Kapitel 41

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Ein paar Wochen später

An der Theke war es ausnahmsweise eine etwas ältere Frau, die die Kunden des kleinen Restaurants bediente und ihre Bestellungen und Wünsche aufnahm. Sie lächelte die ganze Zeit über breit und freundlich, ihre Mimik deutete kein Anzeichen einer Ärgernis oder schlechten Laune an, im Gegenteil – Ihr Lächeln wirkte ehrlich, vertrauenswürdig, und auch, wenn Suna sie nicht kannte, beschlich ihn das Gefühl, dass diese Frau eine loyale Mitarbeiterin war, die auch bei den Kunden gut ankam.

Suna wusste nicht mehr, wie er hier gelandet war. Hier, einmal mehr, in diesem kleinen, renovierten Restaurant, das er als kleinen Laden kennengelernt hatte, in dem Onigiri und sonstige japanische Süßigkeiten verkauft worden waren. Es fühlte sich an, als wäre ein gesamtes Jahrhundert vergangen, seitdem er als Jugendlicher des Öfteren vorbeigekommen war und Osamus Vater oder Osamu selbst ihm seine Bestellung über die damals noch kleine Theke überreicht hatte. Wie eine Ewigkeit schien es her, dass sein eigener Vater hier den Job bekommen hatte, der sie alle aus dem finanziellen Ruin gebracht hatte.

Die Wahrheit war wohl, dass er ein unglaublich großes Gefühl an Mitleid verspürte, als Osamu ihm geschrieben hatte, dass sein Vater tot sei. Vielleicht war es der Grund, wieso er jetzt hier saß, das Wasserglas vor sich anstarrte, das Osamu ihm einfach hingestellt hatte, ohne überhaupt zu fragen, ob er denn Durst hätte.

Die Nachricht war ein paar Wochen her. Genauso wie die Beerdigung. Seit heute morgen auch seine ersten Spiele im Nationalteam.
Und jetzt auch sein totaler Kontaktabbruch mit Osamu. Reiji hatte er noch nicht abgeholt, sich dies jedoch nach diesem Gespräch vorgenommen, da er den Zweijährigen sowieso nicht alleine lassen konnte, und erst Recht nicht, wenn er gerade erst wieder nachhause gekommen war.

Osamu hatte ihm die gesamte Geschichte erzählt – Wie er seinen Vater gefunden hatte, wie der Rettungswagen angekommen war und wie die Polizei festgestellt hatte, dass es sich vielleicht um Mord handeln konnte. Wie Atsumu mitten in der Nacht zurück nach Hyogo gekommen war, wie seine Mutter psychisch fertig war, wie die Polizei Atsumu wegen Mordverdachts mitgenommen hatte.

Und trotz den detaillierten Beschreibungen hatte Suna das Gefühl, dass er ihm nicht die volle Wahrheit erzählte.

„Und jetzt haben sie ihn wieder raus gelassen?“, fragte er, schaffte es dabei nicht, Osamu in die Augen zu sehen, die plötzlich so leer und verletzt wirkten, dass er das Gefühl hatte, sie könnten in alle Teile zerbrechen, wenn er blinzelte.

„Mhm. Haben wohl gemerkt, dass das keinen Sinn macht, wenn er ein paar Stunden davor noch in Tokio war und dort live im Fernsehen gespielt hat.“

Suna nickte verstehend, fuhr die Rillen des Glases mit seinem Zeigefinger nach, während er darüber nachdachte, dass er sich einmal mehr gegen seine eigenen Prinzipien wandte.

„Wisst ihr schon, an was genau er gestorben ist?“

Die Frage klang oberflächlich, fast schon erzwungen, denn Suna wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Und Osamu schien es ähnlich zu gehen.

Oder er zögerte aus einem anderen Grund.

„Diese Tabletten, die Tsumu früher genommen hat. Zumindest dieselbe Marke.“ Er fügte den zweiten Teil des Satzes schnell hinzu, als hätte er Angst, man könne seine Aussage sonst missverstehen.

Suna brachte sie dennoch zum Zögern. Er sagte jedoch nichts.

„Wir haben auf jeden Fall einen Anwalt angefordert. Er oder sie sollte die nächsten Tage vorbeikommen, dann werden wir weitersehen.“

Suna nickte, schwieg dabei.

Eine Weile blieb es still. Suna wagte einen Blick zu seinem Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches, das gerade nervös an seinen Fingernägeln kaute, dabei den Tränen nahe schien. Osamus braune Haare schienen zerzaust, ein wenig fettig, als hätte er keine Kraft gehabt, sie zu waschen oder zu pflegen. Er sah aus, als hätte er die letzten Nächte kaum oder wenig geschlafen, davon zeugten seine dunklen Augenringe unter den grauen Iriden, die eine solche Last in sich trugen, dass es Osamu wohl schwer fiel, sie überhaupt offen zu halten. Er trug ein graues T-Shirt, darüber ein offenes, rot kariertes Hemd, deren Ärmel er an der Handwurzel gefaltet hatte. An der linken Hand erkannte Suna die Armbanduhr, die Osamu schon seit der zweiten Klasse besaß, am rechten Ringfinger der Ehering, der beim bloßen Anblick schon etwas Schmerz in seinem Herzen auslöste.

Promise me that we'll be fine - OsaSunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt