19. Kapitel - Realitäten (!behalten!)

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Er hasste seine Arbeit. Hasste sie richtiggehend. Er wurde langsam alt. Die Zeiten als er noch so jung und kräftig gewesen war wie Mark waren lange vorüber. Seine Gelenke schmerzten inzwischen bei jedem Schritt und sein Gehör war auch nicht mehr das selbe. Immerhin war das Donnern der Maschinen für ihr nun nicht mehr ganz so unerträglich. Es hatte durchaus auch seine Vorteile taub zu werden. Zumindest in der Fabrik. Im Alltag hatte er inzwischen wirklich Mühe Gesprächen zu folgen. Er versuchte es vor den anderen zu verheimlichen, aber lange würde das Spielchen nicht mehr gut gehen.
Erst heute Morgen hatte Mark ihm dreimal versichern müssen, das alles in Ordnung war, bis er verstanden hatte. Er war so froh seinen Sohn wieder zu haben.
In einer einzigen Nacht gleich zwei Kinder zu verlieren, hätte ihm das Herz gebrochen. Und das, obwohl er geglaubt hatte, die Fabrik hätte jegliches Leben in ihm aufgesogen. Aber letzte Nacht hatte sich doch wieder etwas in seine Brust geregt. Auch wenn er es nie zugegeben hätte. Er war ein Mann. Und Männer weinten nie.
Dennoch. Er war unendlich erleichtert gewesen, als Mark mit den ersten Sonnenstrahlen einfach vor der Türe stand.
Keiner wusste, wie er das geschafft hatte. So schnell war noch niemand aus dem Gefängnis zu entkommen. Und schon gar nicht unversehrt!
Klar, es gab Gerüchte. Aber nur die wenigsten waren auch nur halbwegs glaubwürdig. Der alte Cedric erzählte überall herum, er habe Mark mit eigenen Augen aus dem Fenster klettern sehen. Die Kampfroboter in wilder Jagt hinterher...
Gustav hingegen, war der festen Überzeugung Mark hätte die Roboter gehackt und so den Gefängniswärter erpresst.
Aber wie man es auch drehte und wendete, Marks Ausbruch blieb ein Rätsel. Denn freiwillig hätte man ihn niemals ziehen lassen. Das hatte es noch nie gegeben.
Aber wie war es ihm dann gelungen zu fliehen? Mark war noch nie ein Hackergenie gewesen. Und kein Mensch konnte den Kampfrobotern entkommen. Das hatte noch niemand je geschafft. Doch selbst wenn, blieb immer noch die Frage, wieso die Stadtwachen noch nicht nach ihm gesucht hatten.

Mark war der Einzige, der wusste, was geschehen war. Doch egal, wie sehr die anderen ihn auch dazu drängten, Mark selbst redete nicht darüber. Überhaupt benahm er sich heute sehr ungewöhnlich. Manchmal starrte er minutenlang einfach nur finster vor sich hin. Oder man musste ihm Dinge zweimal sagen, ehe er realisierte, dass jemand mit ihm sprach. Er war so anders. So abwesend.
Er hatte keine Ahnung was genau vorgefallen war, aber irgendetwas schien seit jener Nacht in dem Jungen zerbrochen zu sein.
Und es tat weh das zu sehen.

Wehmütig blickte er zu seinem Sohn hinüber und dachte an früher.
An das erste Mal als Mark ihn in die Fabrik begleiten durfte. Der Kleine war so stolz gewesen. Hatte sich groß und nützlich gefühlt.
Mit nur zwölf Jahren.
Er hatte ihn schützen wollen, doch es hatte nicht lange gedauert bis Marks Träume an der Realität zerschellten.
Er vermisste das Funkeln in den Augen seines Sohnes. Jenes abenteuerlustige Blitzten, das dem tiefen Glauben an ein Happy End entsprang...

* * *

"Mummy, Muuuummyyyhhhyyyy!"

Mein Gott, was hatte er denn jetzt schon wieder? Gestresst schnibbelte Mias Mutter den Kohl für das Abendessen. Konnte Benjamin nicht ein einziges Mal Ruhe geben? Sie hatte im Moment keine Zeit sich um Langeweile oder Monster zu kümmern.

"Muuuuuummyyyyyy!", ertönte es wieder. Lauter diesmal.

Sie seufzte in sich hinein. Dann holte sie tief Luft, um nun ihrerseits durch die Wohnung zu brüllen... Erst im letzten Moment konnte sie sich stoppen. Sie schüttelte traurig den Kopf. Fast hätte sie nach Mia gerufen. Das war jetzt schon das dritte Mal. Wurde auch sie langsam verrückt?
Ihre Tochter war seit gestern Geschichte. Sie sollte sich damit abfinden. Sie vergessen. Ihr Leben leben. Hoffen, dass der Kelch das nächste Mal an ihrer Familie vorrübergehen würde.
Niemand der mit den Rabenkindern gegangen war, war jemals wieder nach Hause zurückgekehrt. Zumindest nicht soweit sie wusste.
Und so wie die Dinge standen, konnten sie und ihr Ehemann keine erneute Aufmerksamkeit der Rabenkinder gebrauchen. Die Sache mit Mark machte ihr Sorgen. Der Junge sollte zusehen, dass er den Ball in nächster Zeit so flach hielt, wie es ging.

Im Zeichen des Raben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt