25.Kapitel

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Nervös stand ich vor dem blauen, kleinen Haus. In dieser Ecke der Stadt fiel die Farbe nicht auf, hier hatte jedes zweite Haus eine grelle Farbe. Ich hatte bereits drei mal versucht zu klingeln, hatte jedoch immer wieder kurz vor der Klingel inne gehalten und meine Hand zurückgezogen. Ich konnte nicht. Ich fühlte mich nicht bereit. Gerade als ich mich dazu entschloss wieder auf dem Absatz kehrt zu machen, hörte ich wie die Haustür mit einem Quietschen geöffnet wurde. »Hey... ich habe dich aus dem Fenster die ganze Zeit vor der Tür stehen sehen, ist alles okay bei dir?« Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg, bevor ich mich umdrehte. »Du solltest Fremden nicht einfach so die Tür aufmach-«, entgegnete ich, bevor ich stockte. Große, grün stechende Augen blickten mich neugierig an. Das musste sie sein. Das musste Loreen sein.

Das Mädchen konnte nicht älter als acht Jahre alt sein. Sie war dünn und trug einen Hoodie, der an ihr fünf Nummern zu groß wirkte. Wahrscheinlich war er das auch einfach. Ihre schwarzen Haare waren in einen Pferdeschwanz gebunden - jedoch so lang, dass sie ihr trotzdem auf die Schultern fielen, sodass sie die Strähnen mit einer genervten Geste wegstreichen musste. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Sie sah Sandor wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Erst nachdem mich das Mädchen auch erstmal ein paar Minuten lang ausgiebig gemustert hatte, antwortete sie schließlich: »Du sahst aber nett aus und ich habe gedacht, dass du die Frau sein musst, von der mir Papa immer erzählt hat.« Langsam kam ich auf sie zu, um sie nicht zu verschrecken. Dann kniete ich mich vor sie. »Dein Vater... hat dir von mir erzählt? Wann war er das letzte Mal hier?«. »Vor drei Tagen.« Nun füllten sich ihre Augen mit Tränen. Scheiße, das war der Tag, an dem ich vor Derek geflohen bin. Der Tag, an dem auch ich Sandor zum letzten Mal sah. Aber nun war ich hier. Deswegen war ich hier. Sandor hatte mich darum gebeten, für den Fall, dass er es nicht schaffen würde.

Gleichzeitig war ich aber auch verwundert, dass Derek Sandor anscheinend die Möglichkeit gegeben hatte, nach Hause zu gehen und sich um seine Tochter zu kümmern. Wow, er besaß ja vielleicht doch noch einen Mikrofunken Empathie. Zumindest, wenn es dabei nicht um mich ging.

Ich hatte, als ich vorgestern Abend aus dem Krankenhaus entlassen wurde, die ganze Nacht nach Loreen gesucht. Dafür habe ich den Chip in meinem Arm verwendet, die Daten ausgewertet und ihn mir schließlich aus dem Arm geschnitten, was höllisch weh tat. Sandor hätte mir natürlich auch die Adresse auf ein Blatt schreiben können, jedoch wäre die Gefahr so zu groß gewesen, dass ich ihn verloren hätte, oder es hätte auf ihn zurückverfolgt werden können. Noch dazu wurden wir in diesem Kellerraum eigentlich permanent von Derek überwacht, welchem es natürlich verdächtig vorgekommen wäre, hätte mir Sandor einen Zettel zugesteckt. Er war schlau. Der Chip war eigentlich von Derek dazu gedacht gewesen mich zu orten, jedoch schaffte er es ein Programm darauf zu laden, womit ich seine Tochter finden sollte. Als ich die Daten des Chips öffnete, befand sich in diesem eine virtuelle Karte, ähnlich Google Street View, womit es mir ein leichtes war, hierher zu finden. Damit ich auf dem Weg hierher nicht auffiel, hatte ich mich nicht nur mit total zerrissenen Klamotten angezogen, sondern auch noch einen Hut aufgezogen und meine Haare unter diesem versteckt. Obwohl Derek anscheinend noch an dem Tag an dem ich geflohen bin gefasst wurde, war ich paranoid. Ich wusste schließlich nicht, wie viele Leute noch eingeweiht waren. Vielleicht war man immernoch hinter mir her.

Eigentlich sollte ich heute schon bei Theo und May sein. Jedoch hatte ich sie darum gebeten mir doch nochmal etwas mehr »Zeit für mich« zu geben, ich plante jedoch vor Einbruch der Nacht bei ihnen zu sein. Würde ich mich nicht dafür verantwortlich fühlen, was mit Sandors Tochter passieren würde, wäre ich direkt nach meiner Entlassung mit zu den beiden gegangen.

Ein Schmerz zuckte plötzlich durch meinen rechten Arm, welchen ich mir nachdem ich den Chip rausgeschnitten hatte, selbst komplett genäht- und einbandagiert hatte. Das hatte ich von May gelernt - sie erzählte mir oft begeistert von ihrem Medizin Studium und brachte mir manchmal Sachen bei, um die ich nicht mal gebeten hatte. Nun erwies es sich doch als ganz nützlich. Aber wie sollte ich diese Wunde eigentlich erklären? Mir war es sowieso ein Rätsel gewesen, wie die Krankenschwestern den Chip in meinem Arm nicht bemerken konnten, bevor ich diesen entnahm zog sich nämlich eine lange, hässliche Narbe an meinem kompletten Unterarm herab. Wenigstens May hätte sie bemerken müssen, sie kannte mich besser als jeder andere. Vielleicht war sie aber auch einfach zu aufgeregt gewesen. Jedoch war mir das auch eigentlich egal. Ich war froh darüber, dass hätte mir nur unnötigen Stress bereitet. Ich ging jedoch davon aus, dass die neu entstehende Narbe wahrscheinlich noch hässlicher als die erste werden- und somit nicht mehr unerkannt durchkommen würde.

Erst jetzt bemerkte ich, was der Grund dafür war, dass mein Arm auf einmal wieder schmerzte. Loreen krallte sich in ihm fest. Dass ich eine Wunde hatte, konnte sie natürlich nicht wissen, da ich einen langarmigen Hoodie trug. Ich versuchte lediglich nicht vor Schmerz aufzuzischen, als sie den Druck auf meinem Arm noch etwas verstärkte. »Alles okay bei dir?«, fragte sie schließlich weinerlich, ich war wohl mal wieder zu lange in meiner eigenen Welt gewesen. Ich nickte nur leicht und ehe ich noch etwas anderes erwidern konnte, warf sie sich in meine Arme. »Ich kenne dich zwar nicht, aber ich kenne meinen Papa und wenn er dir vertraut, vertraue ich dir auch. Bitte bleib etwas bei mir. Ich habe Angst alleine in der Wohnung.« Langsam fand meine linke Hand zu ihrem Kopf und streichelte sacht über ihr Haar. Einen kurzen Moment durchzuckte mich der Gedanke, dass das hier eine Falle sein könnte. Wer sagte mir, dass Sandor nicht im Haus auf mich wartete und nochmal entführen würde? Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Das wäre unlogisch, er hatte so viel auf sich genommen um mich zu befreien.

Endlich erwiderte ich die Umarmung des Mädchens. »Hast niemanden, zu dem du sonst hättest gehen können?«, fragte ich sacht. »Ich bin die Einzige, die Papa noch hat. Er meinte, dass meine Familie von Bösen Männern geholt wurde.« Ihre Stimme zitterte und brach häufig ab, als sie redete. Sie tat mir unendlich leid. Gleichzeitig war ich zutiefst erschüttert, wieviel Leid Loreen und Sandor wohl erfahren haben mussten. Ich wollte mehr darüber wissen, jedoch nahm ich an es wäre das beste, zum jetzigen Zeitpunkt lieber nicht nachzufragen. Meinte er mit den »Bösen Männern« etwa unter anderem Derek? Sein Gesicht tauchte auf einmal vor meinem Inneren Auge auf, wie er krankhaft lächelnd auf Sandor einschlug. Ich schüttelte augenblicklich den Kopf, um die Bilder wieder zu vertreiben. »Aber du bleibst bei mir? Du gehst nicht mit den Bösen Männern?« Von denen komme ich gerade, dachte ich bitter. »Ja... ich kann auf dich aufpassen.«

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt