# 50

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- Coco -

„So, da wären wir.“ Mit einem tiefen Seufzer bleibe ich stehen und drehe mich zu Zoe und den anderen um, während ich mit einer Hand auf die geschlossene Zimmertür neben mir deute und dabei den beunruhigten Blicken der verschiedenen Augenpaare begegne.
Auch wenn ich meinen Job eigentlich ganz gerne mag, gehört das Betreuen von den Angehörigen einer verunfallten Person zu den Teilen, auf die ich gut und gern verzichten könnte.
Insbesondere wenn Zoe und die anderen von dem Ausmaß und den möglichen Konsequenzen von Lolas Unfall erfahren werden…
Ich hole tief Luft und bemühe mich um ein möglichst zuversichtliches Lächeln, während die anderen meinem Blick etwas verunsichert begegnen.
Alle bis auf Romy, die mich prüfend mit einer argwöhnisch hochgezogenen Augenbraue mustert.
Hätte mich auch ehrlich gesagt ziemlich gewundert, wenn sie mein Pokerface-Lächeln nicht schon längst durchschaut hätte…
„Habt ihr euch schon entschieden, wer von euch mitkommen wird?“
„Was?“, fragt Zoe und blinzelt verwirrt, so als wäre sie vorhin noch vollkommen in ihren Gedanken versunken gewesen, bevor sie unschlüssig zwischen der Tür und den anderen hin und her schaut, „können wir…können wir denn nicht alle mit reinkommen?“
„Leider nein, tut mir Leid“, erwidere ich und schenke Zoe einen sowohl entschuldigenden als auch einfühlsamen Blick, „abgesehen davon, dass mit Sicherheit nicht so viele Leute in den Raum passen würden, wäre das dem Professor sicher nicht recht.“
„Verstehe“, murmelt Zoe und beginnt, unruhig auf der Stelle hin und her zu treten, bis Mona hinter ihr sie ein Stück nach vorne schiebt.
„Also, du musst auf jeden Fall gehen, Süße.“
„Genauso wie du, Sarah“, erwidert der braunhaarige Mann, der immer noch seinen Arm um die blonde Frau gelegt hat, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Lolas Mutter handelt.
„J-Ja“, murmelt die Frau und nickt leicht, ehe sie ebenfalls einen Schritt vor und damit neben Zoe tritt, an deren Hosenbein wiederum der kleiner Junge eifrig zupft.
„Kann ich auch mitkommen, Zoe?“, fragt er und schaut mit großen Augen zu Lolas Verlobter hoch, die auf diese Frage hin hart schluckt und nach einer Weile stockend mit dem Kopf schüttelt.
„Ich…ich glaube, dass das keine gute Idee ist, Danny“, presst Zoe um Fassung bemüht hervor und schüttelt den Kopf, während die blonde Frau neben ihr geräuschvoll aufschluchzt.
„Aber ich will doch auch zu Lola!“, protestiert der kleine Junge und schiebt schmollend seine Unterlippe vor, bis Romy sich mit einem sanften Lächeln neben ihn hinkniet.
„Lola ist bestimmt noch sehr erschöpft von der Operation, Danny“, ihre Augen wandern zu mir, „nicht wahr, Coco?“
„Oh, ähm...ja“, ich nicke bekräftigend auf die indirekte Aufforderung meiner besten Freundin, „das ist sie in der Tat.“
„Siehst du“, fährt Romy fort, wodurch der Blick des kleinen Jungen von mir wieder zurück zu ihr und auf ihre ausgestreckte Hand wandert, „komm, lassen wir die Erwachsenen das alles in Ruhe besprechen. Und wir können uns in der Zwischenzeit mal umschauen, ob wir hier um diese Uhrzeit noch irgendwo eine heiße Schokolade für dich auftreiben können, hm?“
„Au ja!“, erwidert Danny strahlend und greift nach Romys Hand, die mit einem letzten Blick auf die dankbaren Gesichter von Zoe und Lolas Mutter aufsteht und Danny wieder zurück in
die entgegengesetzte Richtung des Korridors führt.
Auf Rotkäppchen ist eben Verlass…
„Kann ich vielleicht stattdessen mitkommen?“, höre ich eine etwas tiefere Stimme fragen und muss meinen Kopf nicht in dessen Richtung drehen, um zu wissen, dass sie zu Nico, dem Bruder von Lola, gehört.
Schließlich habe ich bereits vorhin schon das ungewollte Vergnügen gehabt, lang und ausgiebig mit ihm zu diskutieren…
„Sicher“, erwidere ich nickend und strecke meine Hand aus, um nach der Türklinke zu greifen.
Dabei betrachte ich gleichzeitig nacheinander Zoe, Lolas Mutter und Nico und zögere noch für einen kurzen Moment, bevor ich die Klinke der Zimmertür schlussendlich
herunterdrücke…

- Zoe -

Der scharfe Geruch von Desinfektionsmittel dringt mir entgegen, als Coco die Tür des Krankenzimmers aufdrückt und sich an die Seite stellt, bevor sie uns mit einer angedeuteten Handbewegung zu verstehen gibt, vor ihr in den Raum zu treten.
Ich schlucke schwer und habe für einen Moment das Gefühl, dass meine schwankenden Beine unter mir nachgeben.
Gleichzeitig bemerke ich aus den Augenwinkeln, wie Sarahs ineinander verkrampfte Hände zu zittern begonnen haben, wohingegen Nicos Körperhaltung sich mehr und mehr versteift.
Die beiden fühlen sich garantiert genauso furchtbar wie ich…
Furchtbar und zerfressen vor Sorge um Lola…meine Lola…
Ein neuer Schluchzer macht sich in meinem Hals bemerkbar, welchen ich jedoch mit einem kräftigen Schnauben und mehrfachem Blinzeln herunterschlucke.
Mona hat Recht.
Ich kann mich jetzt nicht hängen lassen.
Ich muss jetzt stark sein…stark für Lola…und für uns.
An diese Gedanken geklammert trete ich einen wackeligen Schritt vor.
Dann noch einen.
Und noch einen.
Bis ich schließlich neben Coco an der Tür angekommen bin und einen Blick in das Krankenzimmer werfen kann, nur um kurz darauf mit weit aufgerissenen Augen meinen Mund mit einer Hand zu bedecken.
Oh mein Gott…Lola!
„Was ist los?!“, höre ich Nico hinter mir panisch fragen und kurz darauf mit eiligen Schritten auf mich zutreten, da mein entgeisterter Gesichtsausdruck wohl Bände gesprochen haben muss, während Coco mir tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt hat.
„Der Professor wird euch alles erklären“, sagt sie leise und deutet mit dem Kopf auf den grauhaarigen Mann, der mit wichtigem Blick die Unterlagen auf seinem Klemmbrett studiert und dabei immer wieder auf das vor sich hin piepsende Anzeigegerät schaut, das neben dem
Krankenbett steht.
Das Krankenbett, in dem Lola liegt…
„Scheiße“, höre ich Nico heißer flüstern, während Sarah mehrere herzzerreißende Schluchzer von sich gibt und schließlich mit fest geschlossenen Augen ihren schüttelnden Kopf sinken lässt.
„Nein, bitte nicht. Bitte bitte nicht“, fleht sie kaum hörbar vor sich hin und schluchzt erneut, was diesmal die Aufmerksamkeit des Professors erregt und seinen bebrillten Kopf zu uns
drehen lässt.
„Guten Abend“, sagt er und begrüßt uns mit einem mitfühlenden und zugleich ernsten Nicken, „ich nehme an, Sie sind die Angehörigen von Frau Sommer, richtig?“
„Ja, genau, Herr Professor“, erwidert Coco, nachdem weder Sarah noch Nico oder ich auf die Frage des grauhaarigen Mannes geantwortet haben, und hebt dabei die Hand, um
nacheinander auf uns zu deuten, „dies sind die Mutter, der Bruder und die Verlobte von Frau Sommer.“
„Verstehe“, entgegnet der Professor mit einem kurzen Nicken und räuspert sich, während seine wässrig blauen Augen uns nacheinander mustern, „wenn Sie noch einen Moment benötigen…“
„Nein.“ Meine Stimme klingt fremd und dumpf in meinen Ohren, während meine Fingernägel sich tief in die Innenflächen meiner zu Fäusten geformten Händen graben und ich hart schlucken muss, um meine aufsteigenden Tränen weiter zu unterdrücken. „Was…was ist mit
Lola?“
„Nun, Frau…“
„Jacobi.“
„Frau Jacobi“, der Professor rückt seine Brille etwas zurecht, „nun, wie Sie…und auch Sie beide…mit Sicherheit wissen, hatte Frau Sommer einen schweren Motorradunfall. Dabei hat sie neben diversen Prellungen und Hämatomen am Körper auch einen Schien- und Wadenbeinbruch erlitten, welcher sich jedoch bei der OP glücklicherweise als nicht sonderlich kompliziert herausstellte und gute Chancen hat, wieder vollständig zu verheilen…“
„Und warum…“, Nico hält inne und holt tief Luft, ehe er weiterspricht, „warum ist sie dann nicht…wach? Warum wird sie beatmet? Und was soll das mit dem Verband um ihren Kopf? Ist es wegen…wegen der Platzwunde?“
„Ja, mit dieser Vermutung liegen Sie durchaus richtig, junger Mann“, erwidert der Professor, wobei sein Gesicht etwas ernstere Züge annimmt, „und diese besagte Platzwunde bereitet uns leider auch noch nach wie vor Sorgen.“
S-Sorgen?
Aber…aber…
„Wie…wie meinen Sie das?“, frage ich tonlos und spüre, wie mein Herz und mein Magen sich auf unangenehme Weise zusammenziehen, während der Professor sich ein weiteres Mal räuspert.
„Nun, um mich so kurz und verständlich wie möglich zu fassen, ohne Sie mit unnötigen medizinischen Begriffen oder Ausführungen noch zusätzlich zu belasten…durch den Unfall und ihre damit einhergehende Verletzungen musste Frau Sommer einige schwere OPs über sich ergehen lassen, von denen sie sich nun erholen muss. Und alles, was wir jetzt noch tun können ist warten, bis sie aufwacht.“
Bis sie aufwacht…
„Und w-wie l-lange…“, frage ich weiter stammelnd, während Sarah neben mir immer lauter schluchzt, „w-wie l-lange kann das d-dauern?“
Mit einem tiefen Seufzer zuckt der Professor mit den Schultern. „Das kann niemand genau sagen. Stunden. Tage. Wochen.“
„Wochen?!“
„Ja“, der Professor nickt ernst auf Nicos entsetzte Nachfrage und seufzt ein weiteres Mal, „wie gesagt, Frau Sommer muss sich vollständig von den Belastungen ihres Unfall und diesen OPs erholen und ihr Körper entscheidet selbst, wann dieser Zeitpunkt eingetreten ist. Deshalb muss sie sich auch aus eigener Kraft aufwachen. Dabei können wir ihr leider nicht behilflich sein.“
„A-Aber w-wenn…“, setzt Sarah schluchzend an und zieht geräuschvoll die Nase hoch, „w-
wenn L-Lola w-wieder a-aufwacht, i-ist s-sie d-doch w-wieder a-aufwacht, i-ist s-sie d-doch w-wieder g-ganz d-die A-Alte, o-oder?“
Das Zögern des Professors und der nachdenkliche Blick auf die Unterlagen lassen mein Herz noch weiter sinken.
„Tut mir Leid, aber diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Um eine Einschätzung abzugeben, inwiefern Ihre Tochter bleibende Schäden von dem Unfall davongetragen hat, ist es noch zu früh. Das Wichtigste ist nun erst einmal, dass Ihre Tochter sich erholt und aufwacht. Und alles Weitere sehen wir dann…“

- Lola -

Noch immer starre ich Papa vollkommen entgeistert an, bis er schließlich leicht auflacht und
mit seinem typisch schiefen Grinsen die Arme ausbreitet.
„Bist du für eine Begrüßungsumarmung inzwischen auch zu alt, Kleines? Oder bekomme ich die vielleicht noch?“
„Sehr witzig“, entgegne ich amüsiert lächelnd und spüre, wie gleichzeitig Tränen in meinen Augen aufsteigen, als ich die letzten Schritte auf meinen Vater zustürme und kurz darauf von
seinen Armen in eine feste und warme Umarmung geschlossen werde.
Ein fast vergessenes Gefühl von Geborgenheit und Zuhausesein durchströmt meinen Körper und ich spüre, wie sich sämtliche Anspannungen in meinem Körper innerhalb von Sekundenbruchteilen auflösen.
Papa…
„Hey, alles in Ordnung?“, höre ich ihn leise fragen und nicke, während ich mein Gesicht weiter in seinem Shirt vergrabe.
„Ja, ich…ich hab dich einfach nur vermisst“, murmle ich dumpf und spüre, wie meine Tränen nach und nach den Stoff seines Shirts durchnässen.
„Ich hab dich auch vermisst, Kleines“, höre ich Papa sagen und lächle, als er mir einen Kuss auf die Stirn drückt und mich kurz darauf sanft ein Stück von sich wegschiebt, um mich liebevoll aus seinen dunklen Augen zu mustern, „ich kann kaum glauben, dass du inzwischen zu einer wunderschönen jungen Frau herangewachsen bist.“
„Ach, Papa…“
„Ich meine das ernst, Lola“, entgegnet mein Vater und sein Blick nimmt mit einem Mal wehmütige Züge an, während er mir von meinen Schultern langsam über meine Arme hinabstreicht, nur um anschließend mich mit einem sanften Lächeln wieder anzusehen, „magst du mir erzählen, was in den letzten Jahren alles geschehen ist?“

Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt