DREI

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Vor einem Jahr

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Vor einem Jahr

Nur das laute Prasseln des Regens unterbrach meine Gedanken. Ansonsten herrschte Totenstille in dem Internatszimmer.
Ich hasste alles an dem Gebäude, an den Menschen und an dem System. Am liebsten wäre ich jetzt an der kalifornischen Küste und würde einen Cocktail aus einer Kokosnussschale trinken. Während ich auf das cyanblaue Wasser schaute und die Delphine über die Wellen springen zu beobachten.

Jedoch war dieses Internat ein Sprungbrett für Oxford. Wenn ich später vorzeigen kann, dass ich hier meinen Abschluss gemacht hatte, wird mich die Uni bestimmt annehmen. Denn Oxford wurde mir versprochen und ich werde mich nicht mit weniger zufrieden geben.

Ich lag eingebettet zwischen Kissen und Decken in meinem Bett. Zu meiner Rechten kühlte der Limonentee, den Eloise für mich gemacht hatte, ab. Zu meiner Linken wartete das recycling-braune Kuvert auf mich. Ob Mrs. Murphy es vermisste?

Während Eloise ihrem Liebhaber hinterher sprang, gab ich mich als krank aus, um etwas Ruhe für mich zu haben. Oder besser gesagt, wollte ich ohne Unterbrechung die Lösungen auswendig lernen.

Allein kuschelte ich mich in die vielen Kissen und starrte an die gegenüberliegende Tür. Ich hätte lachen können, wenn mir jemand gesagt hätte, dass es ganz einfach war das Kuvert zu öffnen.
Diese Tat war der Unwiderruflichkeit geweiht. Und mit jedem Schritt, den ich durch Oxford schreiten würde, würde das schlechte Gewissen auf mich herab prasseln.

Eine Betrügerin war ich und dazu noch eine feige, die sich nicht einmal traute ein Stück Papier aus einem Umschlag zu nehmen. Wenn auch nur eine Person über die fehlenden Lösungen wissen wird, dann war Oxford gelaufen. Dann konnte ich meine Habseligkeiten zusammenpacken und nach Dublin zurückkehren in das Leben, das ich nie wollte.

Seit der Nacht im Lehrerzimmer gab es keinen Ausruf und ich hatte auch nicht von Zimmerdurchsuchungen gehört. Alles arbeitete normal weiter.

Und selbst wenn ich die Lösungen zurück in das Lehrerzimmer schmuggelte, würde ich die Prüfung nicht bestehen. Deswegen sollte es mir egal sein. Wer hätte gedacht, dass ich -Imogen Sweeney- Mal nervös werden konnte?

Remi kam, ohne anzuklopfen in mein Zimmer. ,,Für dich bin ich nicht einmal in Französisch.", begrüßte er mich.

Er beugte sich zu mir hinunter und küsste mich flüchtig, dann richtete er sich wieder auf und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Ihm war es gleich, dass ich angeblich krank war oder er durchschaute mich.

Wenn er wüsste, dass kein Licht in mir aufging, wenn ich ihn sah.  Seine Stimme berührte mich nicht mehr so wie vor einem halben Jahr. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flogen davon, die ein trübes Nichts hinterließen. Dasselbe fühlte ich nicht mehr. Möglicherweise empfand er dasselbe, aber er hatte genauso wenig wie ich ein Mitteilungsbedürfnis.

Tatsächlich erging es mir deswegen nicht schlecht. Vielleicht werden später in ferner Zukunft meine Gefühle zurückkehren. Und wenn nicht, dann mache ich einen Schlussstrich. Was fand ich damals an ihm?

Es entsprang dem Zufall, dass er dasselbe für mich empfand. Die sprühenden Funken verglommen und er fand sich damit ab. Wir waren noch ein Paar, aber ich hoffte, dass sich das noch ändern würde.

,,Was ist in dem Kuvert?" Er deutete zu meiner Linken.

Sollte ich ihm sagen, dass dort die Lösungen für Französisch waren? Er lernte in demselben Kurs wie ich. Die Lösungen wollte er bestimmt auch haben, wenn ich ihm von ihnen erzählte. Hätte er sie mir gegeben? Nein, er würde mir nicht einmal etwas davon sagen. Er würde sie für sich behalten und am Ende der Prüfung mir diese vorhalten.

Ich musste es ihm anvertrauen. Nur noch mehr Leute werde ich betrügen, wenn ich es selbst ihm nicht erklären konnte, denn es hatte einen guten Grund. In einer Beziehung sollte man offen miteinander kommunizieren, oder?

,,Kirk hat mir Empfehlungen für gute Colleges gegeben und die wollte ich durchschauen.", belog ich ihn.

,,Ach wirklich? Ich dachte du wirst dich bei Oxford einschreiben lassen." Trotz schwang in seiner Stimme mit, der mich umso wütender machte.

Ich ignorierte seine Antwort und sah ihm zum ersten Mal an diesem Tag in die Augen. Das hellbraun in seiner Iris war matt. Kleine dunkelbraune Sprenkel umkreisten die Pupille.

Irgendetwas zwischen unserem intimen Augenkontakt sagte mir, dass es vorbei sein musste. Denn dieser ewige Kampf zwischen uns musste ein Ende gesetzt werden. Ich konnte nicht mehr das falsche Spiel, das wir einander vorspielten, aushalten.

Mir wäre es so leicht über die Lippen gekommen. Meine Worte waren einfach gewählt. Das zwischen uns ist nicht mehr das Richtige. Wir sollten unserer Beziehung ein Ende setzen.

Doch er unterbrach meine finsteren Gedanken:,,Läuft da etwas zwischen Kirk und dir?"

Denkt er ich wäre untreu? Dass ich nicht immer den Anschein machte, war mir klar. Jedoch konnte er mir nicht verbieten mit anderen Jungen zu sprechen.

,,Er ist ein guter Freund. Manchmal hilft er mir beim lernen, aber mehr ist da auch nicht. Du musst mir glauben, dass da zwischen uns nichts ist."

,,Ich hoffe, dass ich dir vertrauen kann. Denn in letzter Zeit machst mir du mir nicht den Anschein, als ob du Interesse an mir hast."

Mir ging das in die gewaltig falsche Richtung. WAs fiel ihm ein zu denken, dass ich mit jemanden anderen etwas hatte? Und dazu noch ein Freund von ihm? Ja, ich war unzufrieden in unserer Beziehung und am liebsten hätte ich auch der Stelle mit ihm Schluss gemacht.

Doch ich traute mich nicht das Band zu reisen, das zwischen uns schwebte. Denn wir hatten daran gearbeitet und so viele Erinnerungen waren daran geknüpft, dass ich es nicht einfach wegschmeißen konnte.

,,Ich liebe dich und daran wird sich nie etwas ändern." Eine Lüge, die ich ihm einredete, damit meine Gedanken nicht allzu laut wurden.

Ich liebte Remi.

Ich griff nach seinen Kopf und drückte meine Lippen auf die Seinige.

Seit Anbeginn unserer Beziehung sagte ich oft Unwahrheiten. Mit diesen vergeblichen Versuchen vertuschte ich meine Gedanken. Ab dem Zeitpunkt  an dem ich wusste, dass er dasselbe für mich empfand wie ich für ihn hatte ich die aufgebauschten Gefühle für ihn verloren.

Er löste sich von mir und erleichtert atmete ich auf. Er glaubte mir.

,,Ich vertraue dir." Er schenkte mir einen nachsichtigen Blick, dann nahm er sogar seine Hände von meinen Schultern.

,,Jetzt sollte ich besser für die Französisch-Klausur lernen. Und Eloise wird bestimmt gleich kommen und sie will auch in Ruhe lernen."

Er verstand meine Aufforderung und wandte sich vom Fenster ab. Remi hatte nach etwas in der Ferne gesucht.
Es stimmte mich unruhig zu wissen, dass er nicht nur für mich hier war. Er wartete auf jemanden, auf etwas, das nicht kommen wird.

,,Du solltest dich besser erholen, aber das ist deine Entscheidung. In Zukunft wird bestimmt noch mehr auf uns zukommen", erklärte er mit Nachdruck.

Sein Blick glitt erneut aus dem Fenster in die Auffahrt, dann weiter zu dem kleinen Wäldchen. EIn paar Meilen entfernt von uns schlugen die Wellen des Atlantiks an die tiefen Klippen.

Am liebsten würde ich seine Gedanken jetzt lesen können. Zu wissen, was in Köpfen anderer vor sich ging, faszinierte mich. Doch er würde mir sicher nicht Antworten auf meine unzähligen Fragen geben. Denn er war noch nie Freund von Offenheit.

Ein weiteres Mal betrügte ich ihn und auch mich. Jeden Tag schwindelte ich ihn auf ein Neues an und jede Lüge glaubte er mir. Sollte ich mich dafür schlecht fühlen? Bestimmt, aber das tat ich nicht. Denn er konnte mich in wenigen Tagen als seine schlimme Ex bezeichnen, die ihm nichts vergönnte und deswegen genoss ich die wenigen Augenblicke, die wir noch hatten.

Ich schaute nicht auf, als die Tür ins Schloss fiel. Ich hätte so viel sagen können. Aber es waren nur wenige Momente übrig, die wir noch hatten.

Meine linke Hand griff nach dem Kuvert, das schon so lange auf mich wartete.

In Oxford wird Remi nicht mehr sein.

So spann ich den ersten Faden des Lügennetzes, das mich zwischen Angst und Unwahrheiten hielt. Wie lange brauchte es, bis ich hinaus fiel?


MONDLICHTGEWITTERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt