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Brooke

„So schlecht war der Film doch gar nicht."

„Ich sage ja nicht, dass er schlecht war. Aber es war einfach nicht mein Genre." Ich versuchte ihm klarzumachen, dass Psycho-Thriller nicht wirklich mein Genre war. Welche Frau verliebt sich denn schon in ihren Entführer? Noch dazu, wenn dieser sie ständig schlägt und erniedrigt. War es das was man als Stockholm-Syndrom bezeichnete? Für mich stand jedenfalls fest, dass ich nie bei einem Mann bleiben würde, welcher mich körperlich oder seelisch misshandelte.

Gemeinsam liefen wir die Straße in Richtung meiner Wohnung entlang. Ich hatte so eine Ahnung, dass er die Nacht vielleicht bei mir verbringen würde. Wir kannten uns zwar bereits einige Monate, doch er hatte noch nie bei mir übernachtet. Außer einigen Küssen war zwischen uns noch nichts gelaufen. Er meinte, dass er es lieber langsam angehen lassen würde und wir uns noch besser kennenlernen sollten. Scheinbar gehörte er zur alten Schule.

„Erzähle mir von deinem Tag? Wie war die Arbeit?", forderte ich ihn auf.

Lässig winkte er mit seiner Hand ab und meinte, dass alles wie immer wäre. Hatte er mir eigentlich schon einmal verraten, was er beruflich machte? Wenn ja, dann wusste ich es nicht mehr. Oh Gott! Ich musste eine schlechte Freundin sein, wenn ich nicht einmal mehr wusste, was er beruflich tat. Vermutlich würde er denken, dass ich keinerlei Interesse an ihm hegen würde. Also schwieg ich und nickte ihm nur lächelnd zu. Hoffentlich kam er nie dahinter, dass ich keine Ahnung hatte.

„Erzähl mir lieber von deinem Arbeitstag. Wie war das Meeting mit deinem Boss?"

Bei dem Gedanken daran, wie und was Norman heute in seinem Büro geschrien hatte, musste mein Lächeln noch größer geworden sein. Völlig in meinen Erinnerungen vertieft erzählte ich ihm von meinem Disput mit John und der unverhofften Rückendeckung durch Norman.

„Dein Chef, dieser Norbit, scheint ein guter Kerl zu sein", schlussfolgerte meine Begleitung.

„Norman", lachte ich laut. „Aber ja, er ist großartig. Seine Tochter ist eine genauso großartige Person. Eigentlich die ganze Familie außer John. Er ist einfach nur ein Arsch."

Es waren nur noch ein paar Meter und wir würden an meiner Wohnung ankommen. Sollte ich ihn nach oben bitten?

„Du meinst die Tochter, die am anderen Ende des Landes lebt?" Ich fühlte mich geschmeichelt, dass er solches Interesse für meine Arbeit aufbrachte. Zeitgleich bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich noch immer nicht darauf gekommen war, was er beruflich machte. Vielleicht sollte ich doch mal das Internet nach ihm durchsuchen. Mit etwas Glück würde ich so an Informationen kommen.

„Thalia lebt mit ihrem Verlobten dort und in einigen Monaten werden sie Eltern", schwärmte ich.

Er blieb stehen und sah mich regelrecht entsetzt an. „Sie ist schwanger?" In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Überraschung und Entsetzen. Lag es daran, dass er selbst nicht so begeistert von Kindern war?

Ich beschloss, seinen Tonfall einfach zu ignorieren und plapperte weiter. „Es werden sogar Zwillinge. Ein Junge und ein Mädchen, wenn die Ärzte sich nicht getäuscht haben. Ich freue mich einfach so für sie. Vor der Geburt möchte sie noch einmal nach Anaheim kommen, aber sie hat noch kein konkretes Datum genannt."

„Sie kommt also her." Er schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit mir. Zumindest kam es mir bei seinem Flüstern so vor.

„Vielleicht stelle ich euch dann einmal vor. Ihre Freundin Nora möchte noch eine Babyparty für sie veranstalten. Davon weiß Thalia aber noch nichts." Ich freute mich schon darauf sie wiederzusehen. Immerhin war sie schon einige Monate nicht mehr zu Besuch gewesen und etwas Rückendeckung ihrerseits könnte ich durchaus vertragen. Vielleicht würde sie es schaffen ihrem Bruder den Kopf grade zu rücken.

Ich blickte auf und erkannte, dass wir uns bereits vor meinem Appartementkomplex befanden. Ein leichtes Kribbeln, welches der freudigen Aufregung geschuldet war, breitete sich in meiner Magengegend aus. Ich kramte in meiner Handtasche nach meinem Wohnungsschlüssel und nahm diesen in meine Hand, nachdem ich ihn gefunden hatte.

„Es war ein schöner Abend", begann ich und gerade als ich ihn darum bitten wollte, mit mir nach oben zu kommen, ergriff er das Wort.

„Ich fand den Abend auch sehr schön." Er trat einen Schritt auf mich zu und legte seine Arme um meine Taille. „Und gerne würde ich noch mit dir nach oben kommen, aber ich muss morgen früh raus."

Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, verwandelte sich das Kribbeln in einen Stein, welcher nach unten plumpste. Meine Laune war im Keller und mein Gesicht schien meine Enttäuschung widerzuspiegeln.

„Jetzt guck nicht so", lachte er. „Ich verspreche dir, dass nächste Mal komme ich mit dir nach oben. Aber nicht heute." Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich von mir.

Eine Weile stand ich meinen Schlüssel in der Hand umklammert vor der Tür und sah ihm nach. Vermutlich hatte ich es verbockt und nicht einmal selbst gemerkt. Warum konnte ich nicht einfach meinen verlauten Mund halten und still sein? Resigniert schloss ich auf und lief die Treppen hinauf ins erste Obergeschoss.

Keine zehn Minuten später saß ich mit einem Glas Wein auf meiner Couch und wollte den Abend einfach nur vergessen. Er war gelaufen und meine Laune am Tiefpunkt. Doch sie konnte tatsächlich noch tiefer sinken, denn als ich auf meinem Smartphone die üblichen Social-Media-Kanäle durchforstete, erkannte ich eine bekannte Person.

In einem der bekanntesten Clubs der Stadt ließ John seinen Abend auf eine ganz andere Weise ausklingen. Umringt von einer Menge Frauen, welche allesamt aussahen, als wären sie einem Unterwäschekatalog entsprungen, feierte er ausgelassen und schien dabei nicht einmal zu bemerken, dass er dabei gefilmt wurde. Wenigstens er hatte seinen Spaß.

Ich verstand einfach nicht, warum sich Restaurants, Clubs oder Bars damit schmücken mussten, nur weil irgendein verzogener Bengel dort auftauchte und mit Geld um sich schmiss. Dafür, dass es ihm so wichtig war, Geld zu verdienen, schien es John nicht allzu sehr zu stören, dieses schnellstmöglich für billige Weiber und Alkohol wieder auszugeben. Was für ein Idiot.

Noch während ich mich über ihn ärgerte, blinkte am oberen Bildschirmrand die Mitteilung auf, dass ich eine Nachricht erhalten hatte. Ich tippte auf die Benachrichtigung und erkannte, dass Nora mir geschrieben hatte. Thalia hatte scheinbar ein Datum genannt, an dem sie nach Anaheim kommen würde. Sollte sich daran nichts mehr ändern, würden wir wohl bald die Babyparty veranstalten können.

Die Assistentin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt