34. Kapitel - Liste der Looser

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Kerzengerade stand die Rabenmutter neben dem Tischchen mit dem Sektempfang und lächelte gütig, aber auch ein klein wenig herablassend in die Runde. Innerlich jedoch kochte sie vor Wut. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende getan, damit sich das Drama vom letzten Mal nicht wiederholte. Hatte alles Mögliche veranlasst und das Unmögliche Wirklichkeit werden lassen, damit ihr Champion dieses Mal bessere Chancen hatte.
Und dann passierte, was passieren musste: der Champion war über die Maßen unfähig.
Sie schnaubte und bedachte Ravenna mit einem abfälligen Blick. Ihr Kleid war an einigen Stellen zerrissen oder abgescheuert und alles in allem verlief im Moment überhaupt nichts nach Plan. Sie sollte Dirk feuern.
"My Lady, es ist mir eine Ehre."
Die Rabenmutter schreckte auf und begann sogleich wieder gütig zu lächeln. Aber der Baron aus Stadt des Krokodils meinte gar nicht sie. Natürlich nicht. Niemand hegte Interesse an jemandem, dessen Champion eine einzige Peinlichkeit war und der schon seit Ewigkeiten keinen König mehr gestellt hatte. Sie seufzte innerlich, ohne nach außen hin auch nur eine Miene zu verziehen.
Das zeigte nur, wie gering ihre Chancen auch dieses Mal wieder waren. Dabei hätte sie es Rabenklaue so sehr gewünscht. Ganz egal, was die anderen über ihn sagen mochten, er war ein guter Junge. Und ganz bestimmt auch ein guter König.
Vermutlich hätte sie doch auf ihn hören und den Champion austauschen sollen.
Man hätte es ja nicht öffentlich machen müssen.
Ob es wohl noch eine Möglichkeit gab, sie jetzt noch unauffällig zu ersetzen?

Mit einem Mal stoppte die leise Musik im Hintergrund und ein donnernder Paukenschlag hallte durch den festlichen Saal. Schlagartig wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Die große Flügeltüre am anderen Ende des Raumes schwang auf und der offensichtlich greise Baron des Löwen betrat mit Champion und Gefolge den Raum. An seiner Seite stolzierte ein Löwe mit prachtvoller Mähne.
Sein Löwe hat deutlich mehr Haare als er, kommentierte die Rabenmutter leise in Gedanken. Irgendetwas musste man ja machen, um sich zu beruhigen. Sie begann scheinbar gelassen die Federn des Raben zu kraulen, der auf ihrer Schulter saß, ohne den Baron auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Man konnte förmlich spüren, wie sich auch alle anderen Blicke neidvoll auf ihn richteten. Er hatte die Ehre, heute der Gastgeber zu sein, denn es war seine Dynastie gewesen, die den letzten Herrscher gestellt hatte. Die Rabenmutter krallte ihre Finger ein wenig fester um ihr Sektglas und der Rabe auf ihrer Schulter stieß ein empörtes Krächzen aus. Mistvieh.
Das nächste Mal würde sie der Gastgeber sein, schwor sie sich stumm. Eine solche Demütigung wollte sie sich nicht mehr gefallen lassen.
Als der Baron würdevoll nähertrat, stellte sie mit Genugtuung fest, dass er sogar noch älter aussah, als sie anfangs angenommen hatte. Schlechtes Personal, was sonst.
Sie selbst hatte beinahe genauso viele Jahre durchlebt, sah aber noch deutlich jugendlicher aus. Aber was wollte man auch schon erwarten?
Die Stadt des Löwen war dafür bekannt ein wenig barbarisch zu sein. Wenn auch nicht ganz so schlimm wie die Anhänger des Skorpions. Die rasierten sich kahl und tätowierten ihre dunkle Haut über und über mit silbern schimmernden Runen und stilisierten Skorpionen. Eigentümliche Vorstellung von Mode.
Sie musterte den Baron abschätzig. Hübsch war er definitiv schon lange nicht mehr. Allerdings musste sie zugeben, dass die Löwen mit ihrem Champion deutlich mehr Glück gehabt hatten als sie.

Wenig später, als die meisten anderen schon in ausgiebige Gespräche vertieft waren und einander eifrig ihre Thronanwärter und Champions präsentierten, stand die Rabenmutter immer noch alleine in der Ecke, Rabenklaue und Ravenna hinter ihr auf Position. Sie lächelte und versuchte so zu wirken als würde es ihr nicht im Geringsten etwas ausmachen, dass niemand ihren Champion für gefährlich genug hielt, um ihr einen Besuch abzustatten.
Nach der verpatzen Vorstellung von Ravenna war das ja auch kein Wunder. Trotz all den Championvorstellungen, die sie schon erlebt hatte, konnte sie sich nicht erinnern, dass jemals jemand eine solche Bruchlandung hingelegt hatte.
Sie warf einen nervösen Blick hinter sich. Ravenna stand noch auf ihrem Platz. Wenn auch ein wenig steif und mit einem Gesichtsausdruck als hätte sie gerade in eine saure Zitrone gebissen.
Sie ließ ihren Blick verstohlen durch den Raum schweifen. Als sie sich sicher war, dass gerade niemand hinsah schnitt sie hektisch eine Grimasse. Eigentlich hatte sie ihrem Champion damit befehlen wollen endlich zu lächeln, doch Ravenna runzelte bloß verwirrt die Stirn. Sie hatte offensichtlich nichts kapiert. Rein gar nichts!
Derweil hatte der Lord aus der Stadt der Eule sein Gespräch mit dem Skorpionanwärter beendet. Seine großen, bernsteinfarben Augen durchkämmten den Saal und ließen sie einfach Links liegen! Erst als er feststellte, dass alle anderen schon belegt waren wandte er sich ihr zu. Er wirkte leicht gelangweilt.

"My Lady, euer äußeres Erscheinungsbild ist wie immer sehr bezaubernd. Wüssten wir es nicht alle besser könnten wir euch doch glatt für ein junges, hübsches Fräulein halten," sagte der Eulenlord betont höflich. Er selbst war auch nicht mehr ganz der jüngste, trat aber trotzdem wieder einmal persönlich als Thronanwärter an. Eingebildeter alter Wichtigtuer.
Die große, goldbraune Eule auf seiner Schulter plusterte ihre Federn auf und klappte mit dem Schnabel.
Die Rabenmutter nippte leicht verärgert an ihrem Sektglas.
"Ebenfalls sehr erfreut," flötete sie. "Ihr seht heute sehr stolz und äußerst wichtig aus. Wüssten wir es nicht alle besser könnte man doch glatt meinen, ihr würdet keinerlei Vertrauen in eure Nachkommen hegen, die den Platz sicherlich auch verdient hätten."
Wie beiläufig deutete sie auf den ältesten Sohn des Eulenlords und ärgerte sich noch im selben Moment, dass ihr nichts Besseres eingefallen war.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass der Sohn eifersüchtig zu ihnen hinüberstarren würde, aber er unterhielt sich augenscheinlich prächtig mit Rabenfeder. Sehr neidisch sah er nicht aus. Im Gegenteil. Er lächelte Rabenfeder breit an und musterte sie aus seiner großen, runden Fliegenbrille fasziniert. Rabenfeder errötete ein wenig und nippte leicht verlegen an ihrem Sekt.
Götter! Gefiel er ihr etwa?

Bemüht weiter zu lächeln, als wäre nichts gewesen, fuhr sie zügig fort: "Dies hier ist übrigens unser Thronanwärter." Stolz deute sie auf Rabenklaue, der mit seinem Raben auf der Schulter wie eine Eins hinter ihr stand. Er gab wahrlich eine gute Figur ab.
Doch der Eulenlord schien es gar nicht zu bemerken. Erst starrte er Rabenklaues Gesichtsmaske irritiert an, nur um dann Ravenna zu entdecken, die sich auf ihren Befehl hin ein paar Schritt weiter hinten aufhielt. Der Lord räusperte sich, aber es sah eher so aus als wolle er ein amüsiertes Schmunzeln unterdrücken.
"Das könnte ja interessant werden," sagte er mit einem leicht ironischen Unterton.
Das gütige Lächeln der Rabenmutter gefror zu Eis. Hatte dieser Bastard gerade etwa angedeutet, dass er sie für nicht konkurrenzfähig hielt?
"Es ist nicht so wie es scheint," sagte sie schnell.
"Ach ja?" Der Eulenlord zog beide Augenbrauen in die Höhe und wirkte dabei ganz wie ein übereifriges Eichhörnchen.
"Wir haben noch den ein oder anderen Trumpf im Ärmel. Unser Champion verfügt über verborgene Talente."
"Die da wären?"
Für einen Moment verschwand das Lächeln ganz aus ihrem Gesicht. Ihr Mund öffnete und schloss sich wieder. "Ich... bin doch nicht so blöd, das auszuplaudern," sagte sie schließlich möglichst würdevoll.
"Verständlich. Die Chamäleons haben auch versucht ein Geheimnis aus dem verborgenen Talent ihres Champions zu machen. Allerdings nicht sehr erfolgreich. Falls es euch interessiert: er stottert. Das jedenfalls ist mein Champion," sagte der Lord hochnäsig und deutete auf einen jungen Mann hinter sich, der einen geschmacklosen geschnittenen Umhang aus Eulenfedern trug.
Mit Ravennas Kleid aus schillernden Rabenfedern konnte das sicher nicht mithalten, dachte die Rabenmutter, verkniff sich aber eine derartige Bemerkung, wohlwissend, dass der Lord mit dem zerrupften Zustand dieses Kleides gekontert hätte.
Sie musterte den Eulenchampion prüfend. Er war nicht allzu groß, aber dafür ließen seine nackten Oberarme auf ein nicht unerhebliches Maß an Muskelmasse schließen, das sie unwillkürlich schlucken ließ.
Klar, es kam beim Wettlauf nicht nur auf Kraft an, aber zumindest in dieser Hinsicht, hatte der Lord wohl einen Glücksgriff gelandet. Im Gegensatz zu ihr. Sie warf einen verstohlenen Seitenblick auf Ravenna und musste erneut ein Seufzen unterdrücken.

Auch der Vergleich mit den anderen Champions fiel überaus ernüchternd aus. Soweit sie das beurteilen konnte, waren so ziemlich alle deutlich besser geeignet als Ravenna.
Bis auf die Chamäleons, die dem Anschein nach als einzige eine noch magerere Ausbeute zu verzeichnen hatten. Oder eher eine viel zu fette. Man konnte ihre Scham förmlich spüren. Die Götter waren ihnen schon seit längerem nicht gewogen, hieß es.
Wenigstens stand ihr Rabenklaue so nicht ganz oben auf der Liste der Looser.
Sondern lediglich auf Platz zwei.

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt