Teil 29

365 17 0
                                    

Es war einer dieser wenigen Tage, an denen der Mond mit den Sternen heller schien als sonst und die Insel Polemonium in ein kühles Licht tauchte. Ivy saß auf dem Eisenstuhl in ihrem Kräutergarten und blickte skeptisch hinauf, denn ein Stern am Himmel leuchtete nur noch ganz schwach. Das bereitete ihr Sorgen.

„Kein gutes Zeichen", murmelte sie mit kratziger Stimme zu sich selbst. Ihre alten Knochen schmerzten nicht nur von den vielen Abenteuern, die sie in ihrem Leben bereits erfahren hat, sondern auch von den Ereignissen des frühen Morgens. Eine gewaltige Kraft hatte in den frühen Morgenstunden ihren Körper erschüttert. Es war nicht das erste Mal, denn als sie noch mit Havanna unterwegs war, empfand sie dieses Gefühl immer, wenn die Zauberin einen vernichtenden Zauber entfesselte.

Ivy hörte das Kratzen von stumpfen Krallen auf den gepflasterten Straßen des Dorfes und blickte zur Holztür ihres hinteren Grundstücks, die ein wenig offen stand. Und sie hatte sich nicht getäuscht, denn schon bald huschte eine kleine Wölfin durch das Tor und trabte mit angelegten Ohren zu ihr. Die dunklen Locken des schönen Tieres glänzten im Mondschein und die dunkelbraunen Augen funkelten in der Nacht schwarz, doch Ivy erkannte die Person, die in dem Wesen innewohnte.

„Du bist gekommen, um Abschied zu nehmen, nicht wahr, Havanna?", sprach die alte Frau und streckte ihre Hand aus, damit die Wölfin ihren Kopf darauf betten konnte. Und das tat sie, wedelte leicht mit dem Schwanz und jaulte kurz, um ihr zu antworten.

„Deine Kleine ist ein ziemlicher Wirbelwind. Du hast es auch gespürt, als sie ihre Kräfte weckte? Ich habe es dir immer gesagt: in Lumina steckt viel Potential, wenn sie anfängt, an sich selbst zu glauben."

Die Wölfin schnaubte, denn sie hatte Ivys Worte schon zu oft gehört. Immer, wenn der Mond zusehen war, kam sie für einen Plausch aus dem einsamen Wald und hörte zu, doch nun war sie ein letztes Mal hier, denn ihre Tochter brauchte ihre Hilfe. Das Tier richtete sich auf, legte ihre schmalen Pfoten auf die Oberschenkel der Frau und drückte ihre Nase gegen Ivys Wange.

„Wir werden uns wieder sehen", flüsterte sie und strich ihr über die zarte Schnauze. Havanna setzte mit allen Pfoten wieder auf den Boden auf und trabte zurück zum Tor, wo sie noch einmal zurück schaute und dankend blinzelte. Ivy blieb sitzen und zog ihren Mantel enger, um der Kälte stand zu halten, und guckte hoch zu den Sternen.

Nun wollte die Wölfin keine Zeit mehr verlieren und huschte hinaus. Sie ließ die Muskeln unter ihrem lockigen Fell spielen und eilte durch die Gassen bis sie in die Dunkelheit des Waldes trat. Dort zog sie das Tempo erneut an und galoppierte die breiten Waldwege entlang. Bald war sie auf der Strecke, die Law und Mina gegangen waren, denn der Geruch der beiden war zwar fahl, aber noch da. Am Bergpass angekommen, bog Havanna nicht auf diesen ab, sondern wählte einen anderen Trampelpfad, der um den Berg herum auf die andere Seite der Insel führte. Sie spitzte die Ohren, als sie die Stimmen mehrerer Männer vernahm, die gemeinsam an Land bei ihren Schiffen saßen und sich an einem Lagerfeuer wärmten. Sie wirkten ausgelaugt und müde, dösten gemeinsam vor sich hin. An den meisten konnte Havanna Verletzungen sehen, die von Verbänden umhüllt waren. Durch die geringe Aufmerksamkeit war leicht an den Männern vorbei zu schleichen, da es reichte, dass sie hinter ein paar Bäumen und Büschen trabte.

Und dann war sie an dem gelben U-Boot angekommen, in dem sogar noch Licht brannte. Mit einem starken Sprung gelang es ihr, das Deck zu betreten. Die Tür ins Innere des Bootes war einen Spalt weit offen, sodass die Wölfin direkt hinein gehen konnte. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann sie zuletzt in einem ähnlichen metallischen Konstrukt war, doch sie zeigte keine Scheu, sondern folgte dem Geruch ihrer Tochter, um den richtigen Raum zu finden. Das klickenden Geräusch ihrer Krallen auf dem Metall konnte sie nicht vermeiden, doch sie begegnete sowieso niemandem und aus manchen Zimmern hörte sie nur Schnarchen. Nur einen Moment später war sie vor dem Krankenzimmer, wo eine Person noch wach war. Trafalgar Law.

Ivy hatte ihr einiges über ihn erzählt und Havanna war überrascht gewesen, als sie erfuhr, dass ihre Tochter an diesen Mann ihr Herz verloren hatte. Wie sie sehen konnte, war seine Liebe echt, denn er saß an Minas Bett und weinte bitterlich. Sein Schmerz erdrückte ihn, sodass sein Atem nur noch ein angestrengtes Keuchen war.

Die Wölfin spürte, dass Mina dabei war, die Welt zu verlassen, doch sie wusste, dass dies nicht geschehen wird. Sie trat über die Türschwelle und kam näher ans Bett, was der Chirurg nicht bemerkte.

Mein Kind, dein Leben ist hier noch nicht vorbei, dachte Havanna, Dein Herz wird wieder schlagen.

So schloss sie die Augen und das nächste, was sie fühlte, war lang ersehnte Verbundenheit.

Mina vernahm jedes einzelne von Laws Worten und hörte sein Weinen und Schluchzen. Noch eine Stimme gesellte sich dazu, doch sie war so leise, dass sie nichts verstehen konnte. Immer wieder versuchte sie Signale durch ihren Körper zu schicken, doch sie merkte nur, wie sie schwächer und alles um sie herum dumpfer wurde.

Plötzlich erschrak sie, als gewaltsam Luft in ihre Lunge schoss. Alles in ihr bebte, ihr Herz fühlte sich an, als ob es brennen würde, und die goldene Kette an ihrem Hals zuckte. Sie hatte Panik, öffnete die Augen und richtete sich auf, sodass sie nun im Krankenbett saß und in Laws verheultes Gesicht blickte. Beide konnten keinen Ton von sich geben, doch im Zimmer war es nicht still. Als Mina in das Krankenzimmer gekommen ist, hatte der Chirurg sie aus Routine an das EKG angeschlossen, wobei er den Ton stumm gestellt hatte, wenn kein Herzschlag vernommen werden konnte, doch nun piepste das Gerät in einem gleichmäßigen, schnellen Rhythmus. Die Zauberin blinzelte ein paar mal, denn sie sah noch ein wenig verschwommen.

„Du lebst", murmelte Law, als ob er sich nicht selbst glauben würde.

„Natürlich lebe ich", entgegnete die Rothaarige mit kratziger Stimme, denn ihr Hals war staubtrocken, „Wir haben uns doch versprochen, nicht zu sterben, oder?"

In diesem Moment konnte der Chirurg nicht anders, als sie in eine feste Umarmung zu ziehen. Dankbar drückte Mina ihr Gesicht gegen seine Brust und lächelte. Einige von Laws Tränen fanden noch den Weg nach unten und landeten in den Haaren der Zauberin.

„Du lebst, du lebst", wiederholte er noch für sich selbst, „Ich dachte, ich hätte dich verloren..."

„Ich wollte dir nicht so viel Kummer bereiten", murmelte Mina bedrückt, „Ich hab so viel falsch gemacht, Law. Ich-"

„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Vorwürfe", unterbrach er sie.

So genossen sie die Nähe des jeweils anderen bis sie sich doch schließlich behutsam voneinander lösten. Law setzte sich auf die Bettkante und strich über den Handrücken ihrer einbandagierten Hand. Mina hatte sich in das Kissen zurückgelehnt und spürte jeden Herzschlag, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte, denn sie war das nicht mehr gewohnt. In ihrer Brust fühlte sie Wärme, die sie nicht zu ordnen konnte. Unbewusst fasste sie an die Stelle.

„Sowas ist medizinisch unmöglich, oder?", fragte die Zauberin unsicher.

„Absolut", entgegnete der Chirurg. „Hast du Schmerzen?"

Für einen Augenblick horchte sie in sich hinein. In ihrem Kopf pochte es und ihre Hände konnte sie kaum bewegen, ohne dass es sich unangenehm anfühlte.

„Mir tut alles weh", murmelte sie müde und seufzte schwer, „Nochmal dem Tod von der Schippe zu springen fühlt sich nicht so gut an, wie es sich anhört."

„Du musst dich unbedingt ausruhen. Dein Zustand ist noch kritisch."

„Bleibst du bei mir? Ich will nicht alleine sein."

Law nickte und blieb.

Ivy saß in ihrem Kräutergarten und sah, wie der schwache Stern am Himmel wieder strahlend zu leuchten begann.

„Leb wohl, Havanna. Nun bist du mit deinem Wirbelwind vereint."

Unravel (eine One Piece FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt