Kapitel 86

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Gestresst, unruhig und nervlich kurz vor dem Ende. Das war aktuell die beste Beschreibung.

Ich saß mit Bethany im Wohnzimmer und wir hatten endlich Zeit um zu quatschen. Wir saßen beide einander zugewandt auf der Couch. Falls meine Mum genauso nervös war, dann überspielte sie es in Perfektion.

Wir waren eigentlich selten alleine und sie wusste nicht, was ich danach ansprechen wollte. Also war vermutlich nur ich derart aufgeregt.

Sie fing an: "Brittany bekommt die benötigte Behandlung. Ihr Verhalten war alles andere als in Ordnung oder normal. Sie hat dringend Hilfe nötig."

Das war gut und eine Erleichterung. Die Schule war damit für den Quietschkopf erledigt. Wobei ich das besser nachfragen sollte. Es war nicht gesagt, wie lange sie für diese sogenannte Genesung brauchen würde.

Bethany sah ernst und auch sanft aus. Diesen Gesichtsausdruck musste man erst mal hinbekommen. Das war fast schon beeindruckend.

Ich räusperte mich und fragte: "Also sehe ich sie nicht mehr in der Schule?"

Sie nahm meine Hand und tätschelte sie leicht. Ich ließ es zu, obwohl es seltsam war, dass ausgerechnet meine Mum mich anfasste. Es fühlte sich einfach komisch an, für sie vielleicht genauso. Von der klassichen Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter waren wir weit entfernt.

"Aktuell sind unsere Anwälte noch mit diesem Fall beschäftigt, aber du kannst davon ausgehen, dass du diesen Anblick nie wieder ertragen musst."

Bethany schien sich sicher zu sein und ihre Stimme hatte fest geklungen. Ihre Worte würde ich glauben und das Beste hoffen.

Sie fuhr fort: "Ariana, ich wollte dir noch etwas sagen." Ich durfte neugierig sein, ob wir vielleicht sogar dasselbe Thema im Kopf hatten.

"Ich bin froh, dass dir nichts Schlimmes passiert ist. Ich weiß, dass wir kein unbedingt gutes Verhältnis zueinander haben, aber ich gebe mir Mühe. Ich hoffe das weißt oder merkst du."

Das war schwer zu sagen. Kein Plan, ob ich das wirklich wusste. Das mit uns war einfach hoch kompliziert und ich war selbst planlos.

Wenigstens konnte ich ihr keine Antwort geben, da sie weiter laberte: "Und ich kämpfe darum, dass du diese Verrückte nie wieder siehst. Sie soll dir nie wieder weh tun können. Walter gibt sich selbstverständlich genauso Mühe. Du gehörst zu unserer Familie und Familie passt aufeinander auf."

Ja, das war ein sehr gefühlvolles Gespräch. Und nein, damit konnte ich schlecht umgehen.

Deshalb antworte ich kurz: "Danke." Das ging immer und war höflich. Vielleicht hatte sie sich eine längere Rede erwartet, aber mir fiel kein weiteres Wort ein.

Meine Mum fuhr fort: "Wir haben nie richtig geredet, seit du bei uns bist." Nein, was sie nicht sagte. Das wäre mir nie aufgefallen. Die offensichtlichen Dinge auszusprechen war meist derart unnötig. 

Ich nickte nur, was Bethany als Zeichen sah weiterzureden. "Es tut mir wirklich leid, dass ich damals gegangen bin. Das war alles andere als in Ordnung von mir und es gibt keine Entschuldigung der Welt, die das wieder gut machen kann."

Ja, also hatte es keinen logischen Grund. Damit hatte Cole unrecht gehabt. Der Gedanke wäre viel zu schön gewesen. So toll war das Leben auch wieder nicht. 

Scheinbar hatte sie keinen Bock mehr gehabt, weshalb sie abgehauen war. Das war der einfache Weg und Bethany hatte den genommen.

Mit Verzweiflung in der Stimme sagte sie: "Ariana, das bereue ich wirklich. Mit der Zeit wusste ich nicht, wie ich wieder Kontakt aufnehmen könnte. Damit hat sich das ewig hinausgezögert."

Wie man Kontakt aufnahm?

Am ehesten, wenn man sich mal meldete, aber das hatte ihr scheinbar nie jemand gesagt. Anders war ihr Handeln kaum zu erklären. 

Es machte mich wütend, aber ich riss mich zusammen. Am besten brachten wir all das gleich hinter uns. Ansonsten musste ich mir das ein andermal nochmal antun. 

"Es tut mir wirklich sehr, sehr leid und ich hoffe, dass wir das irgendwie hinbekommen können. Es wäre schade, wenn wir es nicht wenigstens versuchen." Sie schien es ernst zu meinen, aber für mich war der Zug längst abgefahren.

Keine Ahnung, ob das fair war, aber sie war auch unfair gewesen. Ich war ein Kind gewesen und sie hatte sich einfach verpisst. Danach hatte sie sich nie gemeldet und eigentlich war es ihr egal gewesen. Ansonsten hätte sie sich viel mehr Mühe gegeben, was sie kein bisschen hatte. 

Diese Entschuldigung machte mich einfach nur sauer. Worte machten solche Dinge kein Stück besser. 

Ich stand auf und sagte kalt: "Da muss es für dich ja perfekt gewesen sein, dass mein Dad in den Knast kam."

Ich ging zur Tür und sagte dabei: "Dank meiner neuen Freunde bin ich dankbar, hier zu sein, aber keine Sekunde wegen dir." Die Wut hatte man sehr gut aus meiner Stimme gehört. Das konnte niemanden entgehen. Es war sehr deutlich gewesen. 

Für mich war das Thema erledigt. Keine Ahnung, ob da was zu retten war. Nur, weil sie jetzt einen auf perfekte Mum machen wollte, machte das genau gar nichts gut. Es reparierte einen Scheißdreck.

Als ich das Wohnzimmer verlassen hatte, rannte ich zur Treppe hinüber und diese schnell hinauf. Mein Ziel war Cole. Seine Nähe täte gerade gut und er hatte sicher Zeit für mich. Zumindest wollte ich das für ihn hoffen oder eher für mich, weil ich ihn gerade brauchte. 

Oben angekommen, bog ich rechts ab und eilte weiter zu seiner Zimmertür. Umso schneller ich bei ihm war, desto besser.

Davor angekommen klopfte ich an und wartete brav darauf, dass er mich hereinbat.

"Ja?!"

Es klang weder genervt noch schlecht gelaunt. Vielleicht hoffte Cole, dass ich es war, die ihn besuchte.

Ich riss sofort die Tür auf, betrat den Raum und machte sie hinter mir zu. Damit trennte ich die Außenwelt von uns ab und wandte mich an ihn.

Cole lag auf seinem Bett und während ich zu ihm hinüber ging, sagte ich: "Ich habe mit meiner Mum geredet, aber das macht nichts besser."

Cole breitete seine Arme aus und das musste man mir nicht zweimal anbieten, denn das nahm ich sehr gerne an.

Ich legte mich zu ihm ins Bett und kuschelte mich an ihn. Er legte beide Arme um mich und fragte: "Was war?"

Ich seufzte und musste tief Luft holen. Das mit Brittany war zwar gelöst, aber das mit meiner Mum kein bisschen.

So erzählte ich ihm von dem Gespräch und er war für mich da. Das fühlte sich genau richtig an und eins stand fest. Er wurde mich nie wieder los.  

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