7.Kapitel

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May setzte mich ein paar Tage später nach der Schule erneut vor dem Café ab und warf mir zum Abschied noch eine Kusshand zu. »Wenn was ist, melde dich!«
Ich nickte zustimmend und winkte ihr noch einmal zu, als sich ihr rotes Auto langsam entfernte und schließlich um die nächste Kurve abbog.

Ich war mir fast sicher, dass ich sie nach Schichtende anrufen und fragen würde, ob sie mich abholen könnte. Ich wollte so wenig wie nur irgendwie möglich zu so später Stunde alleine laufen, vorallem nicht nach letztem Mal, wo ich mich so beobachtet gefühlt hatte. May hatte mich die letzten Wochen fast ausnahmslos jeden Tag abgeholt. Dafür war ich ihr ziemlich dankbar, da mir das Geschehene immernoch schwer im Magen lag.
Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film und aufgrund meiner Verleumdung der bisherigen Geschehnisse war ich mir garnicht mehr so sicher, ob ich mir das mit dem Post von meinem Bild auf darkposts.onion, hochgeladen von Donotcry666 mir wirklich vielleicht nur eingebildet hatte. Vielleicht war es wirklich nur ein Mädchen gewesen, welches mir ähnlich sah. Mittlerweile war ich tatsächlich an dem Punkt angelangt, bei dem ich garnicht mehr wusste, was ich noch glauben konnte.

Ich schüttelte meinen Kopf, als könnte ich so die Gedanken darin vertreiben und betrat das Café durch die Mitarbeiter-Tür.
Sogleich begann ich mit der alltäglichen Routine meine Sachen in den Spind zu tun, das Kleidchen anzuziehen und die Haare hochzubinden. Mittlerweile schaffte ich es schon, innerhalb von zwei Minuten fertig zu sein. Ich hielt somit den Rekord unter den Mitarbeitern. Gerade, als ich auf den Ausgang zulief, kam mir soeben auch einer dieser entgegen. Mario. Breit wie ein Schrank, aber das Gemüt von einem Teddybär. Auch die Sommersprossen auf seiner Nase passten überhaupt nicht zu seiner Statur. Er begrüßte mich mit einem warmherzigen, »Guten Abend Rachel, schön dich wieder zu sehen«.
Ich hatte schon immer die Vermutung, dass er interessiert an mir war, leider konnte ich das aber nicht erwiedern, weshalb ich mich ledeglich mit einem, »Schön, wieder hier zu sein«, an ihm vorbei durch die Tür ins Café drängelte.

Drinnen begrüßte mich wie immer Mrs. Hill und gab mir Block und Stift zum Bestellungen aufnehmen. Sofort ließ ich meinen Blick über die Tische, an denen bereits verschiedene Kunden saßen, schweifen. Zwei Freundinnen, die sich ein Kuchenstück teilten.
Ein braunhaariger Mann in meinem Alter, mit einer Zeitung in der Hand, in der er augenscheinlich sehr vertieft war. Er hielt sie so, dass man sein Gesicht nicht genau erkennen konnte. Irgendwie kam er mir trotzdem bekannt vor, wenn man die Weise wie er sich bewegte und wie er saß betrachtete.
Ich beachtete ihn jedoch nicht weiter.
Der heiße Fremde den ich in den letzten zwei Wochen hier sah, schien nicht da zu sein. Irgendwie enttäuschte mich das etwas. Als mich ein Mädchen zu mir winkte und einen Käsekuchen verlangte, begann ein mal wieder stinknormaler Arbeitstag.

Erst gegen Schichtende fiel er mir wieder auf.
Er saß in einer Ecke und trank genüsslich seinen Kaffee. Den musste ihm Mario gebracht haben. Ich ertappte mich dabei, wie ich leicht sauer auf meinen Mitarbeiter wurde.
Das hätte ich gerne übernommen. Aber gut, Mario konnte schließlich nicht wissen, dass ich diesen schwarzhaarigen, fremden Mann als gottgleich ansah und auch wenn er es wüsste... ihm würde es sicherlich nicht gefallen.
Der Blick des Mysteriösen fiel auf mich und ich wendete meinen sofort schüchtern ab.

Ich begann schonmal die Tische abzuwischen, da der Mann, wie die letzten Wochen auch, der letzte Kunde im Laden war. Dabei spürte ich die ganze Zeit seine Augen auf mir ruhen.
Als ich beim vorletzten Tisch angelangt war, hörte ich ihn sich räuspern. »Entschuldigung, ich würde gerne zahlen«. Bei dem Klang seiner tiefen Stimme erschauderte ich. »Einen Moment bitte«, rief ich zurück, wischte schnell die Tische zu Ende und holte Wechselgeld.
Als er mir das Geld in die Hand drückte, kribbelte wieder die Stelle, an der seine Haut meine berührte. Er lächelte mir noch einmal halbherzig zu und verschwand schließlich aus der Tür. Wow, sah er gut aus.
Worte können ihn garnicht beschreiben.
Er wirkte so perfekt.

Als ich in meine Hand schaute, welche sich um das Geld geschlossen hatte, fiel mir erstaunlicherweise auf, dass er mir zehn Euro Trinkgeld gegeben hatte. So viel hatte ich noch nie zuvor von einem Kunden bekommen.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf und legte das Geld in Mrs. Hills Kasse.

Wenig später verabschiedete ich mich auch von ihr, da es schon wieder nach zehn Uhr- und somit Schichtende für mich war.

Ihr fragt euch bestimmt, wieso dieses Café überhaupt bis zehn Uhr offen hatte? Deswegen, weil eben kein anderes mehr um diese Zeit offen hatte. Mrs. Hill hatte damit eine Marktlücke geflickt. Zumindest hier in der Umgebung.

Vor der Tür des Cafés, an welcher nun ein „Geschlossen"-Schild hing, versuchte ich May zu erreichen. Erst nach dem dritten Versuch hob sie ab. Ihre Stimme zitterte, als ich sie,
»R-Rachel?«, am anderen Ende der Leitung flüstern hörte. Anstatt zu fragen, ob sie mich abholen könnte, fragte ich nun alarmiert, »May? Was ist los?«. Nun fing sie tatsächlich an zu schluchzen. »Theo liegt im Krankenhaus, er wurde von einem seiner Kunden bis ins Koma geprügelt. Ich bin gerade bei ihm«.
Ich war entsetzt. Klar, als Dealer lebte man gefährlich, jedoch war Theo gefährlichen Situationen bisher immer ziemlich gut aus dem Weg gegangen. Da Theo nicht nur Mays Bruder, sondern auch wie ein Bruder für mich war, traf mich diese Info ziemlich.
»Wie schrecklich. Ich wünsche ihm alles Gute der Welt. Er wird schon wieder May. Er ist stark«. Nun wässerten auch meine Augen. »Tut mir leid, dass ich jetzt nicht für dich da sein kann, Rachel. Aber ich hoffe du verstehst, dass ich über Nacht bei ihm bleiben will«. Ihre Stimme war mittlerweile nurnoch ein weinerliches winseln. »Natürlich verstehe ich das May. Keine Sorge, ich komme schon zurecht.«
»Gut, dann... lege ich jetzt auf, okay?«
»Ja, gute Nacht May. Alles wird gut werden«, versuchte ich sie noch ein letztes Mal zu ermutigen. Nicht auf meinen letzten Satz eingehend, antwortete sie ledeglich,
»Gute Nacht, Rachel.«

Als ich auflegte, war meine Stimmung bedrückt. Die Trauer erstickte sogar meine Angst vor dem Wissen, jetzt alleine nach Hause laufen zu müssen.

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt