27.Kapitel

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Als ich nach Hause sprintete, bereute ich es abermals nicht den Führerschein zu haben. Wusste aber, dass ich mich um diesen zu machen panischer Angst aussetzen müsste, welche daher rührte, dass ich mir nach dem Autounfall von meinem Dad vorgenommen hatte, niemals in ein Auto zu steigen. Was hieß vorgenommen... ich konnte es einfach nicht. Ich konnte zwar ohne Angst zu haben bei anderen mitfahren, sobald ich mich jedoch selbst hinters Steuer setzte, fand ich mich bisher plötzlich immer in der Perspektive des Autofahrers, welcher gegen meinen Dad prallte wieder. Das knirschende Geräusch schrillte auch nun in meinem Kopf - so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten, und mich gleichzeitig übergeben wollte. Das schlimmste daran war, dass ich nun wusste, dass dieser Autofahrer Derek gewesen war. Mich in seiner Perspektive sah. Und noch schlimmer, dass die Leute, die ich am meisten liebte, es ebenfalls wussten, mir das aber vorenthielten.

Mit einem Mal war ich froh, kein Handy mehr zu besitzen. Kontrollanrufe von eben diesen Personen wären an der Tagesordnung gewesen. Da ich ihnen trotzalldem nicht zu viele Sorgen bereiten wollte, schließlich mussten auch sie leiden, als sie die ganzen letzten Monate über nicht wussten wo ich war, geschweige denn, ob ich überhaupt noch lebte, beschleunigte ich mein Schritttempo noch einmal mehr und erreichte kurz darauf meine Haustür.

Es fühlte sich komisch an, wieder zuhause zu sein und es machte mir auch irgendwie Angst. Das damalige Gefühl von Sicherheit war nach der Entführung verflogen. Deswegen packte ich so schnell es ging meine Sachen zusammen, um mich nicht länger als nötig in dem Haus aufzuhalten.

Dann setzte ich mich mit insgesamt drei Koffern in Richtung Mays und Theos Haus in Bewegung. Erst als ich an der Haustür ankam, bemerkte ich, dass ich weder auf die Uhr geschaut-, noch mich vorher bei den zwei angekündigt hatte. Ich schätzte anhand des Sonnenstandes auf elf Uhr in der früh und stellte belustigt fest, dass sich Theo wohl vor zwölf nicht aus dem Bett bewegen würde. May war jedoch die Frühaufsteherin schlechthin, weshalb ich mir keine Sorgen machte, Einlass zu bekommen. Es dauerte nach dem Klingeln auch keine drei Sekunden, bis die Tür aufgerissen wurde. »Hey, Rachel! Da bist du ja endlich!«, ertönte Mays freudige Stimme, bei welcher jedoch unterschwellig eine Spur argwohn miterklang. »Ja, sorry May. Ich hab doch noch etwas mehr Zeit für mich gebraucht.«
Mitfühlend zog sie mich in eine Umarmung »Hey, das ist total okay für mich. Ich kann dich verstehen.«

Schlechtes Gewissen nagte an mir, wie ein Eichhörnchen an einer Nuss. Es missfiel mir, meiner besten Freundin nicht die Wahrheit erzählen zu können. Im selben Moment versuchte ich es jedoch damit zu relativieren, dass sie mich über eine viel gravierendere Sache über Jahre hinweg angelogen hatte. Der bittere Geschmack von Verrat lag mir auf der Zunge, doch ehe ich noch näher darüber nachdenken konnte, zog May mich bereits ins Haus.

Ich bemerkte, wie ich mich augenblicklich entspannte. Es war, als wäre ich in mein zweites Zuhause eingetreten. Ich hatte hier insbesondere in meiner Kindheit fast mehr Zeit, als bei meiner Mom verbracht. Aber Mom und ich waren sowieso nie so eng miteinander gewesen. Nicht weil wir uns nicht verstanden, ich glaube wir beide ließen den anderen aber lieber sein eigenes Ding machen. Und vorallem erinnerte ich sie immer wieder an Dad, wenn sie mich ansah. Da ich eher nach ihm kam, musste sie mein Anblick unglaublich schmerzen. Sie hatte ihn vergöttert.

Das Haus war von innen komplett weiß; die Tapete, der Boden, die Decke, die Möbel. Es wirkte jedoch nicht Krankenhausartig, sondern durch die barocke Architektur eher so, als hätte man gerade den Himmel betreten. Fehlte nurnoch, dass aus dem Türrahmen mir gegenüber ein Engel heraustrat und das Bild wäre perfekt.

Als aufeinmal wirklich etwas im Türrahmen stand, traute ich meinen Augen kaum. Erst sah ich die Füße, die trainierten Beine und als meine Augen ein Stück weiter hoch wanderten, schließlich ein Sixpack, an welchem mein Blick für einen Moment verweilte. Meine Muskeln schienen nicht mehr ordentlich zu funktionieren, denn ich spürte, wie meine Kinnlade herunterklappte. Als mein Blick noch ein Stückchen weiter nach oben wanderte, um zu schauen, wem dieser trainierte Körper wohl gehörte, da es sich anbetrachts der Tageszeit offensichtlich nicht um Theo handeln konnte, erblickte ich jedoch blonde Locken, wunderschöne blaue Augen und ein schiefes Grinsen. Verblüfft stellte ich fest, dass es sich tatsächlich um Theo handelte. Einmal mehr musterte ich ihn. Durch seine Größe nahm er fast den gesamten Türrahmen ein und stützte sich mit einem Arm lässig an diesem ab. Durch seinen perfekt geformten Körper und dem siegessicheren Grinsen, schien er vor Selbstbewusstsein zu leuchten und ich musste wirklich kurz überlegen, ob da nicht tatsächlich gerade ein Engel stand. Nur seine Körpermitte wurde von einer engen - passend zur Einrichtung des Hauses - weißen Boxershorts verdeckt.

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt