- Lola -
Immer noch vollkommen irritiert starre ich den Typen blinzelnd an, der wie aus dem Nichts nur ein paar Meter hinter mir aufgetaucht ist und einen Zug von seiner Zigarette nimmt, dessen grauen Rauch er kurz darauf langsam auspustet.
Die dunklen Locken.
Die braunen Augen.
Die markanten Gesichtszüge.
Die Art, wie er seine Zigarette zwischen zwei Fingern hält und die andere Hand in seiner dunkelblauen und ölverschmierten Arbeitshose vergraben hat.
Und wie er mich mit einer hochgezogenen Augenbraue und diesem gewissen Blick betrachtet, in dem eine Mischung aus Schalk und Belustigung liegt.
Keine Frage, auf den ersten Blick sieht er meinem Vater sehr ähnlich.
Zum Verwechseln ähnlich…
Und für einen Moment ist es so, als wäre ich wieder fünf Jahre alt und das Mitzwanziger-Ich meines Vaters würde vor mir stehen und mich fragen, ob wir zu unserem Platz auf der Brücke am Stadthafen gehen und die dort anlegenden Schiffe beobachten wollen…
So als hätte es diesen Unfall nie gegeben und er wäre noch da…
Ich spüre, wie sich erneut ein schwerer Kloß in meinem Hals bildet und versuche ihn mühsam herunterzuschlucken, während der Typ, der einen weiteren Zug von seiner Zigarette nimmt, gelassen auf mich zu schlendert.
„Hast du gehört? Finger weg von meinem Bike, klar? Da verstehe ich echt keinen Spaß“, sagt er und pustet den Rauch erneut langsam aus.
Immer noch unfähig ihm zu antworten starre ich den Typen weiter ungläubig an.
Sogar seine Stimme gleicht ein wenig der meines Vaters…zumindest der Stimme, an die ich mich noch bruchstückweise erinnere…
Aber dafür fällt mir beim Näherkommen die schmale Narbe auf, die sich schräg über seiner rechten Augenbraue befindet.
Scheint so, als ob er meinem Vater doch nicht bis aufs Haar gleicht…
Wobei ich ehrlich gesagt nicht weiß, ob ich darüber enttäuscht oder erleichtert sein soll…
Während ich noch halb in meinen Gedanken versunken bin, bleibt der Typ vor mir stehen und lehnt sich sichtlich entspannt gegen die nebenstehende Wand des Autowerkstattgebäudes.
„Du redest nicht viel, oder Löckchen?“, fragt er und ich sehe, wie sich nach und nach amüsierte Züge auf seinem Gesicht ausbreiten, die mich zu meiner Überraschung leicht aufschnauben lassen.
„Das mit dem Löckchen sagt ja der Richtige“, entgegne ich patzig und verschränke mit einem Kopfdeuten auf seine Haare die Arme vor der Brust, was den Typen erst innehalten und dann grinsend das Gesicht verziehen lässt.
„Dafür, dass du vorhin keinen Ton rausbekommen hast, bist du jetzt ganz schön vorlaut“, sagt er und zwinkert mir schmunzelnd zu, bevor er mit dem Kopf auf sein Motorrad deutet, „kennst du dich aus?“
„Ich…ähm…“, verwirrt blinzle ich über den plötzlichen Themenwechsel und drehe meinen Kopf, um ebenfalls wieder zurück zu seinem Motorrad zu schauen und einen Moment später den Kopf zu schütteln, „nein, nicht wirklich. Aber mein Vater…also…er hatte so ein Motorrad. Ich glaube sogar, dass es dasselbe Modell gewesen ist.“
Das Grinsen des Typen wird ein Stück breiter. „Na, dann hat dein Vater auf jeden Fall Geschmack.“
„Hatte“, erwidere ich leise, bevor ich mich zurückhalten kann, und seufze ergeben, als ich sehe, wie der Typ leicht die Stirn runzelt, „mein Vater lebt nicht mehr…Motorradunfall…“
„Oh“, das amüsierte Grinsen verschwindet aus dem Gesicht des Typen und macht stattdessen einem überraschend mitfühlenden Ausdruck Platz, „scheiße…das tut mir Leid.“
„Ist schon eine Weile her“, erwidere ich knapp und straffe meine Schultern, während ich gleichzeitig bewusst dem Blick des Typen ausweiche.
Dass er Papa so ähnlich sehen muss, macht die Sache auch nicht gerade leichter…
„Magst du auch?“, fragt er und lässt dabei die Zigarette zwischen seinen Fingern auf und abwippen, woraufhin ich nur kurz den Kopf schüttle.
„Nein, danke. Ich hab aufgehört.“
„Respekt“, mit einem anerkennenden Nicken in meine Richtung nimmt der Typ einen weiteren Zug und zuckt anschließend mit den Schultern, „ich komme leider nicht von dem Zeug los. Aber es gibt Schlimmeres.“
„Ja, das stimmt“, murmle ich abwesend, während meine Gedanken sich parallel überschlagen.
Wie kann es sein, dass er wie Papa aussieht?!
Er hat sogar dasselbe oder zumindest ein ähnliches Motorrad wie er damals!
Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn…
„Und du…äh…arbeitest hier bei Habibs Onkel?“, frage ich, in der Hoffnung so die mittlerweile recht unangenehme Stille zu durchbrechen, worauf der Typ zum Glück mit einem kurzen Nicken eingeht.
„Ja, seit knapp einem Monat“, sagt er und runzelt erneut leicht die Stirn, während sich in seinem Blick Verwirrung und eine gewisse Art an Neugier mischen, „du kennst Habib?“
„Ja, klar“, sage ich und nicke, auch wenn mich sein Gesichtsausdruck etwas irritiert, „Habib ist einer meiner besten Freunde.“
„Ach so, okay“, der Mund des Typen verzieht sich zu einem weiteren Grinsen, „das erklärt natürlich einiges.“
„Aha?“, ich hebe eine Augenbraue, „und was?“
„Na ja“, er zuckt erneut mit den Schultern, „ich habe zuerst gedacht, du wärst eines der Mädels, die Habib aus dem Club kennt, aber dann hätte sich sein Frauengeschmack über Nacht ziemlich krass verändert.“
„Ja, allerdings“, stimme ich ihm mit einem leichten Lachen zu, während ich gleichzeitig bei der Vorstellung von Habib und mir das Gesicht verziehe, „das wäre für uns beide eine ziemliche Geschmacksverirrung.“
Das Grinsen des Typen wandelt sich ebenfalls in ein belustigtes Lachen, während ich gegen die erneut aufkommenden Erinnerungen ankämpfe.
Er lacht sogar so wie Papa…
„Nico?“
Der Ruf der polternden Stimme lässt uns beide zur Seite und damit zu Habibs Onkel Yusuf schauen, der am Eingang der Werkstatt erschienen ist.
„Da bist du ja“, sagt Yusuf, während der Typ neben mir Habibs Onkel kurz zunickt und einen weiteren Zug von seiner Zigarette nimmt, „kümmerst du dich gleich um den Wagen von Herrn Schneider? Er wollte in einer halben Stunde vorbeikommen und ihn abholen.“
„Klar, Boss. Kein Thema“, entgegnet der von Yusuf als Nico bezeichnete Typ, wobei beim Sprechen einige Rauchwölkchen seinen Mund verlassen und er einen letzten Zug von seiner Zigarette nimmt, die er anschließend auf dem Boden austritt.
„Sehr gut“, sagt Yusuf und nickt zufrieden, bevor er sich mit einem Lächeln zu mir wendet, „und ich schätze mal, dass mein Neffe wieder mit Danny unterwegs ist, stimmt’s Lola?“
„Ganz genau“, lächelnd zwinkere ich Yusuf zu, „du weißt doch, wie überzeugend mein kleiner Bruder sein kann.“
„Stimmt, das hat der Kleine wirklich gut drauf“, sagt Yusuf und lacht schallend auf, bevor er mit dem Kopf hinter sich auf das Autowerkstattgebäude deutet, „wenn du willst, kannst du drinnen auf die beiden warten. Layla macht dir bestimmt gerne einen Kaffee und ich glaube, sie wollte dich sowieso noch irgendetwas zu deiner Hochzeit fragen.“
„Ja, Habib hatte vorhin schon so etwas angedeutet“, erwidere ich immer noch lächelnd, während ich aus den Augenwinkeln bemerke, wie dieser Nico etwas erstaunt eine Augenbraue hebt.
Kein Wunder…in meinem Alter zu heiraten ist ja schon etwas ungewöhnlich…
„Sehr schön, da wird Layla sich freuen“, entgegnet Yusuf und nickt zufrieden, bevor er wieder zu Nico neben mir schaut, „und denk dran die Kippe wegzuräumen, wenn du sie ausgetreten hast.“
„Schon passiert, Boss“, erwidert Nico, der sich gerade zu dem ausgetretenen Glimmstängel hinabgebeugt und ihn aufhebt, bevor er sich wieder aufrichtet und anschließend zu mir schaut, „also dann…man sieht sich, Lola.“
„Ähm, ja…man sieht sich…“, erwidere ich leise, während mir Nico amüsiert zunickt und kurz darauf zusammen mit Yusuf wieder in der Werkstatt verschwindet.
Für einen Moment schaue ich den beiden noch nach, bevor ich mich wieder zu Nicos Motorrad umdrehe, welches immer noch dort an der Ecke des Gebäudes steht und dem Motorrad meines Vaters so sehr ähnelt.
Das…das kann doch einfach nicht sein…
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romance- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...