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John

Etwas so Unprofessionelles hatte ich noch nie erlebt. Scheinbar hatte Brooke gestern zu tief ins Glas gesehen und meldete sich diesen Morgen krank. Für eine ganze restliche Woche. Dad tat es als Lappalie ab und meinte, dass es Mom heute auch nicht sonderlich gut ginge. Ich sollte Nachsicht haben, waren seine Worte. Doch ich hätte vor Zorn explodieren können.

Es musste ein wichtiger Vertrag geprüft werden und als Leiterin des Controlling war es Brooke, die sich damit befassen sollte. Jetzt musste deren Assistentin diese Aufgabe übernehmen, doch diese schien noch Unfähiger zu sein. Sie beteuerte seit einer Stunde, dass sie den Vertrag nicht fand und lief wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her.

Morgen würde der Vertragspartner kommen und bis dahin musste alles geprüft sein. Scheinbar war ich nur von Idioten umgeben. Ich wollte Dinge zerschlagen und am liebsten hätte ich das Telefon gegen die Wand geworfen. Meine Laune war am Tiefpunkt und würde Bridget noch einmal anrufen und mich Johnny nennen, rückte die Wahrscheinlichkeit, dass der Empfang, an welchem sie arbeitete, noch heute in Flammen aufging, in nicht allzu weite ferne. Diese Frau trieb mich in den Wahnsinn und ihre ständigen Avancen waren mehr als unangebracht.

Ein leises Klopfen ließ mich aufblicken und meine Sekretärin, welche heute ebenfalls ein Opfer meiner Laune wurde, steckte vorsichtig ihren Kopf durch die Tür. „Ich habe hier den Vertrag."

Wo kam dieser denn nun her? Mit einer Handbewegung und der Aufforderung, ihn mir schnellstmöglich zu überreichen, rannte sie beinahe den Weg bis zu meinem Schreibtisch, bevor sie lautlos aus meinem Büro verschwand.

Wie einen Schatz hielt ich den Umschlag in meinen Händen, und als ich ihn öffnete, traf mich beinahe der Schlag. Überall wurden mit einem roten Stift Anmerkungen, Ergänzungen und Klauseln markiert, welche bei genauerer Prüfung darauf schließen ließen, dass man versuchte, uns über den Tisch zu ziehen. Selbst die Rückseite war übersät mit Stichpunkten.

Es kostete mich beinahe eine Stunde, um alles zu lesen. Dann entschied ich mich, den Vertrag in unsere Rechtsabteilung zu geben, damit sie ihn selbst noch einmal prüfen und dort wurde mir bereits nach fünf Minuten bestätigt, dass ich mit meiner Annahme recht hatte. Man wollte uns hintergehen.

Meine Laune besserte sich schlagartig und ich beschloss Brookes Assistentin für ihren Einsatz zu loben. Vielleicht sollte sie die Stelle besetzen, denn sie schien mir geeigneter. Als ich jedoch in ihrem Büro ankam, fand ich es leer vor, und nachdem ich mich bei einigen Mitarbeitern nach ihr erkundigt hatte, wurde mir gesagt, dass ich mal bei Bridget vorbeisehen sollte. Auf diese Frau hatte ich gar keine Lust.

Noch bevor sich die Fahrstuhltüren öffneten und ich heraustrat, konnte ich das Geläster der Frauen hören. Sie bemerkten nicht einmal, wie ich mich langsam näherte und hielten vergnügt ihr Kaffeekränzchen ab.

Nachdem ich einige Zeit hinter ihnen gestanden hatte, beschloss ich, dass es nun genug wäre und räusperte mich, was die Damen dazu veranlasste, wie aufgescheuchte Hühner aufzuspringen.

„Wenn ich mich richtig erinnere, arbeiten Sie einige Etagen weiter oben und nicht am Empfang."

„Es tut mir leid, Mr. St.James." Die Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben und auch Bridget schien die Situation unangenehm zu sein.

„Ich möchte, dass Sie ihrer Arbeit nachgehen. Nur weil ich den Vertrag nun habe, heißt es nicht, dass Sie ihre Zeit hier unten absitzen können."

Fragend sah sie mich an. „Von welchem Vertrag sprechen Sie?"

Wollte diese Frau mich veralbern? „Dem Sovatis-Vertag. Sie haben ihn stundenlang gesucht und vorhin wurde er mir von meiner Sekretärin überreicht."

„Ach dieser", sprach sie und winkte lässig ab. „Ein Bote war vorhin da und brachte ihn."

„Ich habe dafür gesorgt, dass er an dich weitergereicht wird." Bridget lächelte und versuchte sich an mich zu schmiegen, doch dieser Annäherung wich ich mit einem Ausfallschritt aus.

„Also haben Sie ihn nicht korrigiert?", fragte ich nach und ignorierte Bridget weiter.

„Nein. Der Bote wurde von Brooke geschickt. Scheinbar hat sie den Vertrag zu Hause korrigiert."

Ich konnte spüren, wie die Ader an meiner Schläfe vortrat und versuchte meinen Zorn zu unterdrücken. „Gehen Sie sofort in ihr Büro und tun Sie gefälligst ihre Arbeit." Wollten mich eigentlich alle verarschen? Um im Büro zu erscheinen, ging es ihr zu schlecht, aber von zu Hause konnte sie arbeiten? Scheinbar sollte ich ihr die Regeln in diesem Unternehmen noch einmal erklären.

Ich zückte mein Handy und wählte die Nummer meiner Sekretärin. „Ich werde nun zu einem Auswärtstermin fahren und heute wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren. Informieren Sie meinen Vater, falls er nach mir fragen sollte." Ich wartete nicht einmal ihre Antwort ab und beendete das Gespräch.

„Was für ein Auswärtstermin, Johnny?"

„Das geht dich nichts an." Ich ließ sie stehen und nahm den Fahrstuhl um in die Tiefgarage zu gelangen. Es würde keine halbe Stunde dauern und ich würde Brooke in Grund und Boden stampfen. Ein solches Verhalten blieb nicht ungestraft und sie würde es lernen.

Tatsächlich wusste ich, wo sie wohnte. Als Thalia noch hier lebte, musste ich sie einmal von dort abholen, als sie zu tief ins Glas gesehen hatte. Geschickt lenkte ich meinen Wagen durch den Verkehr und parkte in der von mir angepeilten Zeit vor dem Appartementkomplex, in welchem Brooke wohnte.

Das Schicksal schien mir in die Hände zu spielen, denn ein Bewohner verließ genau in dem Augenblick das Gebäude, in welchem ich an der Tür ankam. Somit konnte sie mich nicht abwimmeln und musste sich meine Standpauke anhören.

Als ich die Treppen erklommen hatte und vor ihrer Tür stand, klopfte und klingelte ich, doch es kam keine Reaktion. Ich beschloss sie anzurufen und kaum hatte ich ihre Nummer gewählt, hörte ich es aus dem Inneren der Wohnung klingeln. Während ein Ohr am Hörer war, lauschte ich mit dem anderen an der Tür und konnte hören, dass sich jemand im Inneren der Wohnung bewegte.

„Brooke!", rief ich und klopfte erneut an die Tür. „Ich kann hören, dass du da bist." Ich beendete den Anruf und verstaute das Handy. „Lass uns reden."

Gedämpfte Schritte ließen mich erahnen, dass sie sich in meine Richtung begab. „Du solltest gehen. Ich bin krank und will dich nicht anstecken."

„Ich habe den Vertrag bekommen und gesehen, was für Anmerkungen du gemacht hast. Selbst die Rückseite hast du beschrieben und alles genauestens erklärt. Du hast wirklich gute Arbeit gemacht und das Unternehmen vor großen Schaden bewahrt."

„Du hast alles gelesen?"

„Natürlich. Zuerst dachte ich, dass deine Assistentin diejenige war, die alles ausgearbeitet hat. Doch ich fand sie bei Bridget am Empfang und somit musste ich meine Annahme revidieren. Jetzt mach die Tür auf."

Leise hörte man das Klirren eines Schlüsselbundes und kurz darauf wurde die Tür einen kleinen Spalt geöffnet. Das Innere der Wohnung war dunkel und vorsichtig sah sie mit einem Auge durch den Türspalt. „Danke, dass du alles gelesen hast. Der Vertrag war dir sehr wichtig, deswegen habe ich ihn heute noch schnell durchgesehen."

„Nimmst du dir immer Arbeit mit nach Hause?"

„Nein. Ich habe ihn mir heute Morgen schicken lassen und dann mit einem Kurier zurückgeschickt."

Es war eines der angenehmsten Gespräche, dass ich seid langem mit ihr geführt hatte. Doch sie klang weder erkältet, noch schien sie Kopfschmerzen zu haben. Ich wollte wissen, was sie zu verbergen hatte und trat einen Schritt näher auf die Tür zu.

„Was hast du...?"

Noch bevor sie aussprechen konnte, hatte ich mit meiner Hand die Tür aufgedrückt und was ich sah, ließ meinen Zorn ins Unermessliche wachsen. „Was ist mit dir passiert?"

Die Assistentin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt