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1 Monat später
Brooke

„Er hasst mich."

Wie oft ich schon geweint hatte, seitdem wir das Krankenhaus verlassen durften, konnte ich nicht mehr zählen. Aber es waren unzählige Male und John hatte scheinbar die Nase voll davon, sich das Weinen und mir und Elliot anzuhören. Er hatte eine Psychologin zu uns nach Hause bestellt und diese verbrachte schon den ganzen Tag mit mir, um sich ein Bild davon zu machen, wo genau das Problem zwischen mir und meinem Sohn war.

John ging dem Ganzen aus dem Weg, indem er arbeiten war. Doch scheinbar hatte die Psychologin es ihm sogar empfohlen, nicht anwesend zu sein. Sie wollte einfach ein unverfälschtes Bild der Gesamtsituation und das beinhaltete, dass ich alleine mit Elliot zu Hause war und komplett die Nerven verlor.

Es war nicht so, dass ich ihn nicht liebte. Ich vergötterte Elliot, aber er weinte immer, wenn ich ihn hochhob und ließ sich nicht von mir beruhigen. John hatte dieses Problem nicht. Sobald er sich um ihn kümmerte, hörte Elliot auf zu weinen und alles war in Ordnung.

„Er hasst Sie nicht", begann die Psychologin. „Babys verfügen über ein solches Gefühl noch gar nicht."

„Aber er weint immer, wenn ich ihn halte. Bei John tut er es nie." Nun begann ich erneut zu weinen. Warum klappte es zwischen mir und ihm nicht? „Er muss ein Problem mit mir haben. Der Sohn meiner Freundin weint nie, wenn ich ihn halte und bei meiner Nichte und meinem Neffen ist es auch so."

Wir saßen uns gegenüber, während Elliot sich in seinem Zimmer die Seele aus dem Leib schrie. Ich war verzweifelt und wusste nicht mehr, was ich noch machen konnte.

„Ich kann es nur noch einmal wiederholen. Ihr Kind hasst Sie nicht. Er weiß nicht einmal, dass er ein Mensch ist. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass bei Ihnen zwei Dinge aufeinandertreffen. Zum einen wäre da ihre persönliche Anspannung, die selbst ich von Weitem spüren kann. Wann hatten sie das letzte Mal Zeit nur für sich und haben sich etwas gegönnt, dass nur für Sie bestimmt war?"

Wie stellte sie sich das vor? Ich konnte ja schlecht für einen Tag verschwinden, geschweige denn in den Urlaub fahren. „Ich kann ihn nicht alleine lassen." Selbst jetzt wollte ich zu ihm, aber durch meine Versuche, ihn zu trösten, würde er mit dem Weinen nicht aufhören.

„Sie müssen sich nicht zwingend von Ihrem Kind trennen. Es würde schon reichen, wenn Sie einmal tief durchatmen würden oder nicht jedes Mal drauflos stürmen würden, sobald er weint."

„Aber er schreit sich regelrecht in Rage. Ich habe Angst, dass er keine Luft mehr bekommt", offenbarte ich meine größte Angst. „Was, wenn er erstickt und ich ihm nicht helfen konnte?"

„Der Körper hat für so etwas vorgesorgt. Es gibt wenige Fälle, aber es kann durchaus vorkommen, dass Kinder ihr Bewusstsein verlieren. Im Grunde eine sehr schlaue Reaktion des Körpers, auch wenn Sie vermutlich in Panik verfallen. Durch die Ohnmacht schreit das Kind nicht mehr, der Brustkorb entspannt sich, das Gehirn wird mit frischem Blut versorgt und nach wenigen Sekunden bis zu höchstens einer Minute kommt der Kleine wieder zu sich. Es ist absolut unbedenklich für das Kind", lächelte sie mich an. Ich wusste jedoch nicht so recht, was ich davon halten sollte. „Das zweite Problem, welches Sie haben, nenne ich gerne das "Gurkenglas-Phänomen". Oftmals ist es reiner Zufall, dass Ihr Mann derjenige ist, bei dem ihr Kind nicht weint."

Sie erklärte mir den ganzen Vormittag so viele Dinge und gab mir Tipps, besonders wie ich zur Ruhe kommen könnte. Ich war eine erwachsene Frau und im Normalfall würde ich mir bei manchen Dingen dämlich vorkommen, doch momentan wusste ich mir nicht anders zu helfen. Ich musste zuerst an mir arbeiten, bevor ich mich um meine Beziehung zu Elliot kümmern konnte.

Als John am Abend nach Hause kam, rannte er beinahe panisch in die Küche, wo ich das Abendessen zubereitete. „Lebt er noch? Ist etwas passiert?"

Ich konnte ihn schon verstehen. Wenn er sonst nach Hause kam, wurde er zumindest von dem Weinen einer Person begrüßt. Doch ausnahmsweise war es nun ruhig. „Die Psychologin hat mir einige Tipps gegeben und ich sollte etwas machen, was mich entspannt und da habe ich mich dazu entschlossen, Musik zu hören."

John stand ruhig da und lauschte. Dann sah er mich mit belustigten Blick an. „Heavy Metal? Welcher Mensch entspannt denn bei so was?"

„Ich und die Musik läuft nur ganz leise", sprach ich. „Elliot hat auch einen kleinen Lautsprecher."

„Mein Sohn muss das hören?"

„Nein", besänftigte ich ihn. „Er lauscht dem beruhigenden Klang von Regen. Ich habe ihn vorhin gehalten und er hat nicht geweint", verkündete ich stolz. Es war ein guter Abend, doch mir war auch bewusst, dass es noch ein langer Weg war. Oft genug würde ich noch an meine Grenzen stoßen. „Ich habe beschlossen, öfters zu dieser Frau zu gehen. Ich denke, sie kann mir dabei helfen, mich mit Elliot zurechtzufinden und gewisse Dinge zu verarbeiten."

Es gab vieles, was auf mir lastete. Zum einen war es die Tatsache, dass niemand mir sagen konnte, ob ich noch einmal ein Kind bekommen könnte. Nicht, dass ich es jetzt bereits plante oder generell vorhatte. Ich war mit Elliot bereits überfordert, aber es nagte trotzdem an mir. Dann war da das große Thema rund um Elliots Geburt, die ich nicht bewusst mitbekommen hatte. Meine seltsame Beziehung zu John war auch ein wichtiger Punkt. Es gab ein ständiges Auf und Ab bei uns, auch wenn ich seine Hilfe sehr zu schätzen wusste.

Zu guter Letzt war da auch noch Ben, der in einer Nervenklinik darauf wartete, dass man darüber entschied, was mit ihm geschehen sollte. Fest stand jedoch, dass er niemals wieder auf freien Fuß kommen sollte. Dafür würden John und Matthew sowie deren Anwälte sorgen. Thalia hatte eine Klage eingereicht und noch während ich im Koma lag, tat es John ebenfalls in meinem Namen. Es war unglaublich, aber es meldeten sich noch weitere Frauen, denen er das Leben zu Hölle gemacht hatte.

„Also", begann John und lehnte sich neben mich an die Küchenzeile. „Wenn du gut gelaunt bist und Elliot schläft, dann könnten wir den Abend entspannt verbringen", schlussfolgerte er.

„Was meinst du mit entspannt verbringen?" Natürlich wusste ich, worauf er hinauswollte. Doch es würde ihm nicht schaden, es auszusprechen.

Er legte seinen rechten Arm um meine Hüfte und zog mich näher zu sich. Dann flüsterte er mir die unanständigsten Dinge in mein Ohr, die ich je zu hören bekam. „Und wenn du dann noch kannst, habe ich ein Geschenk für dich."

„Was für ein Geschenk?"

Er gab mir einen Kuss auf die Schläfe und ging in Richtung des Badezimmers. „Das musst du dir verdienen. Ich gehe jetzt duschen und wenn du möchtest, kannst du mir dabei Gesellschaft leisten."

Kurz überlegte ich und entschied dann, auf das Abendessen zu pfeifen. Ich wollte wissen, was es mit dem Geschenk auf sich hatte und etwas »Elternzeit« würde uns mit Sicherheit guttun.

Die Assistentin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt