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2.März

Mae hatte sich lange vor diesem Treffen geweigert, aber ihre Eltern hatten drauf bestanden Ruby und sie beim Essen anzutreffen. Eigentlich wusste sie schon was passieren würde. Dass Ruby es nicht ewig verstecken konnte. Das was sie für Mae tat. Sie war seit Monaten schon nicht mehr Zuhause gewesen oder hatte mit ihren Eltern gesprochen. Ruby sah sie auch nur selten. Mit ihrem Studium und den Arbeitsstunden die sie nebenbei bei ihrem Vater in der Firma schon verbrachte, hatte sie kaum Zeit. Trotzdem schaffte es Ruby jedes Mal Mae mit einem Lächeln zu begrüßen, wie sie es auch jetzt tat als sie Mae mit dem Auto vor ihrer kleinen Wohnung mitten in Berlin abholte. Dennoch sah Mae ihre Augenringe und ihren doch viel zu eingefallenen Gesichtsausdruck. Mae hatte mit ihr schon darüber gesprochen. Sie hatte sie angefleht ihr Studium fallen zulassen und das zu tun, was sie unbedingt schon die ganze Zeit wollte. Mit ihren Freunden nach Köln zu ziehen und ihrem Traum als Band näher zu kommen. Und jedes Mal wenn sie Ruby darauf ansprach, schüttelte diese nur traurig lächelnd den Kopf. Mae zerbrach es jedes Mal das Herz. Ihre Schwester, die immer schon die positiv denkende war, die aus jeder Situation das Beste herausziehen konnte, die strahlte wie ein Sonnenstrahl und Mae in ihrem Traum schon seit Kindesalter unterstützte. Ruby war diejenige gewesen, die vor ihrem Haus mit 8 Jahren einen Stand aufgemacht hatte um Maes Bilder zu verkaufen. Und Ruby war auch diejenige die ihr von ihren monatlichen Einnahmen und großzügigen Zuschüssen von ihren Eltern einen nicht sonderlich geringen Teil abgab. Ruby finanzierte ihr Kunststudium. Ruby finanzierte Maes Traum während sie ihren eigenen aufgab und das nur weil sie die Erstgeborene war. Nur weil Ruby der Sonnenschein der Familie war. Mae hatte sie so oft angefleht den Mist sein zu lassen. Es wäre ihr egal, wenn sie ihr Kunststudium dafür aufgeben müsste. Sowas von egal. Sie hasste es ihre Schwester so zu sehen. Sie hasste es genau zu wissen wie schlecht es ihr ging und sie trotzdem Lächeln zu sehen. Ihre Schwester war so eine unglaublich tolle Persönlichkeit und ihre Eltern saugten alles Leben aus ihr.

Auf der Autofahrt redeten sie kein Wort miteinander. Ruby wirkte Müde und ihre Hand zitterte Leicht als sie die Auffahrt zu dem Gebäude entlangfuhren. An dem Eingang wurden ihnen ihre Mäntel abgenommen und Ruby fluchte kurz, weil es anfing zu schneien. Riesige Flocken und das im März. Es war ungewöhnlich kalt diesen Monat. Ihre Mutter begrüßte sie, Ruby etwas herzlicher als Mae, aber das war sie mittlerweile gewöhnt. Ihre Eltern wussten dass sie Kunst studierte und waren strikt dagegen, hatten aber nichts in der Hand um das zu verhindern. Sie erkundigten sich viel über Rubys Studium. Mae wusste nicht genau warum sie überhaupt da war, sie wurde schon lange nicht mehr zu Familien Essen eingeladen.

„Und Mae?" begann ihre Mutter „Wie ist es uns das Geld aus den Taschen zu ziehen für ein „Kunst" Studium?" Ruby gab einen empörten Laut von sich und Mae konnte im geschockten Zustand nichts dazu sagen.

„Denkst du wir merken nicht, dass du unsere Zuschüsse die für Ruby" begann ihr Vater und deutete auf ihre Schwester „gedacht waren für dein lächerliches Studium verschwendest?" Mae ließ ihre Gabel fallen mit der sie zu Beginn eh nur im Essen herumgestochert hatte. Ruby stand auf und stütze sich auf den Tisch.

„Lächerlich?" Sie lachte kurz spöttisch. Mae hatte sie noch nie so erlebt, sie hatte sich immer ihren Eltern gefügt und so gut wie noch nie ein Wort gegen sie erhoben. „Das hier ist lächerlich" Sie deutete auf den Raum um sie herum. „Dieses protzige, im Geld schwimmende Scheiß Leben. Ihr solltet froh sein dass eure Tochter versucht sich was Eigenes aufzubauen. Was ihr Spaß macht. Was sie kann. Was ihre verdammte Leidenschaft ist. Wann habt ihr das letzte Mal ein Bild von ihr gesehen? Vor drei? Vier Jahren?"

„Ruby!" fuhr ihre Mutter sie an.

„Ihr könnt mich Mal-"

„Das reicht Ruby" Ihr Vater stand ebenfalls auf „Die Zuschüsse werden umgehend eingestellt und du wirst nach München, an die Außenstelle versetzt"

„WAS?!" riefen Ruby und Mae gleichzeitig. Ihre Eltern nahmen ihr gerade ihre Schwester und ihr Studium gleichzeitig. Und es schien sie einen Dreck zu kümmern.

„Wisst ihr warum ich das eigentlich überhaupt noch tue?" machte Ruby weiter und wurde immer lauter. „Weil ich meiner Schwester ein schönes Leben ermöglichen wollte. Damit wenigsten irgendeiner von uns das machen kann was er möchte. Damit sie nicht auch noch in diese Scheiße rutscht. Das wars, es reicht. Ihr könnt mich mal" Ruby ging um den Tisch herum und nahm Mae an die Hand. „Wir gehen. Wohin?" fragte sie spöttisch, eine Frage die sie sich selber beantwortete „Keine Ahnung, es ist vorbei, ich scheiße auf das Studium und eure dummen Zuschüsse. Dieses verkorkste Leben tut doch keinem gut" Mit Mae an der Hand stürmte Ruby aus dem Esszimmer, nahm ihre Mäntel und knallte die große Haustür hinter ihnen zu.

„Fuck, ich habs getan" Ruby legte sich eine Hand an ihre Stirn. „Ich bin raus aus dieser Sekte." Mae war zu geschockt und überfordert um was zu erwidern. „Wir tun das jetzt wirklich Mae" Ruby packte sie mit beiden Händen an ihre Arme „Wir fahren jetzt zu Alec, nach Köln. Ich mache Musik und irgendwie treiben wir Geld auf um dir das zu ermöglichen was du dir wünscht. Wie wäre es mit einem eigenen Atelier? Oder du studierst weiter" Ruby lief durch den Schnee Sturm zu ihrem Auto. Mae joggte hinter her.

„Ernsthaft? Wir fahren jetzt wirklich nach Köln" fragte Mae ungläubig.

„Natürlich, Alec hat immer ein Sofa frei" Ruby setzte sich auf den Fahrersitz und Mae auf die andere Seite. „Auf nach Köln" rief sie motiviert. Mae musste sie ein Lachen unterdrücken.

Ihr Wagen sprang nicht an. Er stand zu lange in der Kälte und da sich keiner von ihnen mit Autos auskannte, hatten sie keine Chance irgendwas zu unternehmen.

„Wir können ein Taxi rufen und uns zum Bahnhof bringen lassen" Unterbrach Mae sie bei ihren Flüchen, von denen sie einige noch nie gehört hatte. Ruby schüttelte ihren Kopf.

„Du hast nicht zufällig dein Handy bei dir?" fragte Ruby. Tatsächlich nicht, bei diesem plötzlichem Aufbruch hatte keiner an ihre Taschen gedacht die noch im Wohnzimmer lagen.

„Wir tun alles aber wir gehen bloß nicht in dieses Gruselhaus zurück. Das hätten die wohl gerne. Warte eben hier. Ich gehe eben runter in die Stadt und such die nächste Telefonzelle" Ruby ließ Mae gar nicht einen Einwand erheben und machte sich unter den Mengen an Schnee schon los. „Wir kommen Köln!" hörte sie Ruby nur noch schreien.

-

Es waren die letzten Wörter die Mae von ihr hörte. Sie hatte Stunden gewartet bis, zwei Streifenwagen vorbei kamen und ihr mitteilten, dass ihre Schwester angefahren wurde und ums Leben gekommen ist. Man musste Mae aus Rubys Auto zerren in dass sie sich gesetzt hatte. Mae hatte noch nie so sehr geschrien.

Her Name Was Mae - An Unforgettable SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt