22. Kapitel - Neue Gesichter

65 16 28
                                    


Ich hatte meine Nase nie sonderlich gemocht. Sie war zu klein und viel zu rund gewesen. Eine Babynase. Ich weiß nicht wie oft ich mir schon gewünscht habe sie umtauschen zu können. Doch inzwischen würde ich eine Menge dafür geben, sie zurückzukriegen.

Dieser riesige, vorspringende Zinken, der nun mein Gesicht verunzierte war einfach scheußlich. So konnte ich doch niemandem mehr unter die Augen treten.
Ich sollte einen Nasenschleier ausprobieren. Oder mich gleich vergraben gehen.
Prüfend drehte ich mich vor meinem Badezimmerspiegel. Vielleicht wäre auch eine Burka nicht schlecht. Die würde immerhin auch all die dämlichen Blutergüsse an meinem Körper verdecken. Oder ich ging mich doch vergraben. Dann würde man überhaupt nichts mehr von mir sehen.

Zugegeben, ich übertrieb ein kleines Bisschen. Ganz so schlimm war es dann auch wieder nicht. Aber mir war nun einmal mehr nach Übertreibung zu mute. Immerhin hatte ich die ganze Nacht über kaum geschlafen, weil mir alles wehgetan hatte und ich nach jedem Aufwachen wie ein hysterisches Hühnchen zum Spiegel rennen musste, in der Hoffnung das alles sei nichts weiter als ein böser Traum.
Und jedes Mal starrte mich aus neue jene fremde Gestalt aus dem Spiegel an, die ich so sehr fürchtete.
Volle schwarze Haare. Rabenschwarz.
Dunkle Augen. Rabenschwarz und durch riesige Augenringe betont.
Volle, glänzende Lippen.
Die unzähligen dunkellila Blutergüsse, die aussahen als würde ich abfaulen, machten es nur noch schlimmer.
Ich blickte an mir herab. Rabenschwarze Haare fielen mir vors Gesicht. Aber dennoch konnte ich die dunkellila Flecken auf meiner Haut gut erkennen.

Wie so ziemlich jedes Mädchen, hatte ich mich selbst nie besonders schön gefunden. Trotzdem wollte ich mein altes Ich schnellstmöglich zurück. Meine dünnen, hellbraunen Haare, meine Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Braun und Grün changierte und mich immer an algigen Schlamm denken ließ. Meine alte Haut, die einen Tick dunkler gewesen war. Nichts so bleich und leichig.

Gut möglich, dass ich irgendwann einmal besser aussehen würde, wenn die Blutergüsse abgeheilt waren und ich etwas ausgeschlafener war, aber im Moment kam ich mir viel eher vor wie das hässliche Entlein. Nur in Lila. Schuld daran waren, wie könnte es auch anders sein, die unzähligen Blutergüsse, die meinen Körper überall dort verunzierten, wo sie mein Aussehen perfektioniert hatten. Folgen der Operation. Und natürlich brachten sie meine Nase besonders schön zur Geltung. Sozusagen das I-Tüpfelchen auf dem Berg aller Widerwertigkeiten.

Was hatten sie sich eigentlich dabei gedacht?
Man brauchte mich doch nur anzuschauen.
Diese Nase! Ewig lang und viel zu dünn. Sie stach förmlich aus meinem Gesicht heraus. Leute, ernsthaft, so was sollt man direkt verbieten. Ich sah aus wie eine Vogelscheuche. Oder eher gleich wie der Vogel.

Mit einem Schaudern dachte ich an den Schädel im OP-Raum zurück.
Gestern Nacht, als die Wirkung des Narkosemittels abgeklungen war, war mir mit einem Mal auch wieder eingefallen, woran mich der längliche Schädel auf dem Bildschirm erinnert hatte. Es war ein Vogelschädel gewesen. Genauer gesagt der eines Raben. Zumindest so in etwa.
Anfürsich ja eigentlich nichts Besonderes. Dort wo ich herkomme trifft man an jeder Straßenecke Leute, die Rabenknochen als Glücksbringer verkaufen, obwohl es natürlich streng verboten ist, Raben zu töten oder ihre Leichen zu schänden.
Was mir allerdings wirklich Kopfzerbrechen bereitete, war die Tatsache, dass sich der Vogelschädel aus meinem Gesicht entwickelt hatte. Wenn ich ehrlich bin, hegte ich da schon so eine dumpfe Vermutung. Nur hatte ich bisher noch nicht den Mut gefunden sie zu überprüfen. Auch wenn ich von Zeit zu Zeit einen unheimlichen Drang verspürte, herauszufinden, was dort vor sich ging. Dies war einer jener Momente.
Langsam streckte ich die Finger aus, nur um gleich darauf wieder inne zu halten.
Wollte ich es wirklich Wissen?

Mir kamen wieder folgende Worte in den Sinn, die meine greise Nachbarin öfter zu mir gesagt hatte, wenn ich zu neugierig war: „Unwissenheit ist nicht zwingend ein Fluch mein Kind, es kann auch ein Segen sein. Denn Unwissenheit lässt immerhin noch die Hoffnung zu, dass alles gut enden wird."
Was wenn sich herausstellte, dass ich Recht hatte?
Andererseits würde ich es früher oder später so oder so erfahren, vorausgesetzt meine Theorie stimmte.

Schließlich siegte meine Neugier.
Mit klopfenden Herzen drückte ich meine linke Wange ein, versuchte den Schmerz so gut es ging zu ignorieren, um den Knochen darunter zu spüren. Soweit ich es feststellen konnte glich mein Schädel zum Glück nicht dem Abbild aus dem OP- Saal, aber dennoch blieb ein ungutes Gefühl. Was hatte es dann mit der Simulation auf sich gehabt?

Fragen über Fragen und keine Antworten. Ich seufzte innerlich und wusste nicht so ganz ob ich nun erleichtert sein sollte, dass meine Theorie sich als falsch erwiesen hatte, oder nicht. Was wenn die Wahrheit noch schlimmer sein würde?
Aber wie sagte meine Mutter manchmal so schön, als ich noch ganz klein war?
Nach Regen kommt Sonne.

Könnte es folglich nicht sein, dass es schon ausgeregnet hatte?
Ich wollte es so gerne glauben. Es war jedenfalls ein tröstlicher Gedanke. Er machte mir Mut. Mit einem Mal schien die Zukunft nicht mehr ganz so furchteinflößend. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich glaube mich zu erinnern, dass ich plötzlich eine leise Abenteuerlust verspürte. Was die Zeit diesmal wohl so mit sich bringen würde?
Wer weiß, vielleicht konnte ich es ja tatsächlich schaffen diesen bescheuerten Wettlauf zu gewinnen. Auch wenn das hieß, dass ich versuchen musste größer zu werden, als mein Leben es bisher von mir verlangt hatte.

Mit neuer Zuversicht blickte ich in den Spiegel und das fremde Mädchen starrte trotzig zurück. Selbst jetzt kostete es mich noch einiges an Überwindung meinem neuen Ich geradewegs in die Augen zu schauen. Es fühlte sich einfach kein bisschen so an, wie mein Gesicht. Eher so, als würde ich eine Fremde betrachten. Irgendwie hatte ich immer noch die unbewusste Erwartung die vertraute Mia im Spiegel zu sehen. Stattdessen war da nur dieses gruselige Mädchen. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich hatte ein wenig Angst vor mir selber. Das muss man auch erst einmal hinkriegen.
Ich verzog mein neues Gesicht zu einem grimmigen Lächeln.
Aus diesem Albtraum würde es kein Erwachen mehr geben.
Rabenfeder hatte recht gehabt.
Mia war tot.

Doch inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher ob das Fluch oder Segen bedeutete. Vielleicht konnte Ravenna ja Dinge tun zu denen Mia niemals imstande gewesen wäre.

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt