41. Kapitel - Scheiß Wichser

38 6 41
                                    

Der bullige Türsteher des Bordells betrachtete ihn geringschätzig und ließ die Fingerknöchel knacken.
"Zahlst du jetzt oder ziehst du deinen Schwanz ein und verschwindest?"

"Sie verstehen mich nicht," murmelte Mark leise und schluckte.
Er hatte kein Geld dabei.

"Nein, du verstehst mich nicht," sagte der Türsteher entschieden und schob die Ärmel seiner dunkelgrauen Uniform nach oben. Mark bemühte sich nicht zu sehr auf die glattrasierten, über und über tätowierten Unterarme zu starren. "Entweder du zahlst oder du ziehst Leine. Und zwar dalli. Ich bekomme mein Geld schließlich nicht für's Diskutieren."

Mark drückte den Rücken durch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte spüren wie sein Herz gegen die Rippen klopfte. Fehlte nur noch, dass er rot wurde wie ein schüchternes kleines Kind.
"Ich würde gerne mit CIS.A. sprechen. Es ist wichtig," wiederholte er höflich, was er eben schon gesagt hatte.

"Schön für dich. Wenn du mit ihr reden willst, dann zahl."

"Kann ich nicht."

"Dann kannst du auch nicht mit ihr reden," sagte der Türsteher kalt. "Wir sind schließlich keine Wohlfahrtsorganisation.
Außerdem bezweifle ich stark, dass jemand ein Freudenhaus aufsucht, nur um mit einer der Angestellten zu reden."

Mark atmete tief durch und verfluchte sich im Stillen dafür, dass er so ein Idiot war.
Er hätte auf Patrick hören sollen.
Es war eine dumme Idee gewesen, sich überhaupt auf die Sache mit Zaarah und ihrer geheimnisvollen Organisation einzulassen.
Und eine noch größere Dummheit ausgerechnet Leonardo um Hilfe zu bitten.
Aber irgendwer musste Mia doch helfen. Und wer könnte das sein, wenn nicht Zaarah und er?

Trotzdem hatte Patrick nur mäßig begeistert gewirkt, als er ihm von seinem Vorhaben erzählt hatte. Vor allem als er erfahren hatte, dass Mark nicht einmal wirklich wusste, warum die beste Freundin seiner Schwester ihn unbedingt um Acht im Farmerviertel sehen wollte.
Dennoch rechnete er es seinem ehemaligen besten Freund hoch an, dass dieser sich, wenn auch widerwillig, bereiterklärt hatte, heute Abend für ihn am Band einzuspringen.
Irgendwo konnte Mark seinen Kumpel ja verstehen.
Jeder in der Fabrik wusste, dass Leonardo nur aus Alibi-Gründen dort arbeitete. So, wie fast alle, die Mitglied in einer der größeren Banden waren.
Doch ohne einen wirklich triftigen Grund kam keiner aus der Unterschicht auch nur in die nähere Umgebung des Farmerviertels. Schon gar nicht gegen Acht Uhr abends, wenn sich die Nacht bereits über die Stadt senkte.
Die reicheren Leute waren allesamt sehr darauf bedacht, jegliches Gesindel von sich und den turmhohen Gewächshäusern fernzuhalten, in denen auf tausenden von Etagen Nutzpflanzen kultiviert wurden.
Nicht ganz zu Unrecht wie Mark fand.
Nur, dass sich die wirklich üblen Gesellen nicht so einfach von ein paar Alarmanlagen, Wachen und nächtlichen Straßensperren abschrecken ließen.
Gesellen wie Leonardo.

Anfangs hatte er Angst gehabt, Leonardo würde ihn auslachen.
Oder dumme Fragen stellen.
So wie Zaarah sich verhalten hatte, schien die ganze Sache ziemlich geheim zu sein und er wollte Mia nicht gefährden, indem er unnötige Risiken einging.
Je weniger Kerle wie Leonardo davon wussten, desto besser.
Zum Glück hatte Leonard sich nicht ansatzweise für das Wieso und Warum interessiert, sondern Mark einen Kontakt empfohlen. Allerdings war er sich inzwischen nicht mehr so sicher, wie hilfreich Leonardos Tipp tatsächlich war.

"CIS.A kennt mich. Wir waren gemeinsam in der Schule," versuchte er es erneut, ohne große Hoffnung, dass seine Worte dieses Mal auf fruchtbaren Boden fallen würden. Seien sie auch noch so wahr.

Er und Larissa hatten in der Grundschule die selbe Klasse besucht. Danach waren sie beide arbeiten gegangen. Er in die Fabrik, sie vorerst als Küchenhilfe ins Freudenhaus, wo sie sich seit ein paar Jahren den Spitznamen CIS.A. zugelegt hatte.
Seitdem hatte er nicht mehr viel von Leonardos kleiner Schwester gehört.

"Aha. Und jetzt willst du eure Bekanntschaft wohl vertiefen."
Die Stimme des Türstehers triefte nur so vor unterschwelligem Spott.

"Nein," sagte Mark und begann unruhig seine Finger zu kneten. "Oder das heißt, eigentlich ja. Aber nicht so wie du jetzt denkst."

"Woher willst du denn wissen, was ich denke?" fragte er lauernd.

Mark biss sich auf die Lippe und senkte langsam den Kopf. Wie es aussah konnte er das mit Acht Uhr im Farmerviertel vergessen.
Er hätte wirklich auf Patrick hören sollen. Mit Leuten wie Leonardo war nicht zu spaßen. Gerüchte kamen schließlich in der Regel nicht von ungefähr.
Leonardo hatte Mark zwar gönnerhaft an seine kleine Schwester weiterverwiesen, als er ihn zwischen zwei Arbeitsphasen nach einer Möglichkeit gefragt hatte, vor Acht Uhr ungesehen ins Farmerviertel zu gelangen, aber dass er erst Kohle blechen musste, um sich überhaupt mit Larissa zu treffen, das hatte Leonardo natürlich mit keinem Wort erwähnt.

"Scheiß Wichser!" murmelte Mark leise, in der Hoffnung, dass er sich dadurch besser fühlen würde.

Mit einem Mal tat der Türsteher einen beherzten Schritt auf ihn zu und packte ihn mit kräftigen Armen am Oberkörper.
Ehe er wusste wie ihm geschah, schlug Mark mit dem Brustkorb auf dem harten Straßenboden auf.
Kaum einen Herzschlag später, saß der Türsteher auf seinen Rücken.
Der Geruch nassen Teers stieg ihm in die Nase. Der Regen von heute Nachmittag hatte zwar aufgehört, aber die dichte Wolkenwand, die sich nach wie vor über den grauen Himmel schob, verhinderte, dass das Wasser nennenswert auftrocknete.
"Sag das nochmal!" zischte der bullige Typ von oben herab in sein Ohr. "Nenn mich noch einmal einen dreckigen, kleinen Wichser und -"

"Sie waren nicht gemeint," stieß Mark schwer atmend hervor.
Das Gewicht des Türstehers drückte bleischwer auf seine Lungen und verhinderte, dass er richtig Luft holen konnte. "Das ist. Ein Missverständnis."
Allerdings musste Mark zugeben, dass sich der Türsteher im Moment auch wie ein verdammter Wichser benahm.

"Ach ja?" sagte der Türsteher spitz. "Das sagen sie alle. Glaub mir, Leute wie dich kenne ich zur Genüge.
Erst eine große Klappe haben, aber sobald es brenzlig wird, ist auf einmal alles nicht mehr so gemeint."

Vergeblich stemmte Mark die Handflächen auf den rauen Boden, um sich wieder aufzurichten. Oder zumindest besser Luft zu bekommen.
Langsam spürte er, wie das kalte Nass durch die abgetragene Jeans und den übergroßen Kapuzenpulli kroch.
Seine Rippen drückten unangenehm auf den harten Straßenbelag. Genau wie seine Hüftknochen.

"Vergiss es," murmelte der Türsteher bestimmt. "Mich beleidigt keiner mehr."
Er verlagerte sein Gewicht einige Zentimeter nach vorn, sodass Mark jeglicher Versuch, sich aufzurichten, unmöglich wurde. "Mich würde übrigens interessieren, wer deiner Meinung nach dann ein verdammter Wichser ist, wenn ich es nicht bin."

"Leonardo," stieß Mark zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und bereute es noch im selben Augenblick.
Würde der Bandenboss sauer auf ihn sein, wenn er herausfand, dass er ihn verraten hatte?
Die Gangs standen nicht gerade im Ruf zimperlich zu sein.
Kein Wort zu niemandem. Auch nicht zu meiner Schwester, verstanden?, hatte Leonardo ihm zu gewispert, als er ihm ein kleines, durchsichtiges Päckchen in die Hand gedrückt hatte.

In diesem Moment ließ der Türsteher ihn ruckartig los und trat zügig ein paar Schritte zurück. "Du arbeitest für Leonardo? Den Leonardo?" fragte er ungläubig.

Mark erstarrte.
Der Türsteher würde ihn doch wohl nicht für ein Bandenmitglied halten?

Schon die bloße Existenz der Banden wurde von den Rabenkindern nicht gerne gesehen. Dementsprechend wenig zimperlich gingen sie mit möglichen Unterstützern um und desto so großzügiger fiel die Belohnung derjenigen aus, die ihnen Mitglieder auslieferten.
Was, wenn der Türsteher das kleine Päckchen mit dem weißen Pulver fand, dass er im Austausch für Leonardos Hilfe ins Farmerviertel schmuggeln sollte?

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt