23.Kapitel

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»Rachel, oh Gott Rachel, wach bitte auf«, erklang eine vertraute, weibliche Stimme. Etwas weiches fuhr über mein Gesicht, wie eine warme Sommerbrise. Dann mischte sich noch eine männliche Stimme hinzu, welche ich nicht direkt zuordnen konnte. »Rachel bitte...«. Von der anderen Seite hörte ich ein winseln, jemand weinte. Nur langsam konnte ich mich aus meinem entspannten Schlaf lösen. Blinzelnd schlug ich die Augen auf. Gleißendes Licht strahlte mich so stark an, sodass ich nichts außer das grelle weiß erkennen konnte. War ich Tod?

»Oh Gott, sie schlägt die Augen auf! Sie schlägt die Augen auf!!«, wurde die vertraute weibliche Stimme nun lauter. Stück für Stück gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit. Immer mehr Farben mischten sich in meine Sicht. Mir kam die Welt vorher noch nie so wunderschön farbig vor. Schließlich erkannte ich Formen, nein.. es waren Gesichter. Ich konnte vier Personen links von mir, über mich gebeugt, ausmachen. Als erstes erkannte Ich meine Mutter, deren Hand immer noch auf meinem Gesicht ruhte. Dann sah ich May, ihre Augen waren verquollen, ihre Wangen glänzten feucht. Sie musste ziemlich lange geweint haben. Direkt neben ihr stand Mrs. Hill - meine Chefin - mit meiner Arbeitskollegin und Freundin Mariella. Sie hielten sich gegenseitig im Arm und schauten mich sorgenvoll an. Mrs. Hill stieß jedoch augenblicklich einen erleichterten Seufzer aus, als sie bemerkte, dass es mir gut zu gehen schien. Mein Blick wanderte weiter nach rechts, als ich bemerkte, dass etwas - oder jemand - meine rechte Hand festhielt.

Ein Mann. Ein Bekannter. Ein Freund. Nun füllten sich auch meine Augen mit Tränen und ich drehte meinen Kopf etwas, um ihn besser betrachten zu können. Seine hellen Augen strahlten mich erleichtert an, augenblicklich wurde mir warm. Es war Theo. »Hey...«, seine Stimme klang rau, als er anfing zu reden. »Wie fühlst du dich? Ich freue mich so sehr, dich wieder zu sehen. Auch wenn es unter den falschen Umständen passiert.« Gerade als ich antworten wollte, ertönte die aufgebrachte Stimme meiner Mutter: »Oh Gott Rachel, ich habe mir so unendlich Sorgen um dich gemacht.« Sie entfernte ihre Hand von meinem Gesicht und strich mir nun sanft über den Arm. »Du hast mir auch echt Angst gemacht, Rachel.«, hörte ich nun von Mariella. Ich konnte mich zu einem leichten Lächeln durchringen, während die Erinnerungen an die letzten Wochen blitzartig vor meinem inneren Auge vorbeizogen. Ich will mich nie wieder so fühlen müssen. Ich will endlich sicher sein.

»Derek...«, krächzte ich schließlich, »Es war Derek, Mom.« »Schätzchen ich weiß. Sie haben ihn. Sie haben den Keller und die Foltermaterialien gefunden. Die Polizei hat einen anonymen Tipp bekommen. Derek hat seine Tat nicht bestritten. Jedoch hat er alles auf einen Komplizen geschoben... und er hat gestanden schuld an Theos Krankenhausaufenthalt zu sein. Und du müsstest deswegen in ein paar Tagen nochmal eine Zeugenaussage machen, Theo hat seine schon gemacht. Bis jetzt ist Derek nur in Untersuchungshaft.« Nach einer kurzen Pause schob sie noch ein: »Früher dachte ich immer er wäre gut für dich, mir hätte viel eher auffallen müssen, dass er einfach nur krank ist.«, hinterher. »Wie dem auch sei, ich bin froh, dass dieser Anonyme die Polizei gerufen hat. Sonst wärst du jetzt vielleicht nicht mehr hier.« Endlich fing auch ich an zu weinen.

Auf einer Seite war es die Freude, meine liebsten Menschen wieder zu sehen und gleichzeitig Erleichterung, endlich aus diesem dunklen Keller entkommen zu sein und das Derek gefasst wurde. Der anonyme Tipp musste Sandor gewesen sein, ich wusste es einfach. Auf der anderen Seite aber weinte ich aus purer Verzweiflung. Auch, dass meine Mutter nun versuchte mich mit einem: »Ich weiß, dass das nicht leicht für dich werden wird, aber nach dem Gerichtstermin ist alles vorbei mein Schatz.«, aufzumuntern half mir nicht, mich zu beruhigen. Immer wieder geisterte mir die Frage: Warum immer ich? durch den Kopf. Und ich wollte nicht nochmal mit der Polizei reden. Ich wollte, dass es aufhört. Ich wollte nicht mehr daran denken-, nicht nochmal in sein Gesicht sehen müssen. Ich wusste aber, dass es niemals ganz vorbei sein würde. Auch wenn er mich nicht mehr in Realität verfolgen konnte, so konnte er es in meinen Träumen. Es würde nie enden. Und ich war mir sicher, dass er das auch wusste. Augenblicklich stellte ich mir sein selbstgefälliges Grinsen vor.

Diese Gedanken wurden jedoch vertrieben, als sich plötzlich jemand in meine Arme warf. Blonde Haare hingen mir in Gesicht und Mund. Es war May, die die ganze Zeit noch nichts gesagt hatte. Ich konnte es ihr jedoch auch nicht verübeln. Sie muss die letzten Monate durch die Hölle gegangen sein. Nicht nur wusste sie nicht, ob Theo jemals wieder aus dem Koma erwachen würde, sie wusste auch nicht, ob ich überhaupt noch am Leben war. Ich selbst machte die letzten Jahre Schreckliches durch, jedoch tat es mir mehr weh einen meiner liebsten Menschen leiden sehen zu müssen, als mich selbst. Gerade als ich mich dabei ertappte, dass ich Gott danken wollte, so einen Menschen wie May in meinem Leben zu haben, musste ich etwas schmunzeln. Ich hatte Religion damals für kompletten Schwachsinn gehalten. Ich glaube aber in Zeiten, in welchen man nichts mehr hat, muss man sich manchmal an etwas höheres Klammern, um das Leben überhaupt noch ertragen zu können.

»Verlass mich nie wieder.«, nuschelte die sonst aufgeweckte Blondine in meine Nackenbeuge. Für meine Mutter schien das das Kommando zu sein, den Raum zu verlassen. Durch Mays blonde Haare konnte ich ausmachen, wie sie den anderen im Raum Anwesenden durch eine Kopfbewegung Richtung Tür deutete, dass sie mit ihr gehen sollten. Erst jetzt fiel mir auch erst auf, dass ich weder Zuhause, noch bei meiner Mutter, oder meiner besten Freundin war. Ich lag im Krankenhaus. Als Mrs. Hill schließlich an der Tür ankam, sagte sie noch: »Lo siento bella, ich hätte besser auf dich aufpassen müssen.«, ehe sie mit gesenktem Kopf, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, nach draußen verschwand. Gerade als Mariella ihr folgen wollte, rief ich der schönen Schwarzhaarigen noch ein: »Danke für alles«, hinterher, »Es war nie eure Schuld. Ihr könnt nichts dafür, was passiert ist.« Ein leichtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie einmal dankbar nickte und war dann schließlich auch verschwunden. Die Tür fiel ins Schloss.

May hielt mich immer noch fest umklammert, als hätte ich vor wegzulaufen. Mir fiel auf, das Theo den Raum ebenfalls nicht verlassen hatte. Ich konnte ihn zwar durch Mays Haarschopf nicht sehen, jedoch nahm ich seine Präsenz wahr. Meine rechte Hand lag immer noch in seiner. Er gab mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit - eben das, was May auch immer so gut bei mir hinbekam. Ich war so froh, dass ich die beiden getroffen hatte. Was würde ich nur ohne sie tun?

Plötzlich traf es mich wie einen Blitz und ich drückte May von mir weg. Ich schaute beide ernst an ehe ich sagte: »Ihr und vor allem meine Mutter wisst ja noch gar nicht, dass... das...«, fing ich an, dann wurde ich jedoch bereits wieder von Schluchzern geschüttelt. »Dass Derek meinen Vater um-... umgebracht hat.«, es klang aus meinem Mund heraus eher wie eine Frage, statt eine Aussage. Doch als ich bemerkte, wie Theo und May betreten auf den Boden schauten, realisierte ich, dass es als Frage fast angemessener gewesen wäre. Wie sagt man so schön? Blicke sagen oft mehr, als tausend Worte.

»Ihr wusstest das?«, fragte ich fast tonlos.

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt