57. Kapitel - Tanz im Kreis

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Feuchtwarme Schwaden stiegen empor und das Prasseln feiner Tropfen hallte leise von den marmornen Wänden wieder. Langsam ließ die Rabenmutter ihren Kopf in das heiße Wasser sinken.
Sie schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen.
Die Welt war dunkel und warm.
Die Wärme half ihr normalerweise dabei, zumindest für ein paar Minuten abzuschalten, sich treiben zu lassen und in Ruhe noch einmal alles zu reflektieren.
Es war erst früher Nachmittag, aber trotzdem fühlte sie sich ausgelaugt. In nicht einmal ganz zwei Stunden würden die Verhandlungen weitergehen. Voraussichtlich bis tief in die Nacht.
Irgendwie machte ihr das alles mehr zu schaffen als sie gedacht hatte.
Ob es das Alter war?
Sie begutachtete kritisch ihre Hände. Die Haut war für ihren Geschmack etwas zu dünn und zu trocken. Sie sollte darauf achten, sich öfter einzucremen. Aber auf den ersten Blick würde das hoffentlich niemandem auffallen.
Vorsichtig tastete sie ihre Brüste und den Bauch ab. Die Narben waren kaum noch zu sehen und schmerzten schon eine Weile nicht mehr, dabei lag die Operation, die ihr wieder ein strafferes Aussehen verliehen hatte, kaum zwei Wochen zurück. Die Chirurgin machte ihre Arbeit gut. Auch wenn selbst sie die Spuren des Alters nicht gänzlich zu tilgen vermochte.
An manchen Tagen kam ihr Körper ihr wie eine dünne Hülle vor, deren Äußeres verzweifelt versuchte, den Anschein von Jugend zu wahren, während sie im Inneren unweigerlich verfaulte.
Angewidert ließ sie die Hände zurück ins Wasser sinken. Es war ein Kampf, den sie ohne Zweifel verlieren würde. Die Frage war bloß wann.
Doch dafür würde sie andere Kämpfe gewinnen. Den um den Thron zum Beispiel.
Auch wenn die Offenbarung der Priester heute morgen ärgerlicherweise den Großteil ihrer Pläne gründlich durcheinander gewirbelt hatte. Die Strecke für den Wettlauf auf einen anderen Planeten zu legen war blanker Wahnsinn. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben.
Sie ließ sich noch ein wenig tiefer sinken. Das warme Wasser spielte sanft mit ihrem Haar.
Müde schloss sie die Augen und lauschte dem unablässigen Prasseln der Tropfen. In dieser Sekunde wurde in der Stadt des Raben bereits ein ganzes Team von Weltraumexperten zusammengestellt, die schnellstmöglich beginnen sollten, die Strecke und die planetaren Gegebenheiten zu analysieren, damit das Technikteam geeignete Ausrüstung entwerfen konnte.
Und sie wusste einige der besten Wissenschaftler auf ihrer Seite. Mit Ausnahme von Franziska. Sie war der mit Abstand klügste Kopf, der ihr je begegnet war. Aber aus irgendeinem Grund, hatte sie sich vor wenigen Wochen gegen ihre Heimat entschieden und war in die Stadt des Löwen gereist. Das war eines der wenigen Dinge, die ihr wirklich Bauschmerzen bereiteten. Franziska in den eigenen Reihen zu wissen, war fantastisch. Aber noch viel schlimmer als ihr Verlust, war die Tatsache, dass Franziska einige Dinge wusste, die besser nicht an die Löwen weitergegeben werden sollten.
Nur ihr Champion war die einzige Unbekannte in der Gleichung.
Wenigstens hatte sich Rabenfeder bereit erklärt, die Beziehungen zu den anderen Adelshäusern zu stärken und in Erfahrung zu bringen, wo deren jeweilige Schwachstellen lagen. Sie hatte schon befürchtet, dass sie ihr Angebot ablehnen würde. Die Aufgabe war groß. Aber sie hatte sich nicht ohne Grund dafür entschieden, zuallererst Rabenfeder anzufragen. Die Kleine hatte Potential. Auch wenn sie noch ein wenig schüchtern war und scheins gerne viel zu viel nachdachte.

Sie fragte sich, ob sie Rabenklaue noch bis zum Ende würde begleiten können. Zwanzig Jahre waren eine lange Zeit.
Aber dazu müsste er erst einmal den Thron bekommen.
Es war kein Geheimnis, dass viele der Adelshäuser mit gezinkten Karten spielten.
Sie schmunzelte. Sie hatte auch ein paar schmutzige Tricks im Ärmel.

Als die Gedanken gingen und langsam wieder Ruhe in ihren Kopf einkehrte, wusste sie, dass es an der Zeit war, langsam aufzustehen und der Welt entgegen zu treten.

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt