Akt 1 - Kapitel 1

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[Suna-PoV]

Bekanntlich muss es nicht lange dauern, bis du dich in jemanden verliebst.
Manchmal können Sekunden, in denen du mit dieser einen, besonderen Person bloß ein paar Worte auswechselst, reichen, um dein ganzes Herz zu verschenken - sei es die Art dieser Person, das Aussehen, der Humor, vielleicht auch etwas Besonderes, das diesen Menschen einzigartig macht, wie sein Lächeln oder ein Strahlen in den Augen, das dich für einen Moment so fühlen lässt, als würdest du auf Wolken laufen.

Es kann Sekunden dauern, bis dein Herz entschieden hat, dass es für diesen Menschen schlägt.
Es kann Minuten dauern, bis du realisierst, dass dieser Mensch dein Leben auf den Kopf gestellt hat.
Es kann Tage, Wochen, Monate dauern, bis du realisierst, dass du Gefühle für ihn hast.

Aber das Schlimmste daran ist, dass schneller, als du dich verliebst, dein Herz gebrochen werden kann.
Millisekunden.
Sekunden.
Minuten.
Oder nur ein Satz.

Und deine ganze Welt bricht zusammen.

Während der Regen auf meiner Haut landet und ich langsam versuche, nach dem vielen Rennen wieder zu Atem zu kommen, sehe ich mein Spiegelbild in der Pfütze, die sich vor meinem Platz auf dieser Parkbank befindet.

Die meisten Menschen werfen sich nach der Nachricht, dass ihre Liebe nicht erwidert wird, weinend ins Bett, kommen tagelang nicht mehr aus ihrem Zimmer und lassen sich von einem Freund oder einer Freundin Schokolade bringen, da diese ja Liebeskummer heilen könnte.
Als ob das was bringen würde.

Denn wenn dein Herz einmal so gebrochen wird, dass es sich so anfühlt, als würdest du gleich in Tausend Teile zerbrechen, als würde deine Welt zusammenstürzen, und als gäbe es nichts, was hier noch Besonders wäre - dann weißt du, wie ich mich gerade fühle.

Nicht einmal ein Jahr hat es gedauert, bis ich mich in Osamu Miya verliebt habe.

Und nur zwei Minuten haben gereicht, um mir ein weiteres Mal zu zeigen, dass das Schicksal es nicht gut mit mir meint.

Lange Zeit zuvor

[3rd Person - PoV]

Die Landschaft verschwand hinter dem mit Regentropfen getränkten Fenster.
Die dunklen Wolken am Himmel wirkten, als würde jeden Moment Blitz und Donner dem Regen beitreten, und an den Stellen, wo keine Wolken waren, betrug die Farbe des Himmels ein helles Grau, dass man schon beinahe die Wolken vom Himmel nicht mehr unterscheiden konnte.

Das Auto hielt ruckartig an, weshalb Suna etwas hochschreckte.

„Meine Güte! Hat der den Führerschein im Lotto gewonnen oder was?!", ärgerte sich sein Vater, während er den Kopf schüttelte.

Suna setzte sich auf, nahm den Kopf vom Fenster - fünf Minuten hatte er den Himmel bereits so intensiv angestarrt, dass er nun erst wieder in die Realität zurückfinden musste.
Er befand sich im Auto seines Vaters, vor ihnen vollführte ein Auto ein Abbiegen in die rechte Straße, das man als besonders abenteuerlich bezeichnen konnte.

Der Braunhaarige seufzte, während er sein Handy aus der Tasche holte. „Du hättest uns nicht fahren müssen", sagte er.
„Is' irgendwie aber bequemer als im-"
„Klappe", unterbrach er Ayaka, die am Rücksitz irgendein Spiel auf ihrem Handy spielte.
„Hä?!"

„Du siehst doch, wie es heute schüttet. Eure ganzen Sachen wären noch nass geworden...", meinte sein Vater besorgt.
„Ja, aber im Bus regnet es nich', Dad."
„Tu nich' so, als würdest du mit dem fahren, Rin."

Suna öffnete den Mund, schloss ihn wieder, während er sich beleidigt in den Sitz fallen ließ. „Ich geh halt lieber zu Fuß. Luft tut gut. Und außerdem wohnen wir nich' so weit von der Schule entfernt, wie ihr immer denkt."
„Naja, es sind doch-"
„Halt die Klappe, Ayaka!", unterbrach er seine Schwester erneut.
„Oh man ey!" Beleidigt warf sie ihr Handy zur Seite, verschränkte die Arme vor der Brust, während ihr Blick nach draußen glitt.

Nach einer gefühlten Unendlichkeit schaffte der Fahrer vor ihnen es schließlich, in die gewünschte Straße zu fahren, weshalb das Auto sich wieder in Bewegung setzte.

Suna legte den Kopf wieder gegen das Fenster, starrte dieses Mal jedoch auf den nassen Beton am Boden.

„Ich mein's nur gut, Rin. Wenn deine Sachen nass geworden wären, hättest du vielleicht Ärger bekommen...", sprach sein Vater weiter.

Suna seufzte, wandte den Blick nicht ab. „Als ob es mich interessieren würde, was die reden."
Dieses Mal war es sein Vater, der seufzte.
„Und ich weiß, dass du's gut meinst, aber du hättest an deinem freien Tag nicht hin und her fahren müssen, nur weil es ein bisschen regnet."
„Ein bisschen ist untertrieben."

Sie kamen bei den Parkplätzen der Schule an, doch Seishin, sein Vater, parkte nicht, sondern hielt nur vor dem Eingang an.
Suna brauchte keine zwei Sekunden, um die Tür zu öffnen und auszusteigen.
„Danke fürs Mitnehmen", sagte er, schloss die Tür und ging los.
Zugegeben, er war etwas beleidigt - er hasste es, wenn sein Vater sich so Sorgen um ihn machte. Er hasste es generell, wenn andere Leute meinten, sie müssten sich um ihn kümmern.

Seiner Meinung nach hätte sein Vater einiges zu tun gehabt, was viel wichtiger gewesen wäre - wie zum Beispiel ausruhen oder etwas Ruhe genießen.
Die Zeiten waren sowieso schon schwer, und Suna wollte nicht der Grund dafür sein, dass sein Vater wieder öffentlich in die Arbeit fahren musste, weil er es sich nicht leisten konnte, sein Auto zu tanken.

Ayaka stieg ebenfalls aus, bedankte sich liebevoll und ging dann ebenfalls zum Eingang.
Suna holte seine Kopfhörer aus seinem Rucksack, steckte sie sich sofort ins Ohr, bevor seine Schwester auf die Idee kommen würde, ihm nachzurufen und nachzulaufen - er hatte sich auch allein zurechtfinden müssen, und dafür, dass sie so undankbar war, wollte er ihr auch nicht den Gefallen machen, sie herumzuführen als wäre sie irgendein Ehrengast.

„Schönen Schulstart euch Beiden!", rief Seishin ihnen nach. „Mach 'nen guten ersten Eindruck, Ayaka!"
Dann fuhr er weiter.

Als Ayaka sich gerade nach ihm umsah, lief Suna schon ins Gebäude rein.
Die ganze Zeit über blieb er im gleichen Tempo, drängte sich an den ganzen Erstklässlern, die gleich ihren Vortrag haben würden, vorbei und ging zielstrebig zu seiner Klasse.

Er kramte seinen Spindschlüssel aus seinem Rucksack, sperrte ihn auf und warf seine Hefte, die noch vom Vorjahr waren und die er wiederverwendete, hinein - schnell, aber sorgfältig.
Als er fertig war, hängte er sich seinen Rucksack wieder um, schloss seinen Spind, als er zu seiner Linken eine allzu bekannte Person sah.
Er nahm sich die Kopfhörer wieder aus den Ohren - er würde sie später in seinen Rucksack geben, denn jetzt, wo er ihn sich gerade wieder umgehängt hatte, wollte er ihn nicht wirklich wieder abnehmen.

Er musterte sein Gegenüber, das gerade verzweifelt nach etwas in seinem Rucksack suchte, hob dabei amüsiert die Augenbrauen. „Da ist jemand wohl nass geworden...", sagte er.
„Dir auch einen schönen guten Morgen", sagte Osamu mürrisch - seine Jacke der Uniform war komplett durchnässt und seine Haare klebten fast schon auf seinem Kopf. Er fluchte leise, warf dann den Rucksack auf den Boden und suchte weiter, drehte ihn dabei um und warf somit den halben Inhalt hinaus.

„Hast du dein Pausenbrot verloren?"

Osamu seufzte. „Nein, meinen Spindschlüssel."
„Das wievielte Mal ist das jetzt?", sagte Suna, während er sich zu ihm hinunter bückte.
„In diesem Schuljahr das erste Mal."
„Viel Spaß. Du kriegst 'ne ganz schöne Standpauke von Frau Kurumi."
„Danke für die Erinnerung... Ich hab ihn wahrscheinlich einfach zuhause im Stress vergessen." Er fluchte noch einmal, zog sich dann die Jacke aus und hielt sie nach einer Lösung suchend vor sich. „Glaubst du, fällt es ihr auf, wenn ich die einfach auf meinen Sessel hänge?"
Suna schwankte den Kopf. „Naja... so groß is' die ja nicht... Ist unauffällig."
„Wirklich?" Für einen kurzen Moment hatte Osamu Hoffnung in seinen Augen.
„Nein. Du bist am Arsch."

Der Wing Spiker seufzte laut, strich sich dann mit der freien Hand übers Gesicht. „Und das alles nur, weil Tsumu sich schon wieder ewig Zeit lassen musste und wir deshalb den Bus verpasst haben...!", beschwerte er sich.

Suna seufzte, rollte mit den Augen - wenn Atsumu nicht hier war und deshalb kein Streit eskalieren konnte, interessierte es ihn wenig, wenn Osamu sich über ihn aufregte. Er wollte Spannung, und er wollte neue Videos, und diese bekam er meistens nur beim Training - bedauerlicherweise fand dieses erst am nächsten Tag statt.
Er drehte seinen Rucksack wieder nach vorne, sodass er ihn öffnen konnte, und holte seinen Schlüssel wieder heraus. Wieder öffnete er seinen Spind, legte seine Hefte so zur Seite, dass sie unter keinen Umständen nass werden konnten, griff nach Osamus Jacke, welche dieser ihm etwas zögerlich gab, und hängte sie bei sich auf.
„Bitteschön", sagte er, schloss den Spind erneut „Problem gelöst, und alle leben noch." Er hob poetisch die Hände, ging dann ins Klassenzimmer, setzte sich auf einen der noch freien Plätze in der vorletzten Reihe.

Kurz darauf kam sein bester Freund ebenso in dieses, sah sich um und erspähte den freien Platz neben Suna, der gerade sein Federpennal und einen Block aus der Tasche nahm und auf den Tisch legte.

Osamu setzte sich, begann wieder, seinen Rucksack zu durchsuchen.
„Was suchst du jetzt schon wieder?", erkundigte sich Suna gelangweilt.
„Meinen Block."

Der Mittelblocker seufzte, riss ein Stück Papier aus seinem Block und reichte es seinem Klassenkollegen, ohne zu ihm zu sehen.
„Danke dir", sagte Osamu erleichtert, nahm sich dann noch einen Stift und warf seinen Rucksack unachtsam auf den Boden, bevor er seine Sachen auf dem Tisch ordnete.

Es dauerte noch, bis die Stunde begann, weshalb Suna sich einen seiner Kopfhörer wieder ins Ohr steckte, während er auf seinem Handy seine Nachrichten checkte - bewusst klickte er auf den Chat mit seiner Schwester, welche ihm Dutzende Nachrichten geschrieben hatte. Es schien, als würde sie wütend sein, weil er sie so stehengelassen hatte, doch es war ihm eigentlich gänzlich egal.

„Hörst du Musik?", fragte Osamu da.
Suna sah von seinem Handy auf, blickte zu ihm - der Grauhaarige lag zur Hälfte auf dem Tisch, starrte ihn abwartend an.
„Nein, ich steck' mir die Dinger nur so ins Ohr, weil's cool is'."
Osamu lachte kurz auf.
„Natürlich hör' ich Musik, was sonst?", fragte er.
„Keine Ahnung... Kita hört sich zum Beispiel oft irgendwelche beruhigenden Naturklänge an, wenn er Kopfhörer auf hat."
Suna starrte ihn etwas irritiert an. „Vergleichst du mich gerade mit Kita?"
Osamu lachte wieder, schüttelte den Kopf. „Nein, das war nur ein Beispiel."

Kurz blieb es still zwischen ihnen, und alles, was sie taten, war, sich gegenseitig in die Augen zu starren.

Suna tat das öfters, wenn er wartete, dass sein Gegenüber weitersprach, und deshalb tat Osamu es nun auch.
Der Braunhaarige seufzte wieder, legte sein Handy beiseite, drehte sich zu ihm, stützte dabei sein Kinn mit seiner Hand ab, und starrte ihm so monoton und tief in die grauen Augen, wie er nur konnte.

Osamu tat es ihm nach, auch wenn es ihm nicht ganz gelang, gegen die grau-gelben Augen Sunas zu gewinnen - und schließlich verlor er diesen inoffiziellen Starrwettkampf auch, als er etwas lachte und deshalb blinzeln musste.
Suna musste sich ebenfalls das Lachen verkneifen, doch schaffte es trotzdem, seinen gefühllosen Blick beizubehalten.

„Denkst du wirklich, du gewinnst gegen mich im Starren?"
„Nein, aber 'n Versuch war's wert." Er richtete sich auf, ließ Suna dabei nicht aus den Augen. „Was hörst du so?", fragte er.

Der Mittelblocker schluckte - ihm wurde diese Frage noch nie so wirklich gestellt, wenn er Musik gehört hatte, deshalb irritierte sie ihn kurz. „Uhm... naja... unterschiedliches Zeug."
„Das wäre?"
Suna zögerte, lauschte für einen Moment den Lyrics. „Jetzt gerade Lego House."
Osamu nickte verstehend, und Suna konnte an seiner Mimik ablesen, dass er den Song nicht kannte.
„Schon mal gehört?"
Er schüttelte den Kopf - Ich hab's gewusst.
„Musst du dir mal anhören", sagte Suna, sah dabei wieder zu Osamu - genauer gesagt direkt in seine grauen Augen, die ihn gerade fixierten, als wäre er ein Onigiri im Schaufenster.
„Mach ich."

Suna wollte noch etwas sagen, als plötzlich jemand anderes den Klassenraum betrat.
„Samu? Kommst du mal kurz mit?", fragte jenes Mädchen.

Wenn Sunas Sinne ihn nicht trügten, bildete er sich ein, zu sehen, wie Osamu kurz das Gesicht verzog. „Was ist, Miyu?"
„Ich will nur kurz mit dir reden", sagte sie - ihre Haare hatte sie ausnahmsweise einmal zusammen gebunden, und sie starrte Osamu an, als wäre sie schon sauer, weil er nicht sofort aufgesprungen war, sondern nachgefragt hatte.

Also stand der Wing Spiker auf, lief ihr hinterher.

Und als Osamu so aus der Klasse verschwunden und Suna wieder alleine war, fühlte er sich plötzlich etwas einsam - er hatte in der Klasse sonst niemandem, mit dem er so reden konnte wie mit Osamu, auch wenn er das niemals zugeben würde.
Also steckte er sich den zweiten Kopfhörer ins andere Ohr, lauschte weiter seiner Musik, während seine Gedanken sich drehten.

Er hatte keine Ahnung, wieso genau, aber er hatte Miyu noch nie leiden können. Sie war eines dieser Mädchen, das irgendwie alle hübsch fanden, aber das niemand so richtig ansprach - bis auf Osamu, mit dem sie jetzt schon ein halbes Jahr zusammen war. Klar freute er sich für seinen besten Freund, aber zugleich fühlte er sich manchmal, als wäre er das Dritte Rad am Wagen, wenn der Wing Spiker keine Zeit hatte, weil er sich immer wieder nur mit ihr traf. Manchmal bildete er sich ein, als wäre diese Beziehung auch etwas toxisch, da er auch schon öfters das Gefühl gehabt hatte, dass Miyu ziemlich schnell eifersüchtig wurde, wenn ihr Freund auch nur in den ein-Kilometer-Radius eines anderen Mädchens kam.
Er konnte sie nicht leiden, sie konnte ihn nicht leiden - es war schon so gewesen, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten, und eigentlich war er froh, mit ihr nichts zu tun zu haben, denn sie war ihm nicht ganz geheuer.

Manchmal jedoch, wenn Osamu ihm wieder sagte, dass er keine Zeit hatte, weil er zum Fünften Mal in dieser Woche mit ihr etwas unternahm, verspürte er ein Gefühl, das er nicht ganz beschreiben konnte. Er kannte den Grauhaarigen jetzt schon seit einem Jahr, und er war so ziemlich der einzige Mensch, mit dem er wirklich reden konnte und dem er auch - zugegebenermaßen - ziemlich vertraute.

Und er erklärte sich dieses Gefühl schon seit einem halben Jahr damit, dass er unterbewusst einfach nicht wollte, dass ihre Freundschaft so sehr unter Osamus Beziehung litt.

Dachte er jedenfalls.

Promise me that we'll be fine - OsaSunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt