Herrentoilette,
stand in großen, geschwungenen Lettern auf einer Türe aus gräulichem Holz, die definitiv schon bessere Tage gesehen hatte. Sie war über und über mit seltsamen Schnitzereien verziert. Lauter kleine, groteske Gestalten, die mich bei jeder Bewegung misstrauisch zu beobachten schienen.
Hier musste es sein.
Für einen kurzen Moment hielt ich inne, um mich zu sammeln.Nicht, dass es viel brachte. Ich hatte nach wie vor zwei Probleme, für die mir nicht wirklich eine gute Lösung einfallen wollte.
Erstens, was zur Hölle sollte ich sagen, wenn ich auf einmal in eine Horde im Stehen pinkelnder Männer platzte?
Ich meine, "Sorry, falsch Tür," hätte wohl kaum gezogen. Vor allem nicht, wenn man bedachte, dass die Türen hier tatsächlich auch alle wie richtige Türen aussahen. Jeweils feinsäuberlich mit Nummer und Schild versehen, das Auskunft über den Raum gab, der sich dahinter befand.
Das klassische System eben und keine hinter Lichtillusionen verschwindenden Geheimportale, wie es größtenteils bei den Rabenkindern der Fall war.Aber selbst, wenn ich Glück hatte und niemanden beim Pinkeln störte, blieb immer noch Problem Nummer zwei.
Falls alles so ablief wie vorhergesehen, dann hätte ich gleich endlich ein paar Minuten mit Rabenklaue allein. Eigentlich die perfekte Gelegenheit, um ihn auf Mark anzusprechen.
Aber was, wenn er nicht mit sich reden ließ?
Was, wenn er mauerte oder wenn herauskam, dass er einen guten Grund gehabt hatte sich im Stadtviertel der Unterschicht herumzuschleichen?Ich krallte meine Finger ein wenig nervös in die leicht lädierten Federn meines Kleides, ließ es aber sofort wieder sein, als mir bewusst wurde, wie bescheuert das wirken musste. Ich war kein kleines, verängstigtes Mädchen mehr, das es nötig hatte Trost bei einem kaputten Kleid zu suchen.
Egal, ich würde das alles einfach spontan entscheiden.
Ich richtete mich auf, atmete tief durch und sah mich ein letztes Mal prüfend im langen Flur um.
Immer noch niemand zu sehen.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich die schlanke Klinke aus kühlem Metall hinunter und betrat mit mulmigem Gefühl die Herrentoilette.
Die Türe quietschte, als wolle sie damit Tote auferwecken und klemmte gegen Ende so stark, dass ich mich mit meinem ganzen Gewicht dagegenstemmen musste.
So viel zum Thema moderner Palast.
Das funktionierte ja selbst bei uns Zuhause besser. Und da gab es keine kleine Armee an Personal, das alles auf Trapp halten sollte.Das Innere überraschte mich dafür umso mehr.
Soweit ich es erkennen konnte, war alles blitzsauber, topmodern und die Wände akribisch mit einem Mosaik aus winzigen bläulichen Kacheln verputzt. Zu meiner Linken hing ein riesiger Spiegel, der fast die gesamte Wandfläche über den zahlreichen Waschbecken einnahm. Am meisten überraschte mich allerdings die Tatsache, dass doch tatsächlich ein ganzes Dutzend lebendiger Pflanzen im Klo stand!
Also, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, das Grünzeug wucherte nicht etwa aus den Toilettenschüsseln selbst, man weiß ja nie, auf was für verquere Gedanken Adelige so kommen können, sondern sie trennten den vorderen Bereich, dezent vom hinteren Bereich, der, wie ich in wenigen Minuten erfahren sollte, eine Handvoll Kabinen mit richtigen Klos beherbergte.Erleichtert registrierte ich, dass sich zumindest im Vorraum keine Fremden befanden. Niemand, der gerade im Begriff waren sich vor aller Augen zu erleichtern.
Glück gehabt.Wer hat sich diese Unart eigentlich ausgedacht?
Gut, als weibliches Wesen habe ich von solchen Dingen wohl nur wenig Ahnung, aber trotzdem. Wenn man sich in der Natur auf diese Weise erleichtert, von mir aus, aber doch nicht im Haus! Das spritzt doch alles voll.
Ich will gar nicht daran denken, dass irgendwer dann hinterher wieder saubermachen muss.

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Im Zeichen des Raben
Science FictionIn ferner Zukunft. Kriege, Klimawandel und Umweltverschmutzung haben ihren Tribut gefordert. Unsere heutige Zivilisation wurde vom Erdboden getilgt. Aus ihren Ruinen sind neue Hochkulturen entstanden. Neue Königreiche regieren nun die Welt. Für viel...