"Wieso ist er eigentlich so ein Arsch?"
"Wer?"
"Rabenklaue."
Für einen kurzen Moment wirkte Rabenfeder ein klein wenig irritiert und ich hätte schwören können, dass sie im Begriff war etwas zu erwidern, aber schlussendlich pflückte sie sich lediglich eine kleine, lilafarbene Traube von einem Tablett, das einer der dezent gekleideten Diener ihr im Vorübergehen anbot.
Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder den wirklich interessanten Dingen zu und beobachtete möglichst unauffällig die Gruppe kichernder Modepüppchen, denen Rabenklaue gerade Gesellschaft leistete.
Oder mit anderen Worten: ich wartete nur auf die nächstbeste Gelegenheit ihn mir alleine vorzuknöpfen. Vielleicht war er ja auskunftsfreudiger als Rabenfeder, sobald er erfuhr, dass jemand von seinem heimlichen Exkurs in die weniger privilegierten Viertel wusste. Blieb nur zu hoffen, dass sein kleiner Ausflug tatsächlich so geheim war wie ich vermutete. Nochmal würde er mir jedenfalls nicht entwischen.Wie ihr euch sicherlich ohne große Probleme vorstellen könnt, hatte ich nach meinem, gelinde gesagt, verpatzen Auftritt bei der Championvorstellung erst einmal ein gehöriges Donnerwetter von der Rabenmutter erwartet. Aber sie hatte mich lediglich mit einem eiskalten Blick durchbohrt und Professor Dr. Dr. Lohnmeyer strikte Anweisung erteilt, für heute unter keinen Umständen von meiner Seite zu weichen.
Von diesem Augenblick an beschloss er mein Schatten zu werden. Wohin ich auch ging, ständig war der graue Grießgram an meiner Seite und murmelte mir seine angeblich so wertvollen Tipps ins Ohr. Haltung und Gesichtsausdruck, meine Liebe, das ist ein Weinglas, du musst es anders halten, oh und falls du etwas essen möchtest, bitte wische dir keinesfalls deine Hände am Tischtuch ab...
Ich hätte ihn umbringen können. Was dachten diese Leute eigentlich von mir? Oder besser gesagt von uns, den Menschen aus der Unterschicht? Dass wir alle ein Haufen ungezogener Barbaren waren oder so?
Es war mir übrigens auch strengstens untersagt an meiner schlechtsitzenden und dadurch unglaublich unbequemen Rabenmaske herumzunesteln. Ob sie nun auf meine von der Operation noch empfindlichen Stellen drückte oder nicht.Ich befand mich nämlich auf der inoffiziellen, aber soweit ich das bisher mitbekommen hatte, deutlich wichtigeren After-Show-Party der Adeligen.
Eigentlich hätte es ganz cool sein können. Aber auch nur eigentlich.
Der Saal an sich war fantastisch. Überall standen ausladende Grünpflanzen und altertümliche Statuen herum, was dem Raum zusammen mit den unzähligen flackernden Windlichtern etwas beinahe Mystisches verlieh.
Auch das Essen, oder bessergesagt das "Bankett", wie der graue Grießgram mir eindrücklich eingeschärft hatte, war ganz nach meinem Geschmack. Essen ist immer toll.
Das einzige Problem waren die Gäste. Alle zehn Adelshäuser samt Champions wohlgemerkt. Sie waren zwar schön anzusehen mit ihren aufwendigen Kostümen, die in der Regel einen Bezug zu ihrem Haus darstellten, aber sie trugen größtenteils nicht gerade dazu bei die Atmosphäre im Raum aufzuheitern. Eher im Gegenteil.
Die meisten sahen zwar einigermaßen gut gelaunt aus, aber trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.
Vielleicht täusche ich mich auch, aber auf mich wirkte die ganze Veranstaltung irgendwie unwirklich, wie ein Film, in dem keiner so genau das Drehbuch kennt oder den Text der anderen.
Dieser Eindruck intensivierte sich zusehends als ich zusammen mit Rabenklaue den übrigen Anwärtern sowie einigen einflussreichen Persönlichkeiten der Reihe nach vorgestellt wurde.Ich will ja jetzt nicht als Jammerlappen dastehen, aber irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dass so ziemlich alle anderen Champions deutlich talentierter waren als ich.
Damit meine ich jetzt nicht, die Art und Weise wie sie ihr Weinglas anfassten.
Für alle, die es interessiert, der grobschlächtige Champion der Eulen machte das so offensichtlich falsch, dass der graue Grießgram definitiv auf der Stelle einen Herzanfall gekriegt hätte, wäre er nicht gerade damit beschäftigt gewesen mich darauf hinzuweisen nicht so verkrampft zu lächeln.
Was mich hingegen ernsthaft beunruhigte war die Tatsache, dass man den anderen Champions deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkte als mir. Und ich bin mir fast sicher, dass das ein schlechtes Zeichen war. Ein sehr schlechtes sogar.
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Im Zeichen des Raben
Ciencia FicciónIn ferner Zukunft. Kriege, Klimawandel und Umweltverschmutzung haben ihren Tribut gefordert. Unsere heutige Zivilisation wurde vom Erdboden getilgt. Aus ihren Ruinen sind neue Hochkulturen entstanden. Neue Königreiche regieren nun die Welt. Für viel...