- Lola -
Meine schlurfenden Schritte hallen durchs Treppenhaus, als ich die Stufen zu Zoes und meiner Wohnung emporsteige.
Dabei nehme ich dieses dröhnende Geräusch jedoch kaum wahr, genauso wie alles andere um mich herum, seit ich die Autowerkstatt von Habibs Onkel verlassen habe.
Viel zu sehr hängen meine Gedanken noch meinem Gespräch mit Nico nach...
Auf der einen Seite bin ich wirklich erleichtert, dass Nico meinen Halbgeschwisterverdacht so gut aufgenommen hat und auch für einen solchen Test offen ist.
Aber war es im Nachhinein wirklich richtig, ihm von meiner Vermutung zu erzählen und ihm obendrein noch das Foto von meinem Vater zu zeigen?
Ich meine, was ist wenn...wenn ich mit meinem Verdacht total falsch liege?
Und wenn ich Nico damit unnötige Hoffnungen gemacht habe?
Er hat zwar gesagt, dass er sich eigentlich schon längst damit abgefunden hätte, niemals etwas Genaueres über seinen Vater zu erfahren, aber wenn sich einem eine solche Möglichkeit präsentiert und sich im Nachhinein doch als falsch herausstellt, ist das schon mehr als enttäuschend…eher niederschmetternd.
Ich hole tief Luft und atme diese langsam wieder aus, als ich beginne, von den letzten Stufen immer zwei auf einmal hochzusteigen.
Und abgesehen von den vielleicht versehentlich geweckten Hoffnungen bei Nico bleibt natürlich auch noch nach wie vor das Problem mit dem Halbgeschwistertest bestehen...
Denn meine anfängliche Euphorie darüber, dass für einen solchen Test eine Probe des Vaters nicht unbedingt erforderlich ist, wurde sehr schnell durch die Erkenntnis getrübt, dass anstelle dessen aber jeweils eine Probe der Mütter oder zumindest einer Mutter benötigt wird.
Und da Nicos Mutter nicht mehr lebt, bedeutet das, dass ich Mama um die Probe bitten muss…und diese wird sie mir mit Sicherheit nicht einfach so geben, was bedeutet, dass ich ihr von Nico und meinem Verdacht erzählen muss...und wer weiß, wie sie reagieren wird, wenn sie erfährt, dass Papa vielleicht noch mit einer anderen Frau ein Kind hatte, auch wenn er selber gar nichts davon wusste und das lange vor ihrer gemeinsamen Zeit gewesen ist.
Außerdem ist es auch mehr als fraglich, wie sie im Allgemeinen auf Nico reagieren wird…
Wenn mich seine Ähnlichkeit zu Papa schon so dermaßen aus der Bahn geworfen hat, will ich gar nicht wissen, wie das für sie sein muss...
Ob sie…ob sie einen Rückfall erleiden wird?
Ich meine, auch wenn sie gerade erhebliche Fortschritte mit ihrer Therapie macht und obendrein auch noch Christoph datet, kann man so etwas natürlich nie ausschließen.
Papa war schließlich ihre große Liebe…
Aber wiederum müssen Nico und ich doch auch Gewissheit haben!
Und wenn das die einzige Chance ist, wie wir diese erhalten können, müssen wir sie doch auch nutzen...oder?
Ach, verflucht…
Mit einem unentschlossenen Seufzer bleibe ich vor unserer Wohnungstür stehen und suche an meinem vor sich hin klimpernden Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel.
Zum Glück habe ich vorhin schon zusammen mit Nico das passende Testkit per Expresslieferung zu ihm nach Hause bestellt, sonst würde ich bei all der Grübelei vermutlich einen Rückzieher machen und das Ganze gleich wieder stornieren…
Es dauert einen Moment, bis ich den Schlüssel erfolgreich ins Schloss gezwängt und ihn zum Aufschließen einmal herumgedreht habe, als mir beim Öffnen der Tür auch schon ein süßlicher Duft in die Nase steigt und ich gerade noch sehe, wie Amélie und Thibault kichernd und ohne mich zu bemerken von der Küche über den Flur ins Wohnzimmer laufen.
Was…was ist denn hier los?
Verwundert bleibe ich im Rahmen der geöffneten Wohnungstür stehen und hebe eine Augenbraue, die ich noch höher ziehe, als Romy mit einer umgebundenen Schürze und einem lächelnden Kopfschütteln ebenfalls von der Küche in den Flur tritt.
„Na, das lobe ich mir. Erst großzügig vom Kuchenteig naschen und sich dann fürs anstehende Aufräumen verkrümeln“, ruft sie den Beiden nach und stemmt eine Hand in die Hüfte, als sie mich scheinbar aus den Augenwinkeln bemerkt und ihren Kopf immer noch lächelnd zu mir dreht, „hey, Lola. Hilfst du mir wenigstens beim Aufräumen? Dafür, dass ich mit den zwei Wirbelwinden nur einen einfachen Schokoladenkuchen machen wollte, sieht die Küche nach einem ziemlichen Schlachtfeld aus.“
„Ähm…ja, klar. Kann ich machen“, erwidere ich, immer noch ein wenig verwirrt, und schließe mehrfach blinzelnd die Tür, „aber…wieso bist du eigentlich hier, Romy? Sind Zoe oder Marie nicht da?“
„Nein, die Beiden wurden von Mona ins Yogastudio bestellt.“
„Ins…Yogastudio? Von Direktorin Berger?!“
Mein Blick muss wohl Bände gesprochen haben, denn anders kann ich mir Romys amüsiertes Auflachen und das anschließende einhändige Zu-sich-winken nicht erklären.
„Komm. Ich mache uns erst mal einen schönen Kaffee und dann erzähle ich dir alles.“
- Zoe -
„So, ihr Lieben“, höre ich Ellies sanfte Stimme sagen und öffne ein Auge, um zu sehen, wie die himmelblauen Augen der blonden Frau zwischen Marie und mir hin und her wandern, „ich lasse euch beide dann jetzt alleine. Entspannt euch und genießt die beruhigende Wirkung unserer Räuchermischung aus Johanniskraut, Kornblume, Lavendel und Zedernholz. Ich werde dann in einer guten halben Stunde wieder für euch da sein.“
„Mmm, ist gut“, murmelt Marie abwesend, die bäuchlings und nur mit einem Handtuch über dem Hüftbereich auf der benachbarten Massagebank von mir liegt.
Aus dem Winkel meines geöffneten Auges sehe ich, wie meine Schwester ihre Arme auf dem Kopfteil der Massagebank verschränkt, um im Anschluss ihren zu meiner Seite gerichteten Kopf darauf abzulegen.
Ihre Augen hat sie dabei geschlossen und bemerkt dadurch nicht den Blick, den Ellie und ich austauschen, genauso wie mein darauf folgendes Nicken.
Ellie nickt ebenfalls und hebt für einen Moment ihre Hände, um mir ihre gedrückten Daumen entgegenzustrecken, als sie diese auch schon einen Wimpernschlag später wieder sinken lässt und sich von uns wegdreht, um mit schwebenden Schritten zur Zimmertür zu gehen und diese nach dem Öffnen mit einem leisen Klicken und einem letzten ermutigenden Lächeln in meine Richtung hinter sich zu schließen.
Okay…so weit, so gut…
Eine halbe Stunde sollte eigentlich reichen, um noch einmal mit Marie über ihren Verdacht bezüglich Constantins Affäre zu sprechen…
Ich hole tief Luft und spüre, wie sich mein Herzschlag trotz der entspannenden Atmosphäre ein wenig beschleunigt, als ich mich aus meiner Bauchlagenposition aufrichte, um meinen Kopf nun ebenfalls in die Richtung meiner Schwester zu drehen, die ihre Augen immer noch geschlossen hat und scheinbar vor sich hindöst.
Na toll, und was jetzt?
Soll ich sie einfach ansprechen?
Und wenn ja, was soll ich überhaupt sagen?
Ach, verflucht…
Auf der Suche nach den richtigen Worten beginne ich auf meiner Unterlippe zu kauen, halte jedoch sofort inne, als Marie mit einem Mal tief Luft holt und schließlich ihre Augenlider mehrfach blinzelnd aufschlägt, wodurch sie mir nun direkt in die Augen schaut.
„Alles in Ordnung, Zouzou?“
„Äh…ja, natürlich.“
„Und warum schaust du mich dann so komisch an?“
„I-Ich...ä-ähm…“, stammle ich und versuche, durch ein Räuspern zumindest ein paar Momente der aufkommenden peinlichen Stille zu überbrücken, „das…das tue ich doch gar nicht…“
„Oh bitte, Zouzou“, seufzt Marie und verdreht die Augen, „ich habe schon früher immer gespürt, wenn du mich so komisch angesehen hast, was du meistens getan hast, wenn du mit mir über etwas Unangenehmes reden wolltest. Und mein Gespür dafür ist jetzt nicht anders, nur weil wir keine Kinder mehr sind. Also, raus damit. Was ist los?“
„Ähm…na ja…“
Ich beiße mir erneut auf die Unterlippe, immer noch unschlüssig darüber, was beziehungsweise wie ich meine Gedanken in Worte fassen soll, bis Marie ein weiteres Mal aufseufzt.
„Ich denke, ich weiß worauf du hinaus möchtest“, sagt sie und nickt langsam, wenn auch mehr zu sich selbst, wohingegen ich sowohl überrascht als auch verwirrt eine Augenbraue hebe.
„Ach, ehrlich?“
„Ja natürlich, Zouzou“, entgegnet Marie und zieht nun ebenfalls eine Augenbraue hoch, auch wenn ihre Geste einen etwas spöttischeren Charakter hat, „glaubst du vielleicht, dass ich das nicht gemerkt habe?“
Hä?
„Was…ähm…was hast du denn gemerkt?“, frage ich langsam und sehe Marie zu, wie sie ihren Kopf nun ein wenig von ihren verschränkten Armen anhebt, um mich besser ansehen zu können.
„Ach, Zouzou. Du musst es nicht aus Angst, meine Gefühle zu verletzen, herunterspielen. Ich weiß doch, dass Lola und du euch die letzten Wochen vor eurer Hochzeit ein bisschen anders vorgestellt habt…also, ohne die Kinder und mich. Schließlich habt ihr mehr als genug mit den letzten Hochzeitsvorbereitungen zu tun und da ist es durchaus verständlich, wenn ihr beide auch mal wieder etwas Zeit für euch haben wollt. Und wenn ihr mir ein paar Tage Zeit gebt, werde ich sicherlich ein Hotelzimmer oder eine andere Wohnmöglichkeit für Amélie, Thibault und mich finden, damit ihr…“
„So ein Unsinn!“, unterbreche ich den Redeschwall meiner Schwester und schüttle energisch den Kopf, während Maries Augen sich ein Stück vor Überraschung weiten, „Lola und ich haben kein Problem damit, wenn ihr bei uns wohnt. Natürlich müssen wir uns…na ja…ein wenig zurückhalten, aber wir würden niemals von euch verlangen oder erwarten, dass ihr euch deswegen ein Zimmer im Hotel nehmt, zumal…“
„Zumal was?“, hakt Marie und betrachtet mich mit forschend3m Blick, als ich verstumme und mir zum dritten Mal auf die Unterlippe beiße, „worauf willst du hinaus, Zouzou?“
„Nun…“, ich weiche dem Blick meiner Schwester aus, während sich der Biss auf meiner Unterlippe etwas verstärkt, „…vielleicht erübrigt sich auch diese ganze Problematik, wenn…wenn du mit Constantin reden würdest?“
„Reden?“ Marie schnaubt auf und verzieht ihr Gesicht auf verächtliche Weise. „Über was soll ich denn bitte mit ihm reden, hm?! Über die Sachen, die ich in seinem Koffer gefunden habe?! Oder soll ich vielleicht fragen, wie lange das zwischen ihm und Geneviève schon läuft?!“
„Wenn da überhaupt etwas zwischen den beiden läuft“, entgegne ich und drehe mich noch etwas mehr zu Marie, deren Gesichtszüge nun vollständig entgleiten, „ich meine, du musst doch zugeben, dass das mit dem Brief und dem Slip in Constantins Koffer schon ein bisschen merkwürdig ist. Wenn Constantin gewusst hätte, dass solche brisanten Sachen in seinem Koffer sind, hätte er ihn dir doch nie zum Auspacken überlassen.“
„Das kleine Flittchen kann ihm das Zeug doch heimlich in den Koffer geschmuggelt haben! Wenn die beiden die Nächte zusammen verbracht haben, wird das ja wohl kaum allzu schwierig gewesen sein!“
„Und warum sucht Constantin dann nach dir und fragt sogar Maman und Papa, ob sie wissen, wo du sein könntest? Du weißt ganz genau, dass Constantin noch nie unsere Eltern mit in irgendeine Angelegenheit gezogen hat, insbesondere weil er weiß, wie schädlich Aufregung für Maman ist. Und das würde er doch nicht tun oder vielmehr riskieren, wenn er nicht wirklich verzweifelt wäre.“
„Wahrscheinlich eher wegen der Kinder als wegen mir…“
„Das ist doch Schwachsinn, Marie! Constantin liebt dich und…“
„Es reicht!“
Erschrocken über Maries Ausruf zucke ich zusammen und sehe, wie meine Schwester sich aufsetzt und mit zitternden Fingern das große Handtuch, welches unter ihr auf der Massagebank gelegen hat, um ihren Körper schlingt.
Nachdem sie das Handtuch mit einem entsprechenden Einschlag an ihrer Seite befestigt hat, rutscht sie von der Massagebank herunter und stapft zur Zimmertür, um diese mit einem lauten Quietschen aufzuziehen.
Doch anstatt gleich hindurchzugehen, zögert Marie noch für einen Moment, ehe sie sich wieder zu mir umdreht und mich schmalen Augen anfunkelt.
„Weißt du, Zouzou…ich habe wirklich gedacht, dass gerade du mich verstehst, weil du auch durch Robert erfahren hast, wie es sich anfühlt, betrogen zu werden…aber scheinbar habe ich mich da getäuscht.“
„Das hast du nicht, Marie! Ich will dir doch nur zeigen, dass…“, setze ich an, als im nächsten Moment auch schon die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss fällt und ich alleine in dem mittlerweile zugeräucherten Raum zurückbleibe.
Na toll, das hat ja super geklappt...
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romance- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...