3.Kapitel

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Die nächsten Tage meldete ich mich sowohl bei meiner Uni, als auch bei dem Café, wo ich sonst jeden Tag bis zehn Uhr Abends arbeitete krank. Als ich aufwachte, fühlte ich mich durch die Angst die letzten Tage - trotz des Schlafes - mehr als ausgelaugt und schwach.
Meine nun fehlenden Schichten im Café vermisste ich allerdings jetzt schon.
Ich hatte zwar soviel Geld, dass ich dort eigentlich garnicht arbeiten müsste, jedoch mochte ich den Laden und die alte Dame, für die ich dort die Arbeit erledigte.

Meine Beste Freundin May schrieb mich am zweiten Tag an, ob alles okay bei mir sei und sofort erzählte ich ihr alles. Sie war der einzige Mensch, der mich voll und ganz verstand und auf den ich voll und ganz zählen konnte.
Es war ein schönes Gefühl meine derzeitige Situation jemandem erzählen zu können.
Ich hatte nämlich unglaubliche Panik.
Panik davor, dass jemand aus dem Darknet draußen auf mich lauerte. Vor allem, wenn ich in den folgenden Tagen Nachts im Dunkeln nach der Arbeit wieder mal alleine nach Hause laufen musste.

Diese Panik hatte ich schonmal, erinnerte ich mich. Vor einigen Jahren. Nein, ich meine nicht den Autounfall. Es war noch etwas anderes vorgefallen. Etwas, was mein Leben zur Hölle machte. Aber diese Geschichte erzähle ich euch wann anders. Sie hat hiermit schließlich nichts zu tun.

Als aber auch am dritten Tag nichts ungewöhnliches passierte, erklärte ich mich offiziell als zu paranoid und beschloss, morgen wieder in die Schule und auf die Arbeit zu gehen.

Um sieben Uhr Abends begann ich, mal wieder im Darknet zu surfen. Auch, um zu schauen, ob mir jemand komische privat-Nachrichten über meine Internetseite thispersondoesnotexist.onion geschrieben hatte. Aber auch da Fehlanzeige.
Es fragten mich lediglich fünf anonyme Personen, ob sie jeweils eines meiner Bilder kaufen konnten. Zwei davon waren Fotos von Frauen, eins des eines Mannes, alle dem Augenschein nach Mitte vierzig, und das letzte ein kleiner Junge. Erleichtert atmete ich aus. Alles wie immer. Und kein Bild von mir.

Zu Anfang meines Geschäfts verzog ich oft das Gesicht bei dem Gedanken, was diese Personen mit den Fotos von den Leuten, die ich auf meiner Seite hochlud, vor haben könnten.
Oft das Gesicht verziehen schafft jedoch früher Falten. Und eigentlich wollte ich auch garnicht mehr an mögliche Szenarien denken, weswegen meine Gesichtshaut auch heute, als ich die fünf Bilder gegen Bitcoin eintauschte, glatt wie ein Babypopo war.

Ihr fragt euch was mögliche Szenarien sein könnten?
Ich nahm an, dass die Bilder beispielsweise ziemlich gehäuft zum catfishen verwendet werden, oder um Leute im Darknet zu verarschen. Oder von Pädophilen. Diese hatten quasi ein Alibi mit den gekauften Kinderfotos, da diese Kinder garnicht existierten. Jedoch benutzten nicht nur solche Leute die Angebote meine Seite - viele Videospielentwickler nahmen die Bilder, um auf diesen basierend die Charaktere ihrer Spiele zu designen. Sowas machte mich echt stolz und ich freute mich jedes Mal ins unermessliche, wenn mir ein solcher Entwickler eine Nachricht schrieb.

Nachdem ich meine Geschäfte erledigt hatte, loggte ich mich aus thispersondoesnotexist.onion aus.
Nun befand ich mich auf der Seite des
„Hidden Wikis". Das war so eine Art „Startseite", auf welcher etliche Links zu irgendwelchen Seiten des Darknets aufgelistet waren. Manchmal klickte ich mich durch diese aus Neugier durch.

Ich scrollte und scrollte vorbei an Seiten wie rent-a-hacker.onion, oder bathroomcams.onion, bis hin zu yourhitman.onion. Schließlich kam ich zu einer Seite Namens darkposts.onion. Es war ein Forum, wo man Beiträge posten konnte, welche sich jedoch alle auf ein Thema bezogen: etwas herauszufinden. Bzw. jemanden zu finden. Ich rutschte mit meiner Hand ab und klickte ausversehen auf den Link. Eigentlich interessierte mich sowas nicht, aber wenn ich sowieso schon da war, konnte ich ja auch mal einen Blick auf die Seite werfen. Ich entdeckte jemanden mit dem Nutzernamen sweetteddybear, der ein Bild eines kleinen, etwa sechsjährigen Mädchens, gepostet hatte und fragte, wo dieses wohnen würde. Tatsächlich hatte er nur Beleidigungen wie zum Beispiel: »Du ekelhafter Kinderschänder«, als Antworten bekommen.
Kriminelle hassten Pädophile.

Ich scrollte weiter und sah einen Post einer Nutzerin, welche sich nach dem Besitzer eines bestimmten Autokennzeichens erkundigte.

Der nächste Post jedoch lies das Blut in meinen Adern gefrieren. Es war erneut ein Bild eines Mädchens. Braune, lange Haare, Sommersprossen, dunkle Augen. Ich war komplett erstarrt.
Das war ein Bild von mir. Das Bild, welches ich aus versehen auf meiner eigenen Seite hochgeladen hatte.
Unter dem Bild stand mein voller Name und mein Alter: Rachel Brown. 21 Jahre.
Meine Augen, in welchen sich nun Tränen sammelten, wanderten wie in Trance zu dem Benutzernamen des Posterstellers. Donotcry666.
Wow, wie überaus passend.

Auch dieser Benutzer fragte nach meinem Wohnort. Mir wurde heiß und kalt, ich wollte mir nicht die Antworten ansehen. Nicht sehen, ob jemand schon meine Adresse hereingeschrieben hatte.
Als ich es doch tat, fiel das Ergebnis nicht zu meinen Gunsten aus.

Mein Schockzustand wechselte augenblicklich zu unglaublicher Frustration.
Ich schlug so fest auf meinen Schreibtisch, dass mein WLAN-Router auf den Boden knallte.
»SCHEISSE, WIESO PASSIERT SOWAS IMMER MIR?!«
Mein Laptop zeigte sofort ein Verbindungsproblem an und ersetzte so die schwarze Forum-Seite durch ein weißes Hilfsfenster.

Ich versuchte mich entsprechend den Umständen zu fangen und hob mit zitternden Fingern den Router wieder auf. In der Zeit überlegte ich fieberhaft was ich tun sollte.
Ich würde dem Admin der Seite anschreiben müssen und fragen, ob er den Post löschen könnte.

Entschlossen von meinem Vorhaben aktualisierte ich die Seite also.
Adrenalienschübe schossen im Sekundentakt durch meinen ganzen Körper, während ich erneut herunter scrollte.
Ich scrollte und scrollte.
Doch der Post war nicht mehr da.

This Person Does Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt