- Lola -
„Du hattest es ja ganz schön eilig, Großer“, sage ich und halte Danny an der Schulter fest, um ihn zum Stehen zu bringen, als er das letzte Stück seiner Eiswaffel in seinem schokoverschmierten Mund verschwinden lässt.
„Es ist ja auch voll warm! Da muss man Eis schnell essen. Sonst schmilzt es“, erwidert Danny und nickt mit wichtiger Miene, während ich mich mit einem amüsierten Lächeln vor ihn hinknie und ihm mit einer der Servietten von der Eisdiele, bei der wir einen spontanen Zwischenstopp eingelegt hatten, den Mund abwische.
„Ich meinte damit auch nicht dein Eis, du kleines Schleckermäulchen“, sage ich und stupse Danny einmal spielerisch mit der nun zusammengeknüllten Serviette gegen die Nase, was ihn aufkichern lässt, bevor ich mich wieder aufrichte und weiter auf die Autowerkstatt von Habibs Onkel am Ende der Straße zu gehe, „ich meinte damit eigentlich vorhin.“
Dannys gerade noch recht fröhlicher Gesichtsausdruck nimmt nachdenkliche Züge an, während er neben mir hergeht und sich seine kleine Stirn in Falten legt. „Was denn für ein vorhin, Lola?“
„Na ja“, ich seufze leise, während ich den kleinen Serviettenball mit einem gekonnten Wurf in den nächstgelegenen Mülleimer am Bürgersteigrand werfe, „vorhin, als wir gegangen sind. Du warst ja so schnell unterwegs, dass ich fast die Treppe hinter dir herunter gestolpert bin.“
„Vielleicht wirst du alt“, entgegnet Danny und grinst mich frech von der Seite an, nur um im nächsten Moment erneut aufzukichern, als ich beginne ihn durchzukitzeln.
„Vorsicht, Großer. Ganz dünnes Eis.“
„Aber wieso denn?“, erwidert Danny immer noch kichernd und schaut zu mir hoch, als ich ihn wieder losgelassen habe, „du heiratest doch bald. Und heiraten tun nur alte Leute.“
„Na, vielen Dank. Das wird ja immer besser“, erwidere ich und verdrehe lächelnd die Augen,
bevor mein Gesicht wieder etwas ernster wird, „aber jetzt mal Spaß beiseite, Danny. Du hast dich vorhin wirklich sehr beeilt. Um genau zu sein, als Christoph aufgetaucht ist. Und glaub bloß nicht, dass ich übersehen habe, dass du ihn beim Rausgehen angerempelt hast. Ich dachte, du weißt, dass man so etwas nicht macht.“
„Weiß ich auch“, entgegnet Danny und der Trotz in seiner Stimme lässt mich die Augenbrauen heben.
„Und warum hast du es dann gemacht?“
Ohne meinen Blick zu erwidern zuckt Danny mit den Schultern, wobei sein Rucksack auf und abwippt.
Schweigend betrachte ich meinen kleinen Bruder von der Seite, bevor ich ein weiteres Mal aufseufze.
„Du magst Christoph nicht besonders, oder?“ Anstatt mir zu antworten, verzieht Danny das Gesicht und gibt ein schnaubendes Geräusch von sich, was ich mal als eine Art der Zustimmung interpretiere. „Ist es wegen dem einen Mal, als er versucht hat, dir etwas in Mathe zu erklären? Habt ihr euch da vielleicht gestritten oder so?“
Danny zuckt mit den Schultern, schüttelt dann aber mit dem Kopf, während er weiter beim Gehen stur geradeaus schaut.
„Und warum magst du ihn dann nicht? Ist vielleicht irgendetwas anderes zwischen euch beiden vorgefallen, weswegen du ihn nicht leiden kannst?“ Als Danny mir nach einigen schweigenden Schritten immer noch keine Antwort gibt, seufze ich erneut und vergrabe meine Hände in meinen Hosentaschen, „schön, dass du so gesprächig bist, Großer.“
Für eine Weile gehen wir wortlos nebeneinander her, bis ich aus den Augenwinkeln bemerke, dass Danny immer wieder in meine Richtung schaut und schließlich tief Luft holt.
„Ich mag den Bücherhalter einfach nicht“, murmelt er und schaut dabei auf den Boden vor sich, während er die Gurte seines Rucksacks über den Schultern fest mit seinen kleinen Händen umklammert, so als würde er sich daran festhalten.
„Weil er ständig mit Mama zusammen ist?“, frage ich vorsichtig und bleibe stehen, um mich erneut vor Danny hinzuknien, der langsam nickt.
„Ja“, Dannys Nicken wird etwas fester, „immer wenn er vorbeikommt, schickt Mama mich in mein Zimmer. Und wenn die beiden weggehen, muss ich immer zu Timo oder zu dir. Das ist total gemein!“
Wütend stampft Danny mit seinem Fuß auf und lässt die Gurte seines Rucksacks los, um seine kurzen Arme vor der Brust zu verschränken.
„Ja, das kann ich gut verstehen, dass du das gemein findest“, sage ich und streiche Danny mit einem mitfühlenden Blick durch die blonden Haare, „ich schätze mal, dass die beiden sich einfach in Ruhe kennenlernen wollen.“
„Aber sie kennen sich doch schon.“
Dannys verwirrter Blick lässt mich kurz auflachen. „Ja, schon. Aber…bei Erwachsenen ist das mit dem Kennenlernen immer ein bisschen komplizierter und dauert etwas länger.“
„Erwachsene sind echt komisch“, murmelt Danny und verzieht das Gesicht erneut, bevor er fragend den Kopf zur Seite legt, „magst du den Bücherhalter denn?“
Ich zucke mit den Schultern. „Dafür kenne ich ihn zu wenig.“
„Also wirst du doch alt. Du brauchst auch total lange, um jemanden kennenzulernen.“
„Nein, ich…ach, Danny“, halb lachend, halb seufzend fahre ich mir mit einer Hand durch meine dunklen Haare, „ich habe Christoph heute erst zum dritten oder vierten Mal gesehen und wir haben bislang nicht mehr als ein paar kurze Begrüßungen ausgetauscht. Ich habe noch nie mit ihm länger gesprochen oder mich mit ihm über irgendetwas unterhalten, im Gegensatz zum Beispiel zu dir und eurer Matheerklärstunde. Gut, mein erster Eindruck von Christoph war jetzt nicht unbedingt der allerbeste und ich finde ihn und sein Verhalten manchmal etwas…na ja, sagen wir mal komisch, aber das heißt ja noch lange nicht, dass er ein schlechter Kerl ist.“
„So wie mein Papa.“
Was?
Überrascht hebe ich die Augenbrauen.
Danny hat noch nie von sich aus von seinem Vater gesprochen oder auch nur nach ihm gefragt.
Nicht mal, als er noch im Kindergarten war und durchaus mitbekommen hat, dass es in der Regel eine Mama und einen Papa in einer Familie gibt.
Nein, für ihn gab es immer nur Mama und mich.
Und jetzt…sagt er so etwas?
„Wie…“, ich räuspere mich kurz und blinzle mehrfach, „wie kommst du darauf, dass dein Papa ein schlechter Kerl ist, Danny?“
„Weil Mama das gesagt hat“, erwidert er, während sich meine Augen nun um ein Vielfaches weiten, „ich habe einmal gelauscht, als sie sich zusammen mit dem Bücherhalter im Wohnzimmer unterhalten hat und da hat sie gesagt, dass mein Papa ein totaler Mistkerl gewesen ist. Vielleicht mag Mama mich ja auch deshalb nicht mehr.“
„So ein Unsinn, Danny.“ Sanft, aber bestimmt lege ich zwei Finger unter Dannys Kinn und drücke seinen Kopf, den er mitsamt seiner Schultern hängen gelassen hat, wieder nach oben, sodass er mich ansehen muss. „Mama liebt dich über alles, Großer. Und nur, weil sie sich nicht mehr mit deinem Papa versteht, bedeutet das noch lange nicht, dass sie dich deshalb weniger liebt.“
„Und warum schickt sie mich dann immer weg?“
Ich schlucke schwer, als ich sehe, wie Dannys Unterlippe zu zittern beginnt. „Wie gesagt, ich denke, dass Mama Christoph einfach in Ruhe kennenlernen möchte. Und vielleicht denkt sie auch, dass es für dich auf Dauer zu langweilig wäre, ständig irgendwelchen Erwachsenengesprächen zu lauschen und schickt dich deshalb so oft zu Timo oder zu mir. Ich meine, du weißt ja selber, wie schnell du dich langweilst, wenn Zoe und ich zum Abendessen vorbeikommen und uns den halben Abend mit Mama nur unterhalten.“
„Das ist ja auch voll langweilig“, entgegnet Danny und ich muss schmunzeln, als ich sehe, wie sich erneut kleine Falten auf seiner Stirn bilden, so als würde er über meine Worte nachdenken.
„Siehst du“, sage ich und zwinkere meinem kleinen Bruder vielsagend zu, bevor ich mich mit einem verschwörerischen Blick ein Stück zu ihm vorlehne, „und so eine kleine Tour mit einem Auto von Habibs Onkel ist doch auch viel spannender, findest du nicht?“
„Ja klar“, erwidert Danny und mein Schmunzeln wird etwas breiter, als sich Dannys Mundwinkel zu einem fröhlichen Lächeln heben.
„Na, siehst du“, sage ich und streiche Danny einmal durch seine blonden Haare, bevor ich wieder aufstehe und mit dem Kopf Richtung Ende der Straße deute, „dann lass uns mal weitergehen. Vielleicht kann Habib ja eine kurze Pause einlegen und sofort mit dir eine kleine Runde um den Block drehen. Oder du darfst zusehen, wie Habib und die Angestellten seines Onkels an den Autos herumschrauben und sie reparieren.“
„Au ja!“, ruft Danny und hüpft kichernd auf der Stelle auf und ab, bevor er weiter neben mir hergeht. Aus den Augenwinkeln bemerke ich jedoch, wie sein Blick nur einige Momente später wieder etwas grübelnder wird. „Du…Lola?“
„Ja, Danny?“
„War…“, ich drehe im Gehen meinen Kopf zu meinem kleinen Bruder und sehe, wie er kurz innehält, bevor ebenfalls zu mir schaut, „war dein Papa auch ein Mistkerl?“
Ich spüre, wie sich wieder dieser schwere Kloß in meinem Hals formt und ich weiche Dannys Blick für einen Moment aus, um stattdessen auf den Bürgersteig vor mir zu schauen.
Auch wenn sie für mich ziemlich aus dem Nichts gekommen ist, ist Dannys Frage durchaus berechtigt, da wir ja auch gerade über seinen Vater gesprochen haben.
Und ich kann ihm seine Frage auch nicht verübeln…er kann schließlich nicht wissen, dass es für mich auch nach all den Jahren immer noch sehr schwer ist, über meinen Vater zu
sprechen…
„Nein“, sage ich nach einer Weile des Schweigens und schüttle langsam den Kopf, wobei sich meine Stimme in meinen Ohren ein wenig rau und fremd anhört, „nein, mein Papa war kein Mistkerl.“
„Und wo ist er dann?“, fragt Danny und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie er erneut seinen Kopf schief gelegt hat, „also, warum ist er nicht bei uns? Hat er eine andere Familie?“
„Nein“, ich schüttle ein weiteres Mal den Kopf und atme tief durch, bevor ich wieder zu Danny schaue, „mein Papa lebt nicht mehr, Danny. Er ist bei einem Motorradunfall gestorben, als ich noch sehr jung war.“
„Oh…“ Ein schuldbewusster Ausdruck macht sich auf Dannys Gesicht breit, so als würde er bereuen, mir diese Frage gestellt zu haben, doch bevor ich ihm versichern kann, dass das
schon in Ordnung gewesen ist, geht er etwas dichter neben mir und umarmt meine Hüften im Gehen von der Seite. „Du musst nicht traurig sein, Lola. Du hast mich. Und ich lass dich nie alleine. Nie.“
Obwohl mir nicht danach ist, formt sich ein schwaches Lächeln auf meinen Lippen und ich lege vorsichtig einen Arm um Dannys Schultern, um ihn beim Gehen noch ein Stück näher zu mir zu ziehen. „Und ich dich auch nicht, Großer.“
„Versprochen?“, fragt Danny und schaut aus seinen großen braunen Augen zu mir hoch, woraufhin ich fest nicke und mein Lächeln etwas breiter wird.
„Ja, Großer. Versprochen.“
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romance- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...