"Was genau ist eigentlich zwischen dir und Leonardo vorgefallen?"
Larissa schwieg, während sie im schummrigen Licht des Hinterhofs ihr Fahrrad aufschloss. Die Frage blieb für einige Augenblicke unbeantwortet in der kühlen Nachtluft hängen.
Irgendwo über ihnen schäpperte es laut und jemand fluchte herzhaft als ein vielstimmiges, helles Klirren ertönte.
Sie drehte sich mit einem schmalen Lächeln zu ihm um. "Ich wüsste nicht, was dich das anzugehen hat, Mark."Verlegen kratzte er sich am linken Ellenbogen. "War nicht so gemeint."
Er kickte mit dem Fuß gegen eine der Pusteblumen, die zu tausenden zwischen den groben Pflastersteinen an der Hinterwand des Bordells wucherten. Eine Wolke keiner weißer Fliegerchen stob auf und schwebte für einige Herzschläge zwischen den Speichen der Fahrräder umher.
Larissa glaubte rote Flecken auf seinen Wagen und am Hals zu sehen, aber vielleicht lag es auch am unsteten Licht, das aus den Fenstern über ihnen fiel und den Hof in unregelmäßige Bahnen von Licht und Schatten tauchte."Komm," sagte sie leise und schob ihr Fahrrad quietschend zwischen denen der anderen Angestellten hindurch, vorbei am schmalen Hintereingang, der nicht für Kunden gedacht war.
Als sie den Lichtschein des Freudenhauses verließen, blieb Larissa für einen Moment stehen und blickte in den Himmel auf.
Wenn man genau hinsah, konnte man zwei schwach glimmende Punkte erahnen. Sterne, die es trotz der graublauen Wolkendecke und dem allgegenwärtigen Rauch der Stadt schafften, ihr Licht bis hinab zur Erde zu schicken.
Sie atmete tief durch und genoss das Gefühl der kühlen, klaren Luft, die durch ihre Lungen strömte. Sie hatte den Regen vermisst.
Als die diffusen Schatten, der teils etwas abenteuerlich anmutenden Dachtraufen über ihr langsam Gestalt annahmen, wusste sie, dass ihre Augen sich genug an die Dunkelheit gewöhnt hatten, um den Weg durch die engen, unbeleuchteten Gassen zu beginnen."Wohin gehen wir jetzt eigentlich?" fragte Mark leise als die billigen Betonmauern langsam großen Glashäusern wichen.
Er ging geduckt und blickte sich ständig um, so als fürchtete er einen plötzlichen Überfall oder dergleichen.
Larissa schmunzelte.
Man merkte, dass er mit dieser Art von Geschäften nicht vertraut war. Unsicherheit war eine der gefährlichsten Emotionen, die man in diesem Umfeld zeigen konnte, suggerierte sie doch zwei Dinge: Erstens, dass man glaubte, sich nicht ausreichend zur Wehr setzen zu können und zweitens, dass man vermutlich etwas bei sich trug, dass einen genaueren Blick verdiente.
"Vertraust du mir etwa nicht?" fragte sie spielerisch.
Mark sah sie einfach nur an. Offenbar ein wenig überfordert mit der Situation. "Na ja... ich hatte den Weg nicht so lange in Erinnerung," murmelte er kaum hörbar in Richtung Asphalt.
Larissa konnte ein erneutes Schmunzeln nicht unterdrücken. Mark hatte wirklich keinen Plan.
Sie hätten in der Tat deutlich schneller voran kommen können, aber ihrer Meinung nach, war es deutlich klüger, die kleinen, unbeleuchteten Gassen den großen Verkehrsadern vorzuziehen.
Selbst wenn das bedeutete, dass sie Umwege in Kauf nehmen mussten.
Die zentralen Straßen war zwar theoretisch bewacht, doch genau darin lag das Problem.
Die Wachen waren menschlich und Menschen waren bestechlich. Das wusste auch ihr Bruder.
Larissa widerstand dem plötzlichen Drang, sich umzusehen. Die großen Banden hatten keinen Interesse an den kleinen Straßen, die wollten sich lieber die großen Fische vorknöpfen.
Zumindest war das immer so gewesen, bis sie die Gang verlassen hatte.
Sie atme tief durch und versuchte sich auf den Geruch des Regens zu konzentrieren, der langsam wieder verdampfte und auf den Wind, der kühl durch ihre Kleider fuhr."Also ich meine, wie genau sieht der Plan aus?" Mark machte ein paar schnelle Schritte, um mit ihr mitzuhalten.
Larissa zwang sich, weniger weit auszuschreiten. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie ihr Gehtempo beschleunigt hatte.
Sie warf ihm einen langen Blick zu.
Eigentlich war es erstaunlich, dass er so lange die Klappe gehalten hatte.
Wäre sie an seiner Stelle gewesen, sie hätte schon viel früher nachgefragt. Schon bevor sie überhaupt eingewilligt hätte, mitzugehen.
Aber Mark hatte nur wortlos den schwarzen Anzug entgegengenommen und ihn kommentarlos übergestreift.
Entweder diese Mission lag ihm verdammt am Herzen oder er vertraute ihr mehr als gut war.
Sie schloss die Finger fester um die mit Klebeband umwickelten Griffe ihres Fahrradlenkers und versuchte einen Anflug schlechten Gewissens zu unterdrücken. Sie hasste es, das Vertrauen zu missbrauchen, das andere ihr entgenbrachten, aber manchmal hatte man keine andere Wahl.
"Wir gehen zu einem der Checkpoints am Farmerviertel," sagte sie leise während sie an einem stattlichen Gebäude vorbeigingen, dessen untere Fenster vergittert waren. Vermutlich fürchteten die Bewohner sich vor ungebetenem Besuch.
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Im Zeichen des Raben
Science FictionIn ferner Zukunft. Kriege, Klimawandel und Umweltverschmutzung haben ihren Tribut gefordert. Unsere heutige Zivilisation wurde vom Erdboden getilgt. Aus ihren Ruinen sind neue Hochkulturen entstanden. Neue Königreiche regieren nun die Welt. Für viel...