte er mir zu. Ich nickte. Dann lief ich los und schlich wieder den Weg zurück, den ich gekommen war.

I will always hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt