Mit tränenerstickter Stimme rief ich May an. »M-May? K-annst du bitte vorbeik-kommen?«
Ganz leise hauchte ich noch ein: »Ich glaube ich w-werde verrückt« hinterher.Es war nun zwar schon zehn Uhr Abends, jedoch wohnte sie nur zwei Minuten Fußweg von mir entfernt, weswegen ich davon ausging, dass meine Frage okay wäre. Wir hatten uns schon in der Vergangenheit öfter so spät getroffen.
Sie fragte garnicht nach wieso. Entweder, weil sie es sich schon denken konnte, oder weil es ihr egal war, hauptsache sie konnte mich trösten. Dafür liebte ich sie.
»Geb mir fünf Minuten«, antwortete sie deshalb nur schlicht und ergreifend. Ich hörte jedoch eine Spur Mitleid in ihrer Stimme mitschwingen. Ich nickte und legte auf. Erst später fiel mir auf, dass sie mein Nicken garnicht sehen konnte.Schließlich hörte ich die allzu bekannte Melodie der Klingel meines kleinen Hauses. Aber nicht wie sonst freute ich mich - der Klang löste auf einmal unglaublichen Disstress bei mir aus. Was wäre, wenn das vor der Tür nicht May war?
Wie in Zeitlupe setzte ich einen Fuß vor den anderen und nährte ich mich so der Tür.
»M-May?« piepste ich, als ich direkt vor ihr stand. So kannte ich mich garnicht. Ich war sonst immer das starke Mädchen, dem niemand was anhaben konnte.
Das war jedoch auch mal anders. Meine Vergangenheit machte mich aber zu der, die ich heute bin. »Ja, ich bins Rachel. Lass mich rein.«
Erleichtert atmete ich aus, als ich den hellen Klang ihrer Stimme hörte und öffnete die Tür.Dort stand sie in Jogginghose und mit zerzaustem, blonden Haar. Ihr Gesicht glühte. Allem Anschein nach war sie wohl den Weg gerannt. Als mein Blick auf ihr aufmunterndes Lächeln fiel, kamen mir die Tränen erneut hoch. Sicherheit. Ihr Lächeln versprach mir Sicherheit.
»D-Danke, dass du gekommen bist.« schniefte ich in ihr Oberteil, als ich sie in eine Umarmung zog.
»Aber klar, ich bin schließlich deine Beste Freundin.«Mit einer eindeutigen Geste bat ich sie herein und direkt auf mein Sofa. Wir setzten uns so, dass wir einander anschauen konnten und ehe sie nachfragen konnte was los war, sprudelte schon das vorhin erlebte aus mir heraus und ich erzählte ihr von meinem Bild auf darkposts.onion. Wie es auf einmal verschwunden war.
Ihre Augen weiteten sich und ihre Stirn legte sich in Falten.»Wow, das letzte mal, als ich dich so aufgebracht gesehen habe, war als dein Ex-Fr-« »Ja ich weiß«, schnitt ich ihr das Wort ab.
Ich wollte nicht darüber reden. Nicht jetzt.
May verstand sofort und nahm vorsichtig meine Hand in ihre. »Rachel, es wird alles gut werden. Vielleicht warst das auf dem Bild garnicht du, sondern lediglich ein Mädchen, welches dir ähnlich sah. Und selbst wenn du das warst, heißt es nicht, dass dich jetzt zwanghaft jemand verfolgt. Und wenn doch, rufst du einfach die Polizei. Die werden dir helfen. Ich werde dir helfen.« Ich spürte, wie meine Tränen langsam auf meiner Wange trockneten. Nach einer kurzen Pause ergänzte May noch: »Ich werde dich morgen wie immer mit dem Auto zur Schule nehmen und danach lade ich dich noch beim Café ab. Dann musst du nicht alleine laufen.« Dankbar nickte ich. Allein schon ihre Präsenz lies mich besser fühlen.Schüchtern fragte ich noch, als sie nach einer Weile Anstalten machte zu gehen, »Kannst du bitte heute bei mir schlafen? Ich glaube nicht, dass ich es im Moment alleine in dem Haus aushalte.« Sie nickte und ließ sich wieder neben mich fallen. »Natürlich«, und zog noch ein freudiges: »Ladyyyyys nighhhht.« hinterher. Nun lächelte auch ich nach drei Tagen zum ersten Mal wieder.
Ich bewunderte Mays stets positive, ausgelassene Art. Insgeheim wollte ich gerne wie sie sein. Charakterlich waren wir nämlich sehr unterschiedlich, jedoch verfolgten wir die selben Interessen. Auch sie führte eine Darknet Seite. Cottonroad.onion. Ja, richtig gehört. Sie verkauft im Darknet Drogen. Besser gesagt sie und ihr Bruder Theo, welcher sich als leidenschaftlicher Dealer herausstellte.
Mays Aussehen war für ihre dunklen Geschäfte die beste Tarnung die man haben konnte.
Mit den großen, blauen Augen, dem kurzen blonden Haar, dem Pony und mit einer Größe von ein Meter fünfundfünfzig wirkte sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren eher wie vierzehn. Man würde sie niemals für irgendetwas illegales verdächtigen. Das einzig verräterische war ein kleines Tattoo an ihrem Handgelenk. Ein schwarzes Kreuz.Für was es steht, fragt ihr euch?
Sie hat es sich tätowieren lassen, nachdem ihre Mutter Alkoholikerin wurde und anfing sie und Theo zu schlagen. Für May war sie von dem Zeitpunkt an gestorben.
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This Person Does Not Exist
Mystery / ThrillerMeine Mom bläute mir früher immer ein, wie wichtig es wäre, zwar auch mal Fehler zu machen, da man durch diese am meisten lernen würde... ... Man in manchen Situationen aber einfach keine Fehler machen sollte. Sie werden dich sonst für den Rest dein...