28.Kapitel

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Ich wurde durch Stimmen wach, welche durcheinander redeten. Blinzelnd und verwundert hob ich den Kopf. Theo war weg. Aber sein Geruch empfing mich durch sein Shirt welches ich trug immernoch genauso stark, als wäre er noch direkt neben mir. Gähnend richtete ich mich auf und tapste schließlich den Stimmen entgegen, welche immer energischer und fast sogar wütend klangen. Verwundert blieb ich im Türrahmen stehen, welcher den Flur, der von den Schlafräumen abging, und das Wohnzimmer miteinander verband. Dort hörte ich May gerade sagen: »...Nein, ich habe ihren Arm auch gesehen. Sie muss schlimm misshandelt worden sein und wenn man der Ärztin und ihren Proben vertrauen kann, sogar vergewaltigt! Ich glaube ein Psychologe würde ihr echt gut tun. Und du tust ihr auch gut Theo. Sie muss ein echt schweres Trauma erlitten haben. Ich will mir garnicht vorstellen, wie scheisse sie sich gerade fühlen muss.« Mein Arm? Scheisse, May hatte meine Narbe anscheinend doch bemerkt. Aber gut sie studierte Medizin und die Narbe war nicht gerade unauffällig - jedoch wollte ich ihr unnötige Sorgen ersparen. Und Vergewaltigung? Malwieder wurde mir verschwiegen, wieviel eigentlich an mir herumgebastelt wurde. Wut kochte in mir auf. Was sollte diese andauernde Geheimniskrämerei? Keine Sekunde später zügelte ich mich. Auch ich log die ganze Zeit. Ich hatte meinen Freunden nichts von Loreen erzählt, also verdiente ich das wohl irgendwie. Der Angesprochene, von dem ich nur den Rücken sah, nickte auf Mays Worte hin hektisch. »Hast du schon mit Dianne geredet?« Ich runzelte die Stirn, sagte aber noch nichts. Dianne? Er meinte damit meine Mom. Als May schon den Mund öffnete, um ihm zu antworten, schweifte ihr Blick ab und fiel auf mich.

»Rachel! Du kommst gerade rechtzeitig!«, sie lief auf mich zu und umarmte mich sanft, während ich krampfhaft versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich fand es seltsam, dass sie so tat, als wäre nichts. »Alles okay bei dir? Ich habe mit deiner Mutter telefoniert, sie will mit dir über den Gerichtstermin, die Uni und die Therapie reden, ich glaube sie hat eine gute Psychologin gefunden.« Leicht überfordert musterte ich sie, »Wieso sagt sie mir das nicht selbst?« »Sie will das heute mit dir persönlich alles abklären, aber du meintest gestern ja sowieso, dass du bei ihr vorbeigehen willst. Das hab ich ihr so weitergegeben und dann haben wir noch ein bisschen geredet. Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufwecken.« Ich nickte nur zur Bestätigung. Dass ich bei meiner Mom vorbeigehen wollte war eine Lüge gewesen. Das zählte nur als Ausrede um bei Loreen vorbeigehen zu können, aber ich dachte, dass ein Gang zu meiner Mom um ihre Sorgen zu besänftigen auch nicht schaden könnte. Dann würde ich eben danach bei Loreen vorbeischauen. Ich hoffte, dass es ihr gut ging und sie gut alleine klar kam, in der Zeit in der ich weg war. Schlechtes Gewissen nagte an mir. Aber wieso? Ich war weder Sandor, noch Loreen irgendwas schuldig. Sandor hat dich zwei mal vor dem Tod gerettet! Schrie eine kleine Stimme in mir. Toll, und mein Leben gleichzeitig zur Hölle gemacht. Aber er wurde erpresst, er konnte nichts dafür! Ich knurrte, wieso musste ein Teil von mir ihn immernoch verteidigen? Als ich mir wieder seine grünen Augen und die verwuschelten schwarzen Haare vorstellte, ertappte ich mich dabei, wie ich mir wünschte, dass es ihm gut ging. »Rachel alles gut? Schaffst du das alleine, oder soll ich mitkommen?«, riss mich Mays Stimme aus den Gedanken. »Nein, nein, das schaff ich schon alleine.«

»Gut, dann kann ich mich gleich zur Arbeit aufmachen.« »Arbeit...?«, ich blinzelte verwundert. Seit wann arbeitete May? Ihr war das zuvor parallel mit ihrem Studium immer zu stressig gewesen. Sie hatte davor immer nur ihre Drogengeschäfte im Darknet am Laufen. Sie lächelte sanft, jedoch entging mir der Ausdruck von Schmerz in ihren blauen Augen nicht. »Ich hab angefangen zu arbeiten, als Theo im Koma lag und du entführt wurdest - in einem Restaurant, einen Ort weiter. Ich habe mir geschworen, nie wieder Drogengeschäfte zu machen und Theo musste mir das auch verprechen, als er wieder wach war.« Sie wandte ihren Blick ab und nickte ihm zu, welcher zur Bestätigung ebenfalls leicht nickte. »Wow Leute, finde ich sehr gut und kann ich nur unterstützen. Endlich weg von diesem illegalen Zeugs und dem Darknet Kram.« Ein aufrichtiges Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Eines, was weh tat, weil es so selten zum Vorschein kam die letzten Monate.
Wieder nickten die Geschwister und nun bildete sich auch auf Mays Lippen ein Grinsen »Dann mach dich mal fertig, deine Mom erwartet dich.«, dann wandte sie sich ab und verschwand in ihrem Zimmer, wahrscheinlich um sich für die Arbeit fertig zu machen.

Bevor ich mich umdrehte, um mir selbst brauchbare Klamotten zu schnappen, entging mir nicht Theos besorgter Blick. Ich lächelte ihm selbstbewusst zu, was auch seine Mundwinkel endlich leicht in die Höhe zucken ließ.

*

Auf dem Weg zu meiner Mom ging mir einiges durch den Kopf. Ich hatte weder Lust auf einen Besuch bei ihr, noch auf einen Gerichtstermin, weshalb ich genervt aufstöhnte, als ich endlich vor ihrer Haustür stand und klingelte. Ich hatte die fünfzehn Minuten Fußweg nach der kurzen Busfahrt kaum bemerkt, so sehr war ich mal wieder in Gedanken versunken gewesen. Wie ein Film ist die Umgebung an mir vorbeigerauscht, welcher jedoch einen Riss bekam, als meine Mutter die Tür hektisch aufriss. »Rachel mein Schatz! Wie gehts dir?« Ehe ich antworten konnte, zog sie mich in eine Umarmung und drückte mich fest an sich. Überrascht hielt ich kurz inne, anstatt sie direkt zu erwiedern. So viel Nähe von meiner Mutter zu bekommen war ich tatsächlich nicht gewöhnt. Ich konnte nicht sagen, wann sie mich das letzte Mal umarmt hatte. Hatte sie mich überhaupt schon jemals umarmt? Ich wusste es nicht.

»Mom... du erdrückst mich!« Sofort lockerte sich ihr Griff und sie schob mich etwas von sich weg, um mich richtig ansehen zu können. »Tut mir leid mein Schatz.« Schatz? Das war mir nun doch etwas zuviel. Man konnte meinen, ich wäre gerade eben erst von meinem Krankenheitsaufenthalt zurück gekommen, so sehr verhätschelte sie mich. Hatten May und Theo meiner Mutter was von meiner Panikattacke gestern erzählt? Ich hoffte nicht. Nur weil meine Mom nicht die liebevollste war, war sie dennoch sehr überbesorgt. Eine Mischung die mich irgendwie nervte und mit der ich nur schlecht klar kam. »Naja.. wie dem auch sei, mir gehts gut Mom, wirklich. Und ich wollte mit dir über den Gerichtstermin und die Therapie reden?« »Natürlich, natürlich, komm erstmal rein und machs dir bequem.« Sie ließ mir jedoch garnicht erst die Möglichkeit reinzukommen, da sie kaum nachdem sie die Aufforderung aussprach, hinter mich trat, an den Schultern packte und ins Haus schob.

Mir fiel auf, dass auf dem kleinen Couchtisch im Wohnzimmer bereits ein Tee für mich bereitstand. Tee, weil ich kein großer Kaffee Fan war. Ich ließ mich aufs Sofa sinken und wickelte mich in einer Decke ein. Gleichzeitig sah ich mich um. Ich konnte mich mit dem Haus noch nie anfreunden. Ich hatte mich hier nie zuhause oder wohl gefühlt. Nach dem Vorfall mit Derek waren wir hierher gezogen. Mein Dad, meine Mom und ich. Als mein Vater starb - beziehungsweise wie ich es jetzt besser wusste ermordet wurde - hielt ich es hier nicht mehr alleine mit meiner Mutter aus. Wo mein Dad wie ein Ruhepol für mich war, war sie das Gegenteil. Sie erlaubte mir auszuziehen unter der Bedingung, dass sie mir ein Haus aussuchen dürfte. Da sie es mir zum Großteil finanzierte, stimmte ich zu. Deswegen wohnte ich jetzt nur zwei Orte weiter von ihr entfernt. Ich denke sie wollte immernoch irgendwie ein Auge auf mich haben. Sie musste aber auch erleichtert gewesen sein, mich los zu sein, sonst hätte sie niemals so schnell zu einem Auszug zugestimmt - ich erinnerte sie einfach immer an Dad. Tatsächlich sind May und Theo dann um die selbe Zeit herum ausgezogen, da sie es mit ihrer Mutter nicht mehr aushielten, welche nicht nur Alkoholikerin war, sondern die beiden auch noch schlug. Diese entschieden sich dann daraufhin, in meine Nähe zu ziehen. Eine Wohngemeinschaft wäre nichts für mich gewesen. Ich bin gerne mal für mich alleine, falls ihr euch fragt, wieso wir nicht einfach zusammengezogen sind. Finanzieren mussten sich die zwei mit Theos Drogengeschäften, ein Glück das May nun arbeitete und sie legal an Geld kamen. Der Gedanke beruhigte mich mehr als das Wissen, jetzt mit meiner Mutter über den ganzen Organisations-Kram zu sprechen. Ich seufzte leidend auf. Aber es würde mir schließlich helfen.

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt