Teil 6

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Ihr Vater war fort. Das zweite Mal in ihrem Leben, doch diesmal wollte sie es so. Erst, als sie sah, wie er auf das kleine Marineschiff stieg, gab sie dem Feuerzauber keine Kraft mehr und die Flammen lösten sich in kleine Funken auf.

„Fuck", schniefte Mina und wischte mit ihren Händen die Tränen weg. Bastille war weg, doch für sie fühlte es sich an, als ob er ein Stück ihrer Ruhe mitgenommen hätte. Ihre Gedanken rasten, sie zitterte am gesamten Körper und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Am liebsten würde sie schlafen, doch die Angst vor Albträumen war zu groß.

Es fiel ihr schrecklich schwer, sich zurück zum U-Boot zu bewegen. Jeder Muskel schien eine extra Einladung zu brauchen. Schließlich kletterte sie die Leiter zum Deck hoch und erstarrte.

„Du hast alles gesehen, nicht wahr?", fragte sie schluchzend und Law nickte.

„Es tut mir so Leid. Ich hätte es erklären können, aber ich..."

Mina nahm die Hände vor's Gesicht, denn sie konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Das Wiedersehen mit ihrem Vater, die Schuldgefühle, die sie gegenüber den Heart Piraten empfand, da sie ihnen nicht die Wahrheit über sich erzählt hat, und nun zeigte sie sich vor dem Captain in einem Moment der Schwäche. Das war alles zu viel.

Vorsichtig überwand Law den Abstand zu ihr und legte zaghaft seine Arme um ihren Oberkörper. Die Rothaarige reichte ihm knapp bis unters Kinn, sodass er sie leicht an sich drücken konnte. Sie war von seiner Nähe überrumpelt, doch sie fühlte sich so gut an, dass sie es zu ließ.

„Ruh dich aus. Ich will morgen mit dir reden, doch jetzt solltest du schlafen", flüstert der Chirurg. Zu seiner Überraschung schüttelte Mina den Kopf.

„Wenn ich jetzt einschlafe, kommen nur die Albträume. Das ertrage ich nicht", hauchte sie kraftlos und lehnte ihre Stirn gegen seine Brust. Law hielt für einen Moment inne.

„Und wenn ich dich heute Nacht nicht mehr alleine lasse?"

Fragend blickte die junge Frau zu ihm hoch. „Hm?"

„Ich weiß, wie sich schwere Stunden anfühlen. Du musst das nicht allein durchstehen. Wenn du möchtest, kannst du bei mir schlafen."

Seine tiefe Stimme hallte in Minas Ohren nach und sie erwiderte vorsichtig die Umarmung.

„Wirst du mich beschützen?", nuschelte sie leise.

Law verstärkte seinen Griff und er atmete tief ein, um ihren einzigartigen süßen Duft zu genießen.

„Das werde ich."

Eine erneute Welle an Emotionen brach über sie hinein und sie krallte sich in den Pulli ihres Gegenübers, um nicht den Halt zu verlieren. Allerdings fühlte sich diese Welle nicht bitterkalt an, sondern wohlig warm. Sie fühlte sich nicht einsam. Und sie war seit Ace' Tod verdammt einsam gewesen.

Widerwillig lösten die zwei ihre Umarmung, doch Mina hielt die linke Hand des Chirurgen fest. Sie fürchtete, ihn zu verlieren, wenn sie ihn losließe. Der Gedanke war absurd; das wusste sie.

Leise schritten beide durch die Polar Tang. An Bepos Kajüte blieb Law kurz stehen und öffnete die Tür.

„Bepo, Nachtwache. Jetzt", flüsterte der Captain und Mina war sich gar nicht sicher, ob der Eisbär überhaupt wach geworden war, doch bald hörte sie ein bestätigendes Brummen. Law wartete keine Sekunde länger und lief weiter durch das dunkle U-Boot.

In seiner Kajüte angekommen, schloss er die Tür hinter sich. Mina konnte nur schemenhaft das Interieur des Kapitänskajüte erahnen, doch im Moment schenkte sie nur dem großen Bett ihre Aufmerksamkeit, welches sich vor ihr in der Ecke des Raumes befand. Unter großem Kraftaufwand zog sie ihren Pulli und ihre Flip Flops aus und warf die Sachen auf den Boden. Ihr Körper sehnte sich nach Schlaf und Geborgenheit.

Das Bett quietschte bei jeder Bewegung, als sich Law zuerst darauf legte und auf die Wandseite rutschte, um Mina genügend Platz zu machen. Erschöpft ließ sie sich auf den freien Teil der weichen Matratze fallen, doch achtete darauf, ein wenig Abstand zu dem Mann neben ihr zu halten. Sie hatte im Leben nicht gedacht, dass sie sich mit dem Captain der Heart Piraten jemals ein Bett teilen werde, doch nun ist es geschehen und sie war vor allem eins. Dankbar.

Mit noch zittrigen Händen griff Mina nach der Decke und zog sie bis zu ihrem Bauch hoch. Sie lag, wie Law auch, auf dem Rücken und versuchte einzuschlafen, doch immer, wenn sie weg dämmerte, schreckte sie im nächsten Moment hoch. Bilder vor ihrem inneren Auge tauchten auf. Immer wieder sah sie Bastille, wie er vor ihr stand.

Sanft griff der Schwarzhaarige nach ihrer Hand und fuhr mit seinen Fingern gleichmäßig über ihren Handrücken. Mina erschauderte zunächst bei der unerwarteten Berührung, doch die Ruhe, die von dieser kleinen Geste ausging, tat ihr unfassbar gut. Also konzentrierte sie sich nur noch, wie seine Finger über ihre Haut huschten und schon bald war sie eingeschlafen.

Law sah, wie sich Minas Brustkorb gleichmäßig hob und wieder senkte. Er war froh, dass sie Schlaf fand, denn er kannte diese aufreibende innere Unruhe nur zu gut, die einem die letzte Kraft stahl, die man noch hatte.

Auch ihn ließ das Aufeinandertreffen von Bastille und Mina nicht kalt. Eine seiner größten Sorgen war, dass Bastille die Chance nutzten könnte, um ihn und seine Crew anzugreifen, doch seine Menschenkenntnis verriet ihm, dass dies wahrscheinlich nicht passiere. Er war nur wegen Mina hier gewesen und es war kein Zufall, dass sie sich auf dieser Insel begegneten. Die Frau neben ihm schien zu wissen, wie Bastille sie gefunden hatte, doch das müsse Law sie morgen fragen.

Der Captain der Heart Piraten gähnte und damit kündigte sein Körper die immer stärker werdende Müdigkeit an, doch ein letzter Gedanke ließ ihn nicht ganz los. Während er nachgedacht hatte, fuhren seine Finger noch immer über die zarte Hand der Rothaarigen. Also strich er langsam über ihren Handrücken zu der Innenseite ihres Handgelenks. Law fühlte die Sehnen, die dort entlang liefen, doch er positionierte seine Fingerspitzen ein Stück daneben. Normalerweise sollte er jetzt ihren Herzschlag spüren, doch wie Mina es schon ihrem Vater gebeichtet hatte, spürte er nichts. Sie hat keinen Puls.

Es widersprach allem, was Law über den menschlichen Körper gelernt hatte. Ihr Herz stand still, wie sie selbst sagte, sogar seit Jahren; und dennoch lag sie neben ihm, atmete und bewegte sich, empfand Freude und Schmerz.

Dass es in einer Welt voller verschiedensten Lebewesen und Teufelsfrüchte, auch Magie gab, war für ihn einleuchtend, doch über dieses Thema hatte er bisher nur sehr wenig gelesen. Auf seiner Reise haben viele behauptet, dass es Magie nicht gäbe. Und nun lag neben ihm der lebende Gegenbeweis. Er hatte so viele Fragen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sie zu stellen.

Der Chirurg seufzte schwer und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Seine Augenlider fielen von alleine zu und er driftete in das Land der Träume ab, bis sich Mina neben ihm bewegte. Er dachte, sie wache wieder auf, doch tatsächlich schlief sie weiter. Sie hatte sich auf die Seite gerollt, ihren Kopf auf der Brust des Captains abgelegt und seine Taille mit einem Arm umschlungen. Law wagte es nicht, sich zu bewegen, denn sein Wunsch war, dass sie blieb. Sie war der Grund, weshalb sein Herz wild gegen seinen Brustkorb hämmerte, und ihre Geschichte war ein großes Fragezeichen, doch schon am ersten Tag, als sie durch die Gänge der Polar Tang ging, zauberte sie ihm ein Grinsen ins Gesicht. Behutsam legte er einen Arm um sie.

Trafalgar Law musste sich eingestehen: Er hatte an diese Frau sein Herz verloren.

Unravel (eine One Piece FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt