25. Kapitel - Belanglosigkeiten

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Drei Stunden und ganze 521 Fehler später entließ mich der graue Herr endlich aus dem blöden Frühstücksraum. Ich will ja nicht als Weichei gelten, aber der Typ hatte mich echt fertig gemacht. Mit anderen Worten, mir ging es so, wie es wohl jedem normalen Menschen gehen würde, wenn er mehrere Stunden lang eine Kritik nach der anderen hätte einstecken müssen. Ehrlich jetzt, ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so viele vornehme Schimpfwörter und indirekte Beleidigungen auf einmal gehört. Hat eigentlich irgendwer von euch einen Plan, was "imbezill" heißen soll?

Glücklicherweise war MC800/G8003 wenigstens so nett gewesen auf mich zu warten. Wobei, was labere ich da eigentlich wiedermal für einen Müll? Seit wann können Maschinen denn nett sein? Oder weiblich?
MC800/G803 war einfach ein lebloser Roboter, mehr nicht. Aber gut, wie dem auch sei, jedenfalls konnte sie oder viel eher es mich so zu meinem nächsten Termin begleiten, was sich auch echt als Segen erwies. Denn erstens hatte ich weder eine Ahnung was mein nächster Termin war, noch wo genau ich dafür hin musste und zweitens schwirrte mein Kopf nur so vor unnötigen Informationen:
Ich sollte unbedingt anklopfen, bevor ich einen Raum betrat. Ja nicht zu leise, aber schon gar nicht zu laut. Gläser ohne Stil immer an der dicksten Stelle halten. Höflich lächeln, wenn ich nichts zu tun hatte. Und ganz wichtig: die Klappe halten! Ja keine unaufgeforderten Äußerungen von sich geben. Gerade stehen, Schulten zurück, auf keinen Fall ein Hohlkreuz.

Ehrlich, ich hasse diesen Typ. Aber sowas von!
Blöde Frage, aber hat er Hobbys? Oder Freunde?
Wohl eher nicht.
Eigentlich müsse er mir deswegen ja leidtun.
Aber auch nur eigentlich.

Diesmal klopfte ich wohlweislich, bevor ich den Raum betrat. Ich vermute stark, der graue Grießgram hätte es definitiv für zu laut befunden. Aber die elegante Frau in Uniform, die die Türe kurz darauf aufriss, schien es nicht im Mindesten zu stören.

"Einen schönen guten Morgen. Mein Name ist Mrs. Fox. Die Rabenmutter hat mich dazu auserkoren, ihnen ein passendes Outfit zu kreieren. Es ist mir eine Ehre, Ravenna," sagte sie mit sonorer Stimme und deutete eine knappe Verbeugung an. Doch ehe ich etwas erwidern konnte drängelte sie eine zweite Frau dazwischen. Ihr äußeres Erscheinungsbild war allerding mehr als nur ein wenig ungewöhnlich.
Irgendwie musste ich unwillkürlich an einen explodierten Farbkasten denken. Kleider und Haare, inklusive Wimpern und Augenbrauen, schillerten in allen Regenbogenfarben und Tonnen von Schminke und Tattoos taten ihr übriges. Außerdem ging sie Barfuß. An jeder anderen Person hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach nur schrecklich ausgesehen, aber bei ihr hatte es echt was.
Andererseits wirkte sie dadurch aber nicht wirklich professionnell. Es sei denn sie war Hofnärrin oder so.

"Komm doch rein," sagte die bunte Frau schließlich und lächelte dabei so freundlich, dass ich einfach zurücklächeln musste.
"Du kannst mich übrigens Rainbow nennen."

"Ihr wahrer Name ist Rosaria. Rosaria Dale," schaltete sich Mrs. Fox säuerlich ein. "Aber Rosaria zieht es natürlich vor, sich selbst Rainbow zu nennen. Weiß die Göttin warum."

"Ach ja?" schnappte Rainbow zurück. "Und du, du bist vielleicht super schlau aber dafür mangelt es dir durch und durch an Kreativität. Ich bin definitiv die bessere Designerin von uns. Aber so was von!"

Doch Mrs. Fox ignorierte sie geflissentlich. Stattdessen öffnete sie die Türe und deutete einladend nach innen. "Darf ich bitten, My Lady?"

"Nä, nä, näää," murmelte Raiwnbow und trottete beleidigt hinterher.

Während ich hinter Mrs. Fox durch den Raum lief, kam ich aus dem Staunen kaum noch heraus. Mir war als wäre ich in eine andere Welt getreten. Ich hatte nicht einmal mehr das Gefühl, mich überhaupt noch in einem Gebäude zu befinden. Eher auf einer Lichtung im Wald. An den Wänden schienen lauter grüne Pflanzen zu wuchern und riesige Bäume zu stehen, zwischen denen Schmetterlinge umhertanzten. Irgendwo in der Ferne rauschte ein Wasserfall und Vögel zwitscherten fröhlich ihr Lied. Es war fast schon schade, dass das alles gar nicht echt war. So ein kleines open-air-Atelier mitten im Wald wäre schon irgendwie schnuckelig gewesen. Aber auch nur solange es nicht regnete. Mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht wusste, ob es solche Wälder überhaupt noch gab. Hatte es da dann gefährliche Tiere? Also zum Beispiel Schlangen oder so? Unwillkürlich blickte ich mich um. Okay zugegeben, vielleicht hatte so eine Computersimulation auch ihre Vorteile.
Das Zimmer selbst erweckte ganz den Anschein, als hätte jemand genau in der Mitte einen Strich hindurchgezogen. Die eine Hälfte war völlig akribisch geordnet und blitzsauber. Ein jedes Ding schien seinen festen Platz zu haben. Selbst die unzähligen Stoffbahnen lagen sauber gefaltet und nach Farben sortiert in einem Regal und noch nicht einmal auf dem elektrischen Schreibtisch lag ein Körnchen Staub.
Die andere Hälfte war so ziemlich das genaue Gegenteil. Hier regierte das pure Chaos. Alles war über und über vollgestopft mit Kleiderpuppen und -ständern die sich unter Stoffbergen bogen, Unmengen von Stiften und Papier, das einfach so im Zimmer rumflog, diverse technische Gerätschaften, die irgendwie echt ulkig aussahen und einen zweiten elektrischen Schreibtisch, der halb unter dem ganzen Krimskrams verschwand. Erinnerte mich irgendwie ein wenig an mein eigenes Zimmer. Aber gut, dieses Thema müssen wir jetzt nicht ungedingt vertiefen...

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt