Do you want it?

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„Du auch?", fragt Kinky und hält mir einen Keks hin. Sie liegt auf der Seite auf einer Matratze und isst Weihnachtskekse die sie ab und zu in das Sauergurkenglas vor ihr tunkt. Ich betrachte das Plätzchen misstrauisch, aber dann nehme ich es und esse es ohne einmal abzubeißen. Kinky grinst. Sie fischt mit den Fingern nach einem Gürkchen und stopft es sich in den Mund.

„Hey, du bist am Zug!" L8er stupst mich mit dem Fuß an, sodass ich mich wieder auf das Mühle-Brett vor mir konzentriere. Ich schiebe meinen Stein ein bisschen weiter und lasse mich dann mit einem gelangweilten Seufzen nach hinten fallen. Der Boden ist eiskalt, aber das stört mich nicht. Ich spüre meine Finger sowieso fast gar nicht mehr, auch dass ich sie alle zwei Sekunden anhauche und mich drauf setze hilft nicht. Ich zittere durchgehend. Der neue Pulli den ich mir gekauft habe ist zwar wärmer als der alte, doch bei den Minusgraden hier im Haus ist das auch schon egal. L8er, die sich in ihren Mantel und eine Decke gehüllt hat, starrt nachdenklich auf das Spielbrett.

Ich bin alleine mit den Mädchen. Panda ist irgendwo zu ihren Freunden verschwunden, Kevin ist zu seinem Bruder und Drugs... Drugs ist noch nicht aufgetaucht. Seit der Grünhaarige ihn weggeschickt hat warte ich nun schon auf ihn. Den ganzen dritten Advent gestern habe ich mit Gedanken an Drugs verschwendet, sogar beim Job. Aber Drugs bleibt weg. Er hat mich vergessen. „Husky, nicht einschlafen", mault L8er. Sie schnappt sich einen Weihnachtskeks von Kinky und knabbert daran herum. Ich setze mich wieder auf. Schiebe meine Spielsteine ein bisschen hin und her. Dann schlinge ich zitternd die Arme um den Oberkörper. Mein Atem hängt mir in weißen Schleiern vorm Gesicht und der kalte Wind der durch die Räume bläst fährt mir in den Nacken. Auch Kinky gibt ein „Brrrr" von sich und verkriecht sich noch mehr in ihren Decken, sie rollt sich zusammen bis nur noch ihre blonden Haare zu sehen sind. Und ihre dünne Hand, die immer wieder nach einem Gürkchen oder einem Keks greift, bis die Packung fast ganz leer ist.

Während L8er überlegt, muss ich wieder an Drugs denken. Wäre er jetzt hier könnte ich auf seinen Schoß kriechen und mich ganz fest in seine wärmenden Arme schmiegen. Wäre er hier müsste ich mir nicht die ganze Zeit Gedanken darüber machen, was er gerade macht. „Er wird schon noch kommen", flüstert L8er plötzlich. Ich zucke ertappt zusammen, sodass die Kleine grinst. „Ich weiß, dass du über deinen Lover nachdenkst", sagt sie gelassen und langt nach der kleinen Vodkaflasche die sie zur Seite gestellt hat um einen Schluck zu nehmen. „Früher ist er oft Wochen lang weggeblieben ohne irgendwas zu sagen. Das machen wir fast alle, Worry ja auch. An deiner Stelle würde ich mir keine Sorgen machen sondern eher wütend auf ihn sein" Ich schiebe fragend die Augenbrauen zusammen und nehme die Flasche entgegen als L8er sie mir anbietet. Die Kleine wischt sich mit dem Ärmel über den Mund. „Naja, er hat dich einfach sitzen lassen. Hat nicht gesagt wo er hin geht, kommt nicht wieder... Ich wäre da schon ziemlich angepisst" Sie macht einen Zug, kickt meinen letzten Stein aus dem Spiel und jubelt. Ich lasse mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Eigentlich hat sie Recht. Wieso denke ich so viel über Drugs nach? Weil er nicht da ist, weil ich sonst nichts zu tun habe. Aber es stimmt, er hat mich alleine gelassen. Er hat mich einfach mit dem Grünhaarigen sitzen lassen und ist abgehauen. Er sollte doch nur für einen Tag einspringen. Da hätte er schon längst wieder da sein können.

Ich beiße fest die Zähne zusammen. Er hätte schon wieder bei mir sein können. Er könnte mich schon wieder in den Arm nehmen. Er könnte mich schon wieder küssen. Aber er tut es nicht, weil er nicht da ist. Er regt sich immer auf, wenn ich eine Nacht bei einem Freier bleibe, aber was ist mit ihm? Wieso bleibt er so lange weg, wenn er doch findet, dass das schlecht ist? Wieso darf er das anscheinend, und ich nicht?

Ich knete meine Finger und ziehe die Nase hoch. Es ist einfach absurd. Unsere Beziehung ist nur ein Versuch habe ich ihm gesagt. Weil ich dachte, er bessert sich irgendwie. „Ich muss mal kurz", murmle ich und stehe auf. Es ist sofort noch kälter. L8er nickt verwundert und sieht mir nach als ich aus dem Zimmer gehe. Ich stolpere die brüchige Treppe herunter, als ich fast unten angekommen bin bleibe ich stehen und lasse mich schließlich auf die Stufe sinken. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Ein Schluchzer löst sich aus meiner Kehle. Wieso kann ich nicht einfach normal sein? Wieso muss immer ich alles abbekommen? Was habe ich falsch gemacht in meinem Leben? Mein Atem wird immer hektischer, aber ich kann mich nicht daran hindern. Ich wimmere. Es ist doch alles umsonst, ich schlage mich hier durch, aber es wird nie besser werden, ich werde immer das bleiben was ich bin. Ein wertloses Straßenkind. Selbst wenn ich Hilfe bekommen würde, niemand könnte es schaffen mich wieder aufzubauen. Ich bin einfach zu kaputt. Ich bin einfach ein Nichts. Die Tränen befeuchten meine Hände und mein kaltes Gesicht, ich kralle mich in meinen Haaren fest bis ich sie fast ausreiße. Es funktioniert einfach nicht. Dieses Leben funktioniert einfach nicht für mich.

Have you lost your fighting spirit?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt