- Lola -
Mit leicht gesenktem Kopf und vollkommen in Gedanken versunken schaue ich auf die Spitzen meiner Turnschuhe, die sich mit schlurfenden Schritten vorwärts über den Bürgersteig unter mir bewegen.
Nachdem Layla mir während unseres Gesprächs, das eigentlich mehr einem Monolog ihrerseits glich, zwei Tassen Kaffee und eineinhalb Stücke ihres selbstgebackenen Kuchens aufgeschwatzt hat, war Danny mit einem breiten Grinsen und vor Aufregung geröteten Wangen zu uns ins Büro der Autowerkstatt gestolpert und hat mir ehrfürchtig und stolz zugleich von dem Auto und Habibs und seiner Fahrt erzählt, während Habib selbst sich schmunzelnd und mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen gelehnt und mir anschließend verschmitzt zugezwinkert hat.
Unter normalen Umständen hätte ich Danny aufmerksam zugehört und ihm vielleicht sogar die eine oder andere Frage zu dem Auto gestellt, weil ich genau weiß, wie gerne Danny mir von so etwas erzählt, aber heute habe ich nicht mehr als ein mattes Lächeln und den Hinweis zustande gebracht, dass es schon spät ist und ich ihn wieder nach Hause bringen muss.
Danny hat natürlich sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und hat den gesamten Heimweg über versucht, mich darüber auszuhorchen, woraufhin ich ihm lediglich gesagt habe, dass ich etwas müde sei und vermutlich nur ein wenig Schlaf bräuchte.
Schließlich hätte ich ihm ja schlecht sagen können, dass ich vor knapp einer Stunde einen Typen kennengelernt habe, der meinem Vater vom Äußeren her bis aufs Haar gleicht.
Na ja, bis auf die besagte Narbe über seiner rechten Augenbraue, aber abgesehen davon war er praktisch sein Abbild…sofern meine Erinnerung noch richtig ist…
Und dass ich einfach keine Erklärung dafür habe, was mich ehrlich gesagt immer noch am meisten beschäftigt…zumindest keine Erklärung, die mich ansatzweise zufrieden stellt oder wenigstens beruhigt…
So wie ich das sehe gibt es für diese gravierende Ähnlichkeit nur zwei mögliche Ursachen…
Entweder ist es reiner Zufall…schließlich sagt man ja, dass jeder Mensch irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger von sich herumlaufen hat…
Oder…und das halte ich ehrlich gesagt für etwas wahrscheinlicher, auch wenn es gleichzeitig so unwahrscheinlich wirkt…dass dieser Nico irgendwie mit meinem Vater verwandt ist…ein Neffe, ein Cousin oder so etwas in der Art…
Aber mit Sicherheit sagen kann ich es natürlich nicht…
Schließlich kenne ich die Familie meines Vaters nicht…beziehungsweise hatte er bereits jeglichen Kontakt zu seiner Familie abgebrochen, als er meine Mutter kennengelernt hat und diese nach kurzer Zeit mit mir schwanger geworden ist…
Wie wahrscheinlich ist es also, dass dieser Nico mit meinem Vater verwandt ist…und dadurch... auch mit mir?
„Lolaaaa!“
Der doppelte und zugleich synchrone Ruf meines Namens lässt mich erst zusammenzucken und anschließend herumfahren, als ich im nächsten Moment auch schon von einer doppelten Umarmung auf Hüfthöhe fast umgeworfen werde.
„Da bist du ja!“, ruft Thibault, der mit einem breiten Grinsen zu mir hochsieht, während Amélie neben ihm mir ebenfalls ein strahlendes Lächeln schenkt.
„Ja, genau! Wir haben dich nämlich total vermisst!“, ergänzt sie und nickt eifrig, so als wollte sie ihre Aussage damit zusätzlich unterstreichen.
„Ich…ähm…ja, ich euch auch“, erwidere ich und blinzle irritiert, als Amélie und Thibault ihre Arme wieder von mir lösen und ich mich so vor die beiden hocken kann, „aber was macht ihr zwei denn hier? Wolltet ihr nicht erst ein paar Tage vor der Hochzeit zu uns kommen?“
„Wollten wir auch“, Thibault zuckt mit den Schultern, „aber Mama wollte euch überraschen und früher zu euch fahren.“
„Und Papa kommt dann nach, wenn er auch Urlaub hat“, fügt Amélie mit wichtiger Miene hinzu.
„Aha“, ich nicke langsam, immer noch etwas verwirrt, „und wo ist eure Mama jetzt?“
„Bei euch zu Hause, zusammen mit Zoe und Mona.“ Überrascht schaue ich auf und sehe, wie Romy lächelnd und mit wenigen Schritten über den Bürgersteig auf uns zukommt. „Und während die drei sich unterhalten und vermutlich alte Erinnerungen austauschen, bin ich mit den zwei Gourmets hier erst zur Eisdiele und anschließend auf den Spielplatz zum Austoben gegangen.“
„Okay, verstehe“, sage ich und nicke erneut, doch irgendetwas in Romys Blick lässt mich leicht die Stirn runzeln.
So als wollte sie mir etwas sagen, könnte es aber aufgrund von Amélies und Thibaults Anwesenheit nicht tun…
„Wo ist denn dein Bruder?“, holt mich in diesem Moment Thibaults Stimme aus meinen Gedanken zurück, der sich ein wenig suchend umschaut, „Zoe hat gesagt, dass du mit ihm unterwegs bist.“
„Ähm, ja. Das war ich auch, aber ich habe Danny schon wieder zu unserer Mutter nach Hause gebracht.“
„Ach, menno“, schmollend verschränkt Thibault seine kurzen Arme vor der Brust, „du hast doch an Weihnachten gesagt, dass wir ihn kennenlernen werden.“
„Und das werdet ihr auch“, erwidert Romy, die sich lächelnd zu den Zwillingen vorgebeugt hat und ihnen verschwörerisch zuzwinkert, „allerspätestens am Tag der Hochzeit.“
„Aber wirklich allerspätestens“, bestätige ich Romys Aussage und zwinkere den beiden ebenfalls zu, als ich mich wieder aufrichte.
Das lässt die beiden zufrieden lächeln, bis Amélie mit einer Hand am Bund meines Shirts zupft.
„Können wir morgen was zusammen machen, Lola?“
„Oh, ähm…das kann ich ehrlich gesagt jetzt so gar nicht sagen“, erwidere ich und fahre mir nachdenklich mit einer Hand durch die Haare, während ich aus den Augenwinkeln erneut diesen gewissen Blick von Romy bemerke, „das müsste ich mit Rohan besprechen. Er ist mein Trauzeuge und weiß genau, was ich noch alles für die Hochzeit brauche und vor allen Dingen erledigen muss. Aber was haltet ihr davon, wenn wir dafür den heutigen Abend auf jeden Fall zusammen verbringen? Wir könnten einen Film schauen und Pizza bestellen und…“
„Au jaaa!“
Der erneut überraschend synchrone Ausruf der beiden übertönt meinen Vorschlag, als die zwei im nächsten Moment auch schon beginnen, irgendetwas auf Französisch auszudiskutieren, wahrscheinlich entweder den Film oder die Pizzawahl betreffend.
Während Amélie und Thibault vollkommen in ihre Unterhaltung vertieft sind, lasse ich mich ein paar Schritte nach hinten fallen, bis ich schließlich neben Romy gehe, die abwechselnd zwischen den beiden und mir hin und her sieht.
„Okay, was ist los?“, frage ich leise, während ich meinen Blick fest auf Amélie und Thibault vor uns gerichtet habe, „warum bist du mit Amélie und Thibault Eis essen und auf den Spielplatz gegangen? Und warum ist Marie frühzeitig mit den beiden hierher gefahren? Das macht absolut keinen Sinn! Was soll das alles?“
„Ich weiß es nicht…also…nicht so genau. “, murmelt Romy, die kurz innehält, bevor sie mich
eindringlich aus ihren blauen Augen ansieht, „aber so fertig wie deine zukünftige Schwägerin
ausgesehen hat, kann es nichts Gutes bedeuten…“- Zoe -
„Constantin hat was?!“
„Nicht so laut, chérie“, raune ich Lola zu, die mich von unserem Bett aus vollkommen entgeistert ansieht, „sonst weckst du am Ende noch Amélie und Thibault.“
„Glaub ich nicht“, murmelt Lola abwesend, während ich die Träger meines Nachthemdes zurechtzupfe und anschließend durch unser Schlafzimmer streife, um das Deckenlicht zu löschen. „Die beiden sind ja schon fast beim Pizzaessen eingeschlafen und haben den Film auch nicht richtig mitbekommen. Kein Wunder, nach der langen Autofahrt und dem Nachmittag mit Romy.“
„Mag sein, aber trotzdem. Sicher ist sicher.“ Umgeben von Dunkelheit tapse ich zurück zu unserem Bett und krabble hinein, nur um einen Moment später Lolas warmen Körper zu spüren, welcher sich an mich kuschelt und mich aufseufzen lässt.
„Ich glaube das nicht…“
„Was denn, chérie?“, erwidere ich verträumt und atme scharf ein, als Lolas Finger kurz über meine Brüste streichen, als sie ihren Arm über meinen Bauch legt.
„Na, das mit Constantin“, entgegnet Lola, wobei ich an ihrer Stimme erkenne, wie sie leicht die Augen verdreht, während sie gleichzeitig ihren Kopf auf meine Schulter legt, „ich kann mir nicht vorstellen, dass er Marie betrügt. Ich meine, er liebt sie und seine Kinder doch über alles und er weiß, dass er damit riskiert die drei zu verlieren.“
„Ja, das weiß er“, sage ich leise und spüre, wie sich erneut alte Erinnerungen ihren Weg zurück in meine Gedanken bahnen, „aber viele Menschen interessiert das nicht. Sie kümmern sich nur um ihr eigenes Vergnügen und solange dieses gestillt wird, ist ihnen der Rest egal. Auch die damit einhergehenden Konsequenzen.“
Unter leichtem Knarren der Matratze und Rascheln der Bettdecke richtet Lola sich neben mir etwas auf und trotz der Dunkelheit erkenne ich, dass sie fragend eine Augenbraue gehoben hat.
„Du redest jetzt aber nicht mehr von Constantin, oder?“, fragt sie nachdenklich, „weil…also…ich meine, du kennst ihn natürlich schon viel länger als ich, aber als wir an Weihnachten bei deinen Eltern waren, hat er überhaupt nicht so auf mich gewirkt.“
„Nein…ja…nein…ach, verdammt“, ich seufze tief, „ich…ich weiß doch auch noch nicht genau, was ich denken soll, chérie. Einerseits hat Marie diesen Zettel und den Slip in Constantins Koffer gefunden, andererseits passt so etwas überhaupt nicht zu ihm…ich bin einfach vollkommen verwirrt und ratlos…“
„Und auf was…beziehungsweise auf wen…wolltest du dann mit deiner vorherigen Beschreibung hindeuten, Zoe?“, fragt Lola weiter, woraufhin ich mir im Liegen mit einer Hand durch die Haare fahre.
„Ich…ach, keine Ahnung…das war einfach nur so dahin gesagt…“
„Das glaube ich nicht“, erwidert Lola und schüttelt langsam den Kopf, bevor sie wieder ein Stück näher zu mir rutscht und ich trotz der Dunkelheit den forschenden Blick aus ihren azurblauen Augen spüre, „für mich hat es sich so angehört, als würdest du dabei von einer ganz bestimmten Person sprechen…und ich denke auch, dass ich weiß, wen du damit gemeint hast.“
Ich schlucke und halte für einen Moment inne, bevor ich ergeben aufseufze.
„Na gut“, murmle ich und hole ein weiteres Mal tief Luft, „vielleicht erinnert mich Maries momentane Situation ein wenig an meine damalige Trennung von Robert…“
„Vielleicht?“
Lolas wenig überzeugter Tonfall lässt mich leise aufschnauben und die Wut von vorhin wieder in mir aufsteigen. „Okay, du hast ja Recht! Es erinnert mich daran! Es erinnert mich daran, wie ich damals früher als geplant nach Hause gekommen bin und meinen Mann mit seiner Sekretärin in unserem Ehebett erwischt habe! Es erinnert mich daran, wie ich mich monatelang nachts in den Schlaf geweint habe. Es erinnert mich daran, wie mir die Trennung und später die Scheidung den Boden unter den Füßen weggerissen haben! Es erinnert mich an den Schmerz, die Wut, die Trauer und dieses unsägliche Gefühl der Demütigung, welches ich bis heute zu einem gewissen Grad in mir trage! Bist du jetzt zufrieden?!“
„Nein.“ Lolas ruhige Antwort lässt meinen Gesichtsausdruck komplett entgleiten und öffne schon meinen Mund zu einer passenden Gegenantwort, als ich mit einem Mal zwei Arme spüre, die sich um meinen Körper legen und mich zu Lola ziehen.
„Ich wünschte, dir wäre diese Erfahrung erspart geblieben, Zoe“, murmelt sie in mein Haar und küsst es anschließend, woraufhin ich fühle, wie die Anspannung meinen Körper verlässt und ich mich vollkommen in Lolas Umarmung fallen lasse.
„Dann wären wir aber vermutlich nicht zusammengekommen, chérie“, sage ich leise und spüre Lolas Lächeln in meinem Haar.
„Vielleicht ja doch. Das kannst du nicht wissen.“
„Na ja, ich denke schon“, erwidere ich kleinlaut.„Ich habe Robert damals so sehr geliebt, dass ich mich wahrscheinlich nicht auf dich eingelassen hätte…erst recht, wenn man die Umstände bedenkt, unter denen wir uns kennengelernt haben…“
Lola schweigt für einen Moment und ich bereue schon, diese Worte ausgesprochen und überhaupt gedacht zu haben, als ich einen weiteren Kuss von Lola auf meinem Haar spüre.
„Das Wichtigste ist, dass du jetzt glücklich bist, Zoe.“
„Ja, das bin ich“, ich drehe meinen Kopf und schaue zu Lola, die mich liebevoll anlächelt, „dank dir. Du machst mich glücklich, chérie.“
Lolas Lächeln wird etwas breiter und sie zieht mich noch näher zu sich, während sie sich gleichzeitig mit einem leisen Seufzer zurück ins Kissen sinken lässt.
„Das ist alles, was ich will...“
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romantik- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...