„Was ist dir denn passiert?"
Ich stehe in der Türe von Heinos Büro und wische mir verlegen mit dem Handrücken über die Augen. Die getrockneten Tränen kitzeln auf meiner Haut. Ich muss ein furchtbares Bild abgeben, verheult, zitternd, den Blick beschämt auf den Boden gesenkt. Heino der gerade etwas in seine Tasche gepackt hat, lässt diese auf dem Tisch stehen und kommt zu mir herüber. „Ziemlich scheiße, dass ich dich immer unterbreche wenn du gerade gehen willst, was?", murmle ich. Heino schüttelt nur den Kopf und zieht mich in eine Umarmung an seinen wärmenden Körper heran. Er muss schon lange in diesem beheizten Büro sitzen. Ich presse das Gesicht an seine Brust und komme mir gleich noch viel schlechter vor als vorhin schon.
„Husky? Was ist passiert?" Heino drückt mich sanft von sich und berührt eine Stelle an meinem Hals, die brennt als sein Finger darauf drückt. „Was ist das für ein Bluterguss? War das Absicht?"
Ich hebe die Hand um sie auf die Verletzung zu legen. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Drugs mir einen Knutschfleck verpasst hat, aber bis auf ihn kann es niemand gewesen sein. „Nein, das- nein, das ist bloß ein... war nur mein, mein... Freund" Mein Gestammel ist peinlich. Ich betrachte den Linoleumboden, auf dem sich dreckige Schuhabdrücke befinden wie eine spezielle Musterung. Ich nehme wahr wie Heino langsam nickt und sich dann seiner Tasche zuwendet, sie schließt und sich über die Schulter hängt. Er hat sicher keinen Alk darin wie Kevin. Ich kann seine Hand an meiner Schulter spüren als er mich sanft aus seinem Büro schiebt um es abzuschließen. Noch immer hängt die gekrakelte Notiz unter seinem Namensschild.
In dem großen Bereich mit den Sofas sind wieder ein paar Jugendliche. Heute allerdings nur Jungs, vier haben sich um den Kickertisch geschart, zwei sitzen auf einer Couch und machen rum, wobei der kleinere der beiden dem größeren immer wieder auf den Rücken schlägt und an seinen Haaren zieht. Heino ruft ihnen ein „Tut euch nicht weh" zu, von den anderen verabschiedet er sich mit einem Winken. „Alfred ist noch da Jungs, also stellt bloß keine Scheiße an, ist das klar?" Dann bugsiert er mich die Wendeltreppe herunter. Ich stolpere vor ihm her und bleibe im Flur unsicher stehen. Das Schweigen als Heino an mir vorbei zur Eingangstüre geht ist mir unangenehm also versuche ich ein Gespräch zu starten. „Wieso sind bei euch eigentlich so viele Jungs?" Ich beiße mir auf die Lippe nachdem ich gesprochen habe. Verdammt, verdammt, verdammt, einen blöderen Satz hätte ich wohl nicht rausbringen können.
Aber Heino scheint die Frage nicht zu irritieren, er hält mir die Tür auf als er mit den Schultern zuckt. „Ich weiß es gar nicht so genau, wir sind eine Organisation für obdachlose Jugendliche, egal ob männlich oder weiblich. Aber für Frauen speziell gibt es in der Stadt noch ein paar andere Einrichtungen, wie zum Beispiel das Frauenhaus. Die Jungs haben nicht viel mehr als uns. Und außerdem sind wir Männer doch oft wirklich wehleidiger als manch Mädchen" Er zwinkert mir zu. Als wir an der Straße entlang gehen zieht Heino sich wie selbstverständlich den Mantel aus und hängt ihn mir um die Schultern. Meine schwachen Proteste ignorierend legt er mir eine Hand auf die Schulter und führt mich durch die dunkle Luft.
„Ich kann dich doch nicht schon wieder zuhause belästigen", murmle ich nervös als mir klar wird wo Heino hin will. Dabei wollte ich heute nicht einmal zu ihm in die Kirche kommen! Heino schüttelt den Kopf. „Weder belästigst du mich, noch stört es mich dich in meiner Wohnung zu haben, Großer" Seine freundlichen Augen sehen mich an, dass sich in meinem Magen eine Wärme ausbreitet obwohl ich zittere wie nur was. „Ich habe versprochen dir zu helfen und das werde ich auch tun, egal wann, egal wo, egal wie. Klar?"
„Klar", murmle ich und kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Heino lässt auch diesmal die Wohnungstüre einen Spaltbreit offen, obwohl ihm doch klar sein müsste, dass ich hier niemals flüchten würde. Die Wohnung ist angenehm beheizt, irgendwo läuft wohl ein Radio denn etwas verspätete Weihnachtsmusik dudelt durch die Räume. Ich rutsche mit meinen dreckigen Schuhen auf der Fußmatte herum und versuche unauffällig die vielen Weihnachtskarten zu mustern die auf dem kleinen Vorzimmerschrank stehen. Komisch, beim zweiten Mal hier fällt mir so viel mehr auf. Die Schuhe die neben der Tür stehen zum Beispiel oder Annas Filzmantel der an einem Haken hängt. Heino lächelt mich an bevor er mich in die Küche führt wo ich wieder auf dem Esstisch Platz nehme. Der Mann beginnt ein paar Laden zu öffnen und Töpfe und Zutaten auf dem Herd aufzutürmen. „Ich nehme an du hast Hunger?"
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Have you lost your fighting spirit?
Teen FictionAusgegrenzt, ungewollt und einfach nur verarscht; so fühlen sie sich. Der Abschaum, wie sie sich selbst manchmal nennen, zu schlecht für die Gesellschaft, zu gut zum Sterben irgendwie. Sie treiben auf der Oberfläche mit einem Fuß am Grund. Wer sie s...