Ich hörte ein Stück von Heimat nach mir rufen.
Meine Mom, die am anderen Ende der Leitung saß, fragte mich nach meinem Tag. Ihr helles Lachen knisterte durch die Leitung, erfüllte den Lautsprecher mit ihrer Stimme.
,,Ich bin froh, wenn du mich wenigstens einmal die Woche anrufst." Sie seufzte.
Ich hätte wissen müssen, dass sie mir direkt einen Vorwurf machte. Ja, ich hätte mich öfters bei ihr melden sollen, aber ich hatte nicht die Zeit dafür, die sie von mir erwartete. Die kurzen Telefonate liefen meist auf dieselben Themen hinaus. Entweder über Bethanys Alltag, die einzige meiner Mitschülerinnen, die sie je kennenlernte oder es handelte sich um meine Noten.
,,Kenneth rief damals alle drei Tage an, obwohl er eine Freundin hatte."
,,Ja, Mom ich weiß. Momentan spielt sich hier viel ab. Ich finde leider kaum Zeit, um mich bei dir zu melden." Eine einfache Lüge, die ich ihr vorwarf.
Tatsächlich spielte sich viel im Internat ab, aber ich wollte mir nicht die Zeit für ein Telefonat machen. Mich in meiner Freizeit mit Konfrontationen auseinander zu setzen, erlaubte ich mir nicht.
Trotz ihrer Vorwürfe und den Anklagen, die sie mir an den Kopf warf, unterdrückte ich meine Tränen.
Der Geruch von meinem eigenen Zimmer fehlte mir. Ich vermisste die Poster an der Wand und den weiten Ausblick über das Meer, das Mähen von den Schafen zu dem ich aufwachte. Die großen Räume und mein deckenhoher Kleiderschrank fehlten mir.
Der Garten, der bei den Klippen endete. Das alles gehörte zu meiner Kindheit, die ich ab dem Zeitpunkt, als ich auf das Internat ging, hinter mir ließ.
Die bunten Stofftiere und mein Puppenhaus konnte ich in meinen ersten Ferien nicht mehr finden.
Mit jedem Jahr verschwanden Dinge, an denen ich hängte.
Meine Poster rollte ich nur auf, wenn ich zu Besuch kam. Sie hingen ein paar Wochen an den Wänden, bis ich sie wieder von der Wand nahm und in den Tiefen meines Kleiderschranks verstaute.
,,Eine meiner Mitschülerinnen ist verschwunden. Ich meldete mich als Zeugin. Und als sichere Stütze brauche ich einen Anwalt."
,,Findest du nicht, dass es gerade zu viel ist? Du hast bestimmt nur eine kurze Aussage machen müssen.", hakte sie nach.
So formuliert stimmte es auch. An mir hing nichts. Ich gehörte nicht zu den Verdächtigen, noch war ich ein Kronzeuge.
,,Kannst du ihn wenigstens informieren? Wenn ich später auf ihn zukomme, will ich, dass er unterrichtet ist."
,,Wer ist das Mädchen?" Ihre Stimme knisterte durch das Telefon.
,,Mabel Walsh. Sie geht in denselben Jahrgang wie ich."
Das erstaunte Aufatmen meiner Mutter überhörte ich nicht. ,,Die Jüngste von den Walsh's?"
Ich bejahte ihre Frage.
,,Dann hoffen wir mal, dass sie lebendig gefunden wird. Sie könnte zum Beispiel als Geisel genommen sein. Diese Fälle sind besonders schlimm."
,,Kümmerst du dich um den Anwalt?" Emotionslos glitt mir meine Frage über die Lippen, so als schätzte ich Mabel nicht.
,,Ich werde ihn informieren, aber an mehr traue ich mich nicht. Vielleicht bist du nicht von Relevanz."
Die Hoffnung, die in mir erblühte, dass wir uns vertragen konnten, verwelkte in Windeseile. Ich wusste, dass sie es falsch formulierte, dass sie es nicht meinte. Dennoch brach meine Zuversicht in sich zusammen. Die Gewalt meiner Mutter wälzte sich über mich hinweg, die vertrockneten Blätter zerkrümelten sich unter der Kraft ihrer Worte. Sie hinterließ Staub, den ich inhalierte. Pein grub sich aus dem tiefsten Inneren meiner Lunge hervor.
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MONDLICHTGEWITTER
Mystery / Thriller»Sie hängte ihr Herz an ihn, bevor er es in ihrem Krieg verlor.« Eloise wusste ab dem ersten Augenblick nicht, wie ihr geschieht, als sie Aspen traf. Aspen Bloom, der unnahbare Fremde, der kaum ein Wort mit ihr gesprochen hatte. Er wird derjenige se...