# 11

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- Lola -

Lächelnd schaue ich Danny nach, der freudestrahlend neben Habib herläuft…oder vielmehr aufgeregt neben ihm herspringt…während die beiden sich auf den roten Sportwagen zu bewegen, der etwas abseits von den übrigen noch zu reparierenden Autos vor der Autowerkstatt steht.
Schon als Danny den Sportwagen bei unserer Ankunft aus den Augenwinkeln bemerkt hat, konnte er es kaum erwarten kurz darauf zu Habib zu stürmen und ihn zu bitten, die heutige Autofahrt in dem besagten Wagen zu unternehmen, da dieses Auto wohl genauso aussähe wie sein absolutes Lieblingsspielzeugrennauto.
Die Bemerkung, dass dieser Sportwagen und sein Lieblingsspielzeugrennauto lediglich die rote Farbe miteinander gemeinsam haben und sich ansonsten überhaupt nicht gleichen, verkniff ich mir mit einem leichten Kopfschütteln und einem lächelnden Biss auf die Unterlippe, während Habib Danny einmal durchs blonde Haar gestrubbelt und ihm anschließend verkündet hat, dass er zwar vorher seinen Onkel fragen und die Schlüssel von ihm holen müsste, aber dass dieser bestimmt ja sagen würde, wenn er erfährt, dass es Dannys Wunsch ist.
Als Habib kurz darauf mit einem breiten Grinsen und dem passenden Schlüssel in der Hand wieder aus der Autowerkstatt getreten ist, hat Danny jubelnd seine kurzen Ärmchen in die Luft gestreckt und ist wie ein kleiner Flummi auf der Stelle auf- und abgehüpft, woraufhin Habib und ich einen amüsierten Blick miteinander ausgetauscht haben.
„Wenn du magst, kannst du wieder zu meiner Tante ins Büro gehen, bis wir von unserer Spritztour zurück sind, Prinzessin“, hatte Habib gesagt und mir vielsagend zugezwinkert, „dank Nico können der kleine Prinz und ich uns nämlich ruhig Zeit lassen.“
Die Erwähnung von Nicos Namen hatte mich für einen Moment ertappt zusammenzucken lassen, doch bevor Habib allzu stutzig werden konnte, hatte ich ihm mit einem Nicken und
einem Lächeln versichert, dass ich zu Layla gehen und dort auf die beiden warten würde.
Kurz darauf hatte Danny auch schon ungeduldig an Habibs dunkelblauer Arbeitshose gezupft und ihn gefragt, ob sie dann auch jetzt endlich losgehen können, woraufhin Habib kurz aufgelacht und anschließend Danny in Richtung des Sportwagens gelotst hat, allerdings nicht ohne sich mit einem kurzen und mir gewidmetem Nicken zu verabschieden.
Einen Moment lang schaue ich den beiden noch nach, bevor ich mich mit einem leisen Seufzer von ihnen weg- und zur Autowerkstatt hindrehe, um mit stockenden Schritten auf diese zu gehe.
Meine Hände schiebe ich dabei in die Taschen meiner Lederjacke und hole tief Luft, als meine Finger das Foto in der linken Jackentasche ertasten.
Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag und ich schlucke mehrmals.
Ruhig, Lola.
Ganz ruhig.
Ich habe das Foto dabei.
Ich kann es ihm zeigen.
Ich kann ihn dazu fragen.
Und vor allen Dingen kann ich schauen, ob er Papa wirklich so ähnlich sieht wie ich glaube…
Mit diesen Gedanken trete ich durch das große Tor des Autowerkstattgebäudes, welches mich
in die große Halle führt, in welcher die Autos mithilfe spezieller Hebebühnen angehoben und repariert werden.
Begleitet von Klapper- und Schraubergeräuschen lass ich meinen Blick suchend durch die Halle gleiten, wobei meine Augen immer wieder an verschiedenen Mitarbeitern hängen
bleiben, die jedoch viel zu sehr in ihre Arbeit vertieft sind und mich überhaupt nicht zu bemerken scheinen.
Aber das macht nichts, schließlich bin ich ja nur nach einem ganz bestimmten Mitarbeiter auf der Suche…wo auch immer dieser Nico sich herumtreibt…
„Na, Lola?“
Die unerwartete Ansprache von der Seite lässt mich erschrocken zusammenzucken und meinen Kopf dem Klang der Stimme folgend drehen, nur um kurz darauf erneut
zusammenzucken, als ich in das amüsiert grinsende Gesicht von Nico neben mir blicke.
Begleitet von dem belustigten Funkeln in seinen braunen Augen fährt er sich mit einer Hand durch seine dunklen und etwas zerzausten Locken, während er den Autoreifen in seiner anderen Hand auf dem Boden abstellt und gegen sein dunkelblaues und ölverschmiertes Hosenbein lehnt.
Mehrfach blinzelnd und immer noch halb in Gedanken versunken starre ich Nico an.
Er...er sieht wirklich so aus wie Papa…
Dazu muss ich mir nicht mal mehr das Foto in meiner Jackentasche ansehen, um das zu überprüfen…
Bis auf die Narbe über seiner rechten Augenbraue sieht er wirklich genauso aus…
Unfähig etwas aufgrund dieser Erkenntnis zu sagen oder zumindest die Begrüßung zu erwidern starre ich Nico einfach nur weiter an, woraufhin dieser mit einem leichten Schmunzeln eine Augenbraue hebt und mit dem Kopf zurück auf den Eingang der Halle hinter mir deutet.
„Spielt Habib wieder den Chauffeur für deinen kleinen Bruder?“
„W-Was…w-wieso…“, stammle ich und blinzle erneut, bevor ich versuche, meine Gedanken mit einem kurzen Kopfschütteln zumindest ein wenig zu sortieren und ebenfalls eine
Augenbraue hebe, „w-woher weißt du denn davon?“
„Hat Habib mir erzählt“, erwidert Nico und vergräbt mit einem leichten Schulterzucken seine Hände in den Hosentaschen, „er hatte mich nämlich gefragt, ob wir unsere Pausen tauschen können, damit er mit deinem Bruder eine kleine Tour durch die Stadt machen kann.“
„Oh, ähm…ach so…verstehe“, murmle ich, immer noch ein wenig verunsichert und eingeschüchtert durch die mir allzu vertraute und dennoch unheimliche Ähnlichkeit zu
meinem Vater, während ich von einem Fuß auf den anderen trete.
Oh Mann, das kann doch nicht sein…
Dieser Nico muss mich doch für komplett beschränkt halten, so komisch, wie ich mich ständig in seiner Gegenwart verhalte…
Das ist nicht gut…das ist ganz und gar nicht gut…ich muss mich zusammenreißen… oder das Ganze zumindest irgendwie überspielen…dringend!
Schließlich will ich ihn ja gleich noch zu dem Foto befragen und darauf antwortet er mir bestimmt nicht, wenn er mich für übergeschnappt hält oder denkt, dass ich in diese Ähnlichkeit irgendetwas Krankhaftes reininterpretiere…
Ist ja schon schlimm genug, dass ich ihn permanent anstarre, als wäre er irgendein Geist…
Nein, das muss unbedingt aufhören…ich muss irgendwie ein möglichst normales Gespräch aufbauen und dann kann ich ihn was zu dem Foto fragen…
Ja, genau…so mache ich das am besten…
„Ich…ähm…tut…tut mir Leid“, stammle ich schließlich und räuspere mich, als Nico fragend die Stirn runzelt, „also…dass du wegen Danny und mir deine Pause verschieben musstest, meine ich…äh…ja, genau…“
Was zur Hölle labere ich da bitte?!
Kann mir nicht irgendjemand den Mund mit Klebeband tapezieren?!
So viel zum Thema "möglichst normales Gespräch"...
Zum Glück scheint Nico mein sinnfreies Geschwafel nicht wirklich zu verwundern…würde mich an seiner Stelle bei meinen bisherigen Beiträgen während unserer Unterhaltungen vermutlich auch nicht…und er zuckt einfach nur erneut mit den Schultern.
„Passt schon. Außer rauchen und eine Runde mit meinem Bike drehen mache ich sowieso nicht viel.“ Er zwinkert mir grinsend zu, bevor er mit dem Kopf auf den Verlobungsring an meinem Finger deutet. „Und von deiner Hochzeit hat Habib mir übrigens auch erzählt.“
„Ach ja?“, ein wenig verwundert runzle ich die Stirn, während ich immer noch etwas unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trete, „ihr zwei redet ja ganz schön viel über
mich.“
„Na ja, ich war halt neugierig“, entgegnet Nico und streicht sich mit einer lässigen Handbewegung eine weitere aufsässige Locke aus der Stirn, „ich meine, welcher Mensch würde in dem Alter freiwillig heiraten? Ich meine, du bist wie alt? Achtzehn? Neunzehn?“
„In ein paar Wochen bin ich zwanzig.“
„Also jetzt noch neunzehn.“
Ein wenig genervt verdrehe ich die Augen. „Ja, und?“
„Na, gerade deshalb war ich eben neugierig. Niemand heiratet in dem Alter. Und dann auch noch die eigene Lehrerin…auch wenn du dafür schon wieder meinen Respekt hast, obwohl
ich da ehrlich gesagt nicht mit dir tauschen wollen würde. Die Lehrerinnen, die ich in meiner kurzen Schulzeit hatte, waren entweder irgendwelche alten und frustrierten Hexen, von denen man nachts Alpträume bekommt oder diese viel zu krass geschminkten  Proseccoschnepfen.“
Auch wenn mich Nicos Kommentar zu seinen früheren Lehrerinnen zum Schmunzeln gebracht hat, hat mich eine andere seiner Bemerkungen etwas stutzig gemacht.
„Wieso war deine Schulzeit denn kurz?“
„Ich hab nach der neunten Klasse abgebrochen“, erklärt er mit einem weiteren Schulterzucken, wobei sich jedoch ein leichter Schatten über sein Gesicht legt, „ich…ich hab damals viel
Scheiße gebaut. Falsche Freunde, Alkohol, ständige Schlägereien, Stress mit der Polizei…war keine gute Zeit und ich bin auch nicht stolz drauf. Das Ganze hat sich dann mehr und mehr gesteigert und ich bin dann auch schließlich für ein knappes Jahr im Knast gelandet wegen Diebstahl und schwerer Körperverletzung. Wie gesagt, ich hab viel Scheiße gebaut. Aber nach dieser Zeit hab ich mein Leben wieder in den Griff bekommen.“
„Verstehe“, sage ich und schenke Nico trotz der Schwere seiner Geschichte ein leichtes Lächeln, „die Zeit im Gefängnis hat dich also verändert.“
„Nicht wirklich“, Nico schüttelt den Kopf, wobei seine wirren Locken ein wenig hin und her wippen, „aber ich hab’s meiner Mutter versprochen…also…dass ich mich zusammenreiße
und mein Leben wieder hinbekomme…und ohne dieses Versprechen hätte ich es wahrscheinlich auch nicht durchgezogen.“
„Wow“, beeindruckt und gerührt zugleich schaue ich Nico mit einem etwas breiter werdenden Lächeln an, während der Schatten über seinem Gesicht noch etwas präsenter geworden ist, „ich bin mir sicher, dass deine Mutter sehr stolz auf dich ist, dass du dein Versprechen gehalten hast.“
„Ja“, erwidert Nico und senkt mit einem knappen Nicken seinen Kopf, während ich sehe, wie sich die Hände in seinen Hosentaschen zu Fäusten ballen, „das wäre sie bestimmt…“
„Wieso wäre? Ist sie das etwa nicht?“, frage ich und runzle für einen Moment die Stirn, woraufhin Nico mit einem schweren Seufzer seinen Kopf hebt.
„Meine Mutter lebt nicht mehr. Leukämie…war ein ziemlich schwerer Verlauf…ich hab ihr das Versprechen ein paar Wochen, bevor sie starb, gegeben…deshalb weiß ich nicht, ob sie stolz auf mich wäre, aber ich denke schon, dass sie es ist, wenn sie es von ihrer Wolke da oben irgendwie mitbekommen haben sollte…“
Nicos Mundwinkel heben sich zu einem schiefen, wenn auch schweren Lächeln, wohingegen ich ihn erst einfach nur mitfühlend anschaue und dann vorsichtig einen Schritt auf ihn zutrete, um ihm mit einer Hand über den Arm zu streichen.
„Ich…verdammt, das…das tut mir so Leid, Nico.“
„Ist schon okay“, entgegnet Nico und lächelt mich mit einem versichernden Nicken an, während ich schuldbewusst auf meiner Unterlippe kaue.
„Na ja, aber trotzdem...wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nicht so sehr nachgefragt…“
„Mach dir darüber keinen Kopf. Wie gesagt, es ist okay. Ich komme mittlerweile damit klar, auch wenn es am Anfang natürlich echt hart gewesen ist, besonders weil ich auch vollkommen auf mich gestellt war, so ohne Geschwister, Vater und so...“
Ohne…ohne Vater?
Etwas verwirrt hebe ich eine Augenbraue.
„Wie meinst du das? Ohne…Vater? Ist er…ist er auch…na ja…“
„Gestorben?“, hilft Nico meinem sinnlosen Gestammel auf die Sprünge und zuckt erneut mit den Schultern, „keine Ahnung. Ich hab ihn nie kennengelernt. Ich meine, er weiß ja nicht mal, dass es mich gibt.“
„Und…wie meinst du das jetzt?“, frage ich zögernd weiter, während Nicos verschlüsselte Aussagen mich immer noch ein wenig verwirren, „also…warum…warum weiß er nicht, dass
es dich gibt?“
„Na ja, meine Mutter und er kannten sich nicht. Es war ein One Night Stand auf einer Party und die beiden haben sich danach auch nie wieder gesehen. Gerade deshalb und auch, weil meine Mutter damals erst sechzehn gewesen ist, hatte sie lange hin und her überlegt, ob sie mich überhaupt bekommen oder später behalten auch soll. Aber sie hat sich dann letztendlich doch dafür entschieden, mich zu bekommen und aufzuziehen, auch wenn ihre Eltern danach nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten.“
„Oh, wow…“, ich schlucke leicht und beiße mir erneut auf die Unterlippe, „das ist echt hart…“
„Ja, stimmt. Aber meine Mutter war eine starke Frau. Bis zum Schluss…“ Für einen Moment hält Nico inne und holt tief und mit gesenktem Kopf Luft, bevor er mit einem Schulterstraffen
wieder aufsieht. „Auch wenn sie mir leider nie etwas Genaueres über meinen Vater sagen konnte. Ich hab nicht mal einen Namen oder so was. Das einzige, was sie ständig gesagt hat, ist, dass ich ihm wohl ziemlich ähnlich sehen würde.“
WAS?!
Mit einem Schlag weiten sich meine Augen und ich starre Nico vollkommen entgeistert und mit offenem Mund an.
Das…das kann nicht sein…
Das…das ist unmöglich…
H-Heißt das…
B-Bedeutet das…
K-Könnte…könnte es etwa sein, dass…
„Ähm…alles klar mit dir, Lola?“
Nicos fragender und leicht irritierter  Blick lassen mich meinen Mund mehrfach schließen und wieder öffnen, doch ich bringe einfach kein brauchbares Wort zustande, so sehr, wie sich die Gedanken in meinem Kopf überschlagen, als im nächsten Moment auch schon ein schriller
Pfiff durch die Halle der Autowerkstatt dröhnt.
„Na, komm schon, Nico! Schaff den Reifen her! Ich bezahle dich schließlich nicht fürs rumstehen und charmant sein!“, grölt Yusuf uns mit einem amüsierten Zwinkern in meine Richtung zu, woraufhin Nico grinsend die Augen verdreht und sich den Reifen schnappt, der immer noch an seinem Hosenbein gelehnt hat.
„Ist schon unterwegs, Boss“, grölt Nico in derselben Lautstärke und mit dem Reifen unterm Arm zurück, bevor er mir einen entschuldigenden Blick aus seinen braunen Augen zuwirft, „tut mir Leid, aber ich muss echt weitermachen. Aber du kannst bestimmt wieder im Büro der Chefin warten, bis Habib mit deinem kleinen Bruder zurück ist.“
„Ähm…ja…bestimmt“, erwidere ich stockend, während meine Gedanken nach wie vor rasen und ich ihn am liebsten am Ärmel seines graublauen Shirts festgehalten hätte.
Er…er kann jetzt nicht einfach gehen!
Ich muss ihn aufhalten!
Ich muss mit ihm reden!
Ich muss wissen, ob er nicht noch mehr von seinem Vater weiß!
Und ich muss ihm das Foto zeigen!
Ich muss mit ihm darüber sprechen!
Denn was ist, wenn…was ist, wenn…
Ich traue mich nicht, den Gedanken zu Ende zu denken und schaue stattdessen einfach nur Nico nach, der sich mit einem kurzen und mir zugewandten Nicken immer mehr Schritte von mir entfernt.
„Man sieht sich, Lola“, sagt er und grinst mich noch einmal mit seinem schiefen Grinsen an, bevor er sich komplett umdreht und mit dem Reifen zu Habibs Onkel stapft.
„Ja…man sieht sich“, erwidere ich, auch wenn ich mir sicher bin, dass Nico mich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gehört hat, so wie Yusuf und er bereits wieder miteinander reden.
Schweigend betrachte ich die beiden, wobei mein Blick hauptsächlich auf Nico gerichtet ist und meine Hand in meiner Jackentasche sich um das Foto darin verkrampft.
Könnte es sein…könnte es wirklich sein, dass Nico…mein Halbbruder ist?

Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt