- Lola -
„Du wirkst irgendwie angespannt, Löckchen.“
„Ach quatsch. Wie kommst du denn darauf?“, entgegne ich so unbeschwert wie möglich, während ich die letzten Stufen im Treppenhaus hinunter stapfe und anschließend die Haustür aufstoße.
„Na ja, du wirkst eben einfach so“, geschickt huscht Nico noch rechtzeitig hinter mir durch die nach meinem Stoß wieder zufallende Tür, „wie gesagt, wir können den Test auch ruhig verschieben, wenn dir das heute doch nicht so gut passen sollte…“
„Nein, passt schon“, erwidere ich knapp, verstumme jedoch, als Nico mich an meiner Schulter packt und zu sich umdreht, wodurch ich direkt in seine forschenden braunen Augen schaue.
„Und was hast du dann?“, entgegnet er und hebt prüfend eine Augenbraue, „dich beschäftigt irgendetwas, das sehe ich dir an. Also, raus damit. Was ist los?“
Für einen Moment erwidere ich Nicos Blick stur, bis ich nach einer Weile jedoch tief Luft hole und meinen Kopf samt Schultern ergeben hängen lasse.
„Okay, okay. Du hast gewonnen“, murmle ich und mustere für einige Augenblicke meine Schuhspitzen, ehe ich den Kopf wieder hebe und zu Nico schaue, „es…es ist wegen meiner Mutter.“
„Wieso?“ Nico runzelt die Stirn. „Stimmt etwas nicht mit ihr? Ist sie krank oder so?“
„Na ja, also…sie war krank. Für eine sehr lange Zeit“, ich atme tief durch, in der Hoffnung dadurch mein schneller schlagendes Herz ein wenig zu beruhigen, „sie…sie hat sehr lange
gebraucht, um den Tod meines Vaters einigermaßen zu verkraften. Oder zumindest insoweit zu verkraften, dass sie ein einigermaßen normales Leben führen kann. Und ich mache mir einfach nur Sorgen, wenn wir…wenn sie dich…na ja…“
„Du meinst, wenn sie mich heute wegen dem Test sieht? Wegen meiner Ähnlichkeit zu deinem Vater?“, hilft Nico meinem sinnlosen Gestammel auf die Sprünge und atmet ebenfalls
tief durch, als ich langsam nicke, „verstehe. Jetzt macht es natürlich auch Sinn, warum du nicht allzu begeistert davon gewesen bist, dass deine Mutter auch bei dem Test mitmachen muss.“
„Ja, genau“, sage ich, wobei meine Stimme nicht mehr als ein zustimmendes Flüstern ist, bevor ich nach einem weiteren tiefen Luftholen meine Schultern straffe, „aber andererseits brauchen wir natürlich auch Gewissheit, ob unser Verdacht zutreffen könnte. Ich würde mir nur wünschen, dass ich meine Mutter irgendwie darauf vorbereiten könnte, damit sie keinen allzu großen Schock bekommt, wenn du auf einmal vor ihr stehst.“
„Vielleicht kannst du das ja auch.“
„Was?“, Nicos Einwand lässt mich mit einem verwirrten Blinzeln zu ihm schauen, „wie meinst du das?“
„Na ja“, Nico zuckt mit den Schultern, „ich könnte ja zum Beispiel erst mal draußen vor eurer Tür warten, bis du deiner Mutter alles erklärt und sie einigermaßen auf die Begegnung
vorbereitet hast. Dann ist der Schock vielleicht nicht ganz so krass.“
„Ja, das…“, ich grüble noch für einen kurzen Moment, ehe ich langsam nicke, „das klingt nach einer guten Idee.“
„Gewöhn dich dran, Löckchen. Ich hab nur gute Ideen.“
„Verstehe“, ich schmunzle über Nicos selbstgefälliges Zwinkern, „und dann bist du obendrein auch noch so überaus bescheiden.“
„Tja, dann kannst du dich ja in Zukunft mehr als glücklich schätzen, wenn ich tatsächlich dein großer Bruder sein sollte“, entgegnet Nico und lacht auf, als ich ihm spielerisch gegen den Arm boxe, „also, sollen wir dann los?“
„Ja, klar. Lass uns gehen.“
„Gehen?“
„Ähm, ja?“ Nicos spöttischer Gesichtsausdruck lässt mich überrascht die Augenbrauen heben.
„Ich meine, wie willst du denn sonst…“
Meine Worte verstummen, als ich Nicos seitlicher Kopfdeutung mit den Augen folge, bis diese an seinem Motorrad hängen bleiben, das ein Stück entfernt von uns neben einer Laterne steht.
Ist das sein Ernst?
Will er etwa…?
„Oh Mann, jetzt schau doch nicht so geschockt, Löckchen. Mittlerweile solltest du mich echt ein bisschen besser kennen“, sagt Nico und lacht belustigt auf, „ich meine, ich hätte ja wohl kaum so schnell bei dir sein können, wenn ich zu Fuß gegangen wäre, oder?“
„Gutes Argument“, murmle ich tonlos, während ich mich von Nico mit zu seinem Motorrad ziehen lasse und anschließend andächtig davor stehen bleibe, „und du willst, dass ich mit
dir...dass wir…darauf fahren?“
„Ganz genau.“ Mit einer geübten Bewegung löst Nico den schwarzen Helm, der auf dem hinteren Bereich des Motorrads mit einem Netz festgemacht ist, und wirft ihn mir gekonnt zu. „Hier. Sicherheit geht vor. Ich lasse nämlich niemanden ohne Helm auf mein Bike.“
„Ähm…okay“, sage ich und drehe den Helm etwas unschlüssig zwischen meinen Fingern, während Nico seinen locker an den Griff gehängten Helm abnimmt und aufsetzt, „ich…ich
bin aber noch nie gefahren.“
„Doch, bist du“, entgegnet Nico und klappt das Sichtfenster seines Helmes hoch, um mich besser ansehen zu können, „mit deinem Vater auf dem Foto, das du mir gezeigt hast. Erinnerst du dich?“
Ich verdrehe die Augen. „Das ist über zehn Jahre her.“
„Na und? Was macht das für einen Unterschied?“ Obwohl der Helm sein Gesicht zum größten Teil verdeckt, kann ich Nicos belustigtes Schmunzeln mehr als deutlich sehen, als er sich geradezu mühelos auf sein Motorrad schwingt und mich herausfordernd anzwinkert.
„Also, komm schon. Setz dich hinten drauf und wir können los.“
„Diskutieren ist mit dir wohl zwecklos, was?“
„Schön, dass du das erkannt hast, Löckchen.“
Ich verdrehe ein weiteres Mal die Augen und mustere für einen Moment auf den Helm in meinen Händen, bevor ich ihn mit einem ergebenen Seufzen aufsetze.
Na gut, dann wollen wir mal…
Zögernd nehme ich hinter Nico auf dem Motorrad Platz und schlinge meine Arme um seinen Oberkörper, um mich so an ihm festzuhalten.
„Alles klar da hinten?“, fragt Nico amüsiert und dreht seinen Kopf ein Stück zu mir um, woraufhin ich stockend nicke.
„Ja, ich…ich denke schon“, entgegne ich und spüre, wie mein Herz immer schneller gegen meinen Brustkorb hämmert, während Nico belustigt auflacht.
„Keine Sorge, es wird dir schon gefallen“, sagt er mit einem zuversichtlichen Zwinkern, bevor er das Sichtfenster seines Helmes herunterklappt und sich wieder nach vorne dreht.
Das knatternde Geräusch, mit dem das Motorrad anspringt, lässt mich erschrocken zusammenzucken und noch etwas fester an Nico klammern, als wir uns auch schon langsam in Bewegung setzen und nach einigen Augenblicken bereits in einem angemessenen Tempo über die Straße rauschen.
Der Fahrtwind streicht über meinen Körper, während mein Magen Purzelbäume schlägt und sich gleichzeitig ein lang vergessenes und dennoch alt bekanntes Gefühl in mir breitmacht.
Das Gefühl…von Freiheit.- Zoe -
„Verstehe“, sagt Marie und nickt langsam, während sie neben mir über den Bürgersteig geht, „glaubst du denn, dass dieser Nico Lolas Halbbruder ist?“
„Das ist schwer zu sagen“, seufze ich und schaue zu Amélie und Thibault, die einige Schritte vor uns gehen und dabei kichernd über irgendetwas auf Französisch reden. „Ich meine, einerseits kann ich nicht bestreiten, dass Lola und Nico sich auf eine gewisse Weise ähneln, aber vielleicht sehe ich das auch nur so, weil ich bewusst nach irgendwelchen Ähnlichkeiten zwischen den beiden suche. Wenn man nach so etwas bewusst sucht, findet man ja immer
irgendetwas. Absolute Gewissheit kann da wirklich nur ein Test geben.“
„Ja, wahrscheinlich“, murmelt Marie, die meinem Blick seit ihrer Rückkehr aus dem Badezimmer gekonnt ausweicht und weiter vor sich auf den Boden schaut, „und ich kann auch verstehen, dass Lola sich wegen ihrer Mutter Sorgen macht. Ich meine, wenn sie erfährt, dass die Liebe ihres Lebens was mit einer anderen Frau hatte…“
„So allgemein kann man das jetzt aber auch nicht ausdrücken, Marie“, unterbreche ich meine ältere Schwester und schüttle verärgert den Kopf, „Schließlich ist Nico einige Jahre älter als Lola. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt kannte ihr Vater ihre Mutter noch gar nicht.“
„Trotzdem“, entgegnet Marie und ich sehe, wie sie ihre Lippen so stark aufeinander presst, dass sie sich zu einem schmalen Strich verformen, „wenn ich wüsste, dass Constantin ein
Kind mit einer anderen Frau hätte…“
„Selbst wenn er diese Frau lange vor dir kennengelernt hätte und diese Begegnung absolut nichts zu bedeuten hatte?“, hake ich nach und seufze ein weiteres Mal auf, als Marie mit den Schultern zuckt.
„Das macht doch keinen Unterschied.“
„Doch, das tut es“, entgegne ich und kann den wachsenden Ärger in meiner Stimme nur schwer verbergen kann, „und außerdem kannst du deine Situation ja wohl kaum mit der von Lolas Eltern vergleichen.“
„Stimmt“, entgegnet Marie und schnaubt leise auf, als sie zum ersten Mal seit über einer Stunde ihren Kopf zu mir dreht, „denn im Gegensatz zu Lolas Vater hat Constantin erst vor kurzem was mit einer anderen Frau gehabt, und nicht, als wir uns noch nicht kannten!“
„Oh Mann, Marie!“, stöhne ich frustriert auf und senke meine Stimme sofort wieder, als Amélie und Thibault für einige Augenblicke ihre Köpfe fragend zu uns drehen, bevor sie sich wieder umdrehen und weitergehen. „Du hast doch vorhin selbst gehört, wie verzweifelt Constantin ist. Wie sehr es ihm zu schaffen macht, dass er nicht weiß, wo ihr seid und wie sehr er euch…wie sehr er dich vermisst, Marie. Und wie sehr er dich liebt. Ich meine, glaubst du wirklich, dass Constantin Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um herauszufinden, wo ihr seid, wenn er eine langjährige Affäre mit dieser Geneviève hätte? Glaubst du das wirklich, Marie?“
Maries Gefühlschaos zeichnet sich mehr und mehr auf ihrem Gesicht ab, bis sie meinem Blick schließlich erneut mit einem kraftlosen Seufzen ausweicht.
„Ich...ich weiß es doch auch nicht, Zoe“, presst sie nach einer Weile kaum hörbar hervor und ich ziehe sie im Gehen ein Stück zu mir, um sie zu stützen und ihr mit einer Hand beruhigend über den Rücken zu streichen, „ich…ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich weiß nicht, was ich
denken…was ich glauben…was ich fühlen soll. Alles ist so…verwirrend…“
„Und wenn du nochmal mit Constantin redest? Über alles?“, frage ich leise und spüre, wie sich Maries Körper unter meinen streichenden Berührungen verkrampft, während sie energisch den Kopf schüttelt.
„Nein, ich…das kann ich nicht…noch nicht…“
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romance- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...