Kapitel 8

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Erst, als die Sonne ihm direkt ins Gesicht schien, wachte Suna auf.
 
Erschöpft rieb er sich über die Augen, wollte sich etwas strecken – doch sein Vorhaben wurde unterbrochen, als er hochschrak.
Osamus Hand lag noch immer an seiner Hüfte.
 
Kurzzeitig hatte Suna gedacht, er hätte alles, was da um zwei Uhr morgens passiert war, nur geträumt. Diese ganze Sache fühlte sich jetzt, acht Stunden danach – was er nach einem kurzen Spähen auf seine Uhr auf seinem Tisch erkannte – noch immer surreal an.
Er konnte noch nicht ganz begreifen, was da geschehen war, doch er hatte die kleine Hoffnung, dass Osamu ihm vielleicht noch nüchtern davon erzählen würde, wenn er einmal wach wurde.
 
Suna atmete leise durch, entfernte seine Hand dann vorsichtig von sich und setzte sich aufrecht hin.
Die Wärme, die er zuvor noch von Osamus Hand ausgehend gespürt hatte, war noch immer da, doch es war, als würde dieses angenehme Gefühl langsam wieder verschwinden.
 
Als er über seine letzten Gedanken nachdachte, kniff er verwirrt die Augenbrauen zusammen – Wieso dachte er darüber nach? Osamu war betrunken gewesen, und wenn man betrunken ist, macht man nun mal Dinge, die vielleicht keinen Sinn ergeben. Und vielleicht hatte Osamu ja auch nur etwas Nähe spüren wollen, als er sich so an ihn gekuschelt hatte.
Er spürte, wie seine Wangen wieder rot wurden. Seufzend hielt er sich seine Decke ins Gesicht, jammerte leise hinein – Langsam kam er sich so vor, als hätte er selbst getrunken.
 
Als er bemerkte, wie sich sein bester Freund bewegte, nahm er die Decke bis zu seiner Nasenspitze hinunter, spähte vorsichtig zu ihm – Osamu hatte sich wieder ins Kissen gekuschelt, seine Hände lagen in derselben Position wie die einer Babykatze, und durch seine ruhigen Atemzüge wurde Suna fast schon wieder schläfrig.
Er schüttelte langsam den Kopf, als könne er dadurch klare Gedanken fassen.
War Betrunkenheit wirklich nicht ansteckend?
 
Eine Weile sah er Osamu bei seinem friedlichen Schlafen zu – Bis er wieder in die Realität fand und ihm klar wurde, dass der Grauhaarige jeden Moment aufwachen und ihn beim Starren erwischen könnte, weshalb er sich erhob und schon mal begann sich umzuziehen.
 
Doch auch zehn Minuten später machte Osamu keinen Anschein, aufstehen zu wollen.
Suna saß auf seinem Schreibtischsessel – Er hatte mit dem Frühstücken auf ihn warten wollen, weshalb er mit seinen Hausaufgaben angefangen hatte, doch langsam knurrte ihm der Magen.
 
Nachdenklich biss er sich auf die Unterlippe, griff nach einer Decke, die auf einer Kiste neben dem Tisch lag und warf sie volle Kanne auf Osamu, der sofort verschlafen die Augen öffnete und zuerst die Decke, dann ihn genervt ansah.
 
„Aufstehen, ich hab Hunger“, erklärte Suna.
Osamu seufzte, legte die Decke beiseite. „Ich kann auch zuhause essen… ich will euch keine Umstände bereiten.“
„Du bereitest mir eher Umstände, wenn du jetzt nicht mitisst. Ich warte seit einer Ewigkeit darauf, dass du aufstehst, weil mir der Magen knurrt.“
Osamu lächelte belustigt, setzte sich dann auf. Er jammerte, fasste sich an den Kopf, dann an die Stirn. „Scheiße ey…“
„Kater?“
„Mhm.“
„Kein Wunder. Warst ja ziemlich besoffen“, schoss er gerade heraus.
Osamu rieb sich die Schläfen, starrte dabei den Boden vor sich an. „Ziemlich is‘ untertrieben…“, sagte er leise.
„Stimmt auch wieder.“
 
Eine Weile blieb es still.
 
Osamu erhob sich, geriet dabei ins Taumeln und hielt sich am Tisch fest.
Suna stand ebenfalls auf, ging vorsichtshalber zu ihm um ihn aufzufangen, falls er umfallen sollte. „Alles okay?“
„Jep. Mir war nur kurz schwindelig.“
 
Der Mittelblocker nickte verstehend – und verzog die Nase, als er etwas Anderes registrierte. „Du stinkst nach Alkohol…“, sagte er, fächelte dabei mit der Hand vor seinem Gesicht herum.
„Sorry…“
„Geh duschen. Und dann kannst du dir Sachen von mir leihen.“
 
So hätte er wenigstens noch Zeit, um seinem Vater zu erklären, warum Osamu plötzlich hier war.
 
„Aber-“
„Kein Aber.“
 
 
Es vergingen weitere zehn Minuten, bis Suna das Wasser der Dusche nicht mehr hören konnte.
Gemeinsam mit der Kleidung in seiner Hand klopfte er an die Badezimmertür. „Kleidungslieferung.“
Es kam keine Antwort, weshalb er kurz Panik bekam, ob etwas passiert war – doch dann öffnete Osamu die Tür, und Suna stellte sich nun die Frage, ob er ihn doch hätte heimschicken sollen.
 
Denn Osamu hatte das Handtuch nur um seinen Unterkörper gewickelt – sein Oberkörper war nackt.
Seine Augen wanderten automatisch zu diesem, sein Blick blieb an seinen Muskeln hängen.
Suna schluckte überfordert – Er wusste nicht, was mit ihm los war, doch sein Herz setzte ein paar Takte aus und rutschte ihm zudem bis in die Hose.
 
„Danke dir“, sagte Osamu, wartete, bis Suna ihm die Sachen gab, und dieser verstand vermutlich viel zu spät, dass er ihn seit mindestens dreißig Sekunden angestarrt hatte.
„Äh- J-Ja, hier.“ Der Braunhaarige reichte ihm die Sachen, tat dabei sein Bestes, ihm in die grauen Augen zu sehen, bis er wieder im Bad verschwand und die Tür schloss.
 
Noch eine gefühlte Ewigkeit stand Suna genau so vor dem Bad, wie er es getan hatte, als Osamu die Tür geöffnet hatte – Er bewegte sich kein Stück.
Erneut schluckte er, schüttelte wieder den Kopf, um das Bild aus diesem zu bekommen.
Was war nur los mit ihm?
 
 
 
Eine halbe Stunde später saßen sie beim Frühstück, doch während Suna sich sein Essen deutlich schmecken ließ, rieb sich Osamu alle paar Sekunden die Schläfen, seufzte, machte einen Bissen und senkte wieder den Kopf.
 
Suna war froh darüber, dass sein Vater und seine Schwester schon längst gegessen hatten – So musste er weder ihnen über den Weg laufen, noch eine noch unangenehmere Stille am Tisch ertragen, als sowieso schon herrschte.
Als er zur Hälfte fertig war, legte er seine Stäbchen ab und betrachtete Osamu abwartend.
Dieser schien den Blick auf sich zu spüren, seufzte erneut, bevor er seine Stäbchen ebenso senkte und in sein Essen starrte, als hätte er Hunger, obwohl er sich eigentlich schon satt gegessen hatte.
 
„Ich hab ‘n Kater“, murmelte Osamu leise, strich sich durch die grau gefärbten und wirren Haare, doch schaffte es nicht, sie zu richten.
„Ich weiß. Hab ich dir ja gesagt“, sagte Suna, aß weiter.
Osamu sah unsicher zu ihm, nahm ebenfalls einen Bissen. „Hab ich gestern viel Blödsinn geredet? Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern…“
 
Suna hielt in seiner Bewegung inne – Er musste an die Komplimente denken, die sein bester Freund ihm gegeben hatte. Wie er ihm ans Kinn gefasst hatte, wie er ihm gesagt hatte, seine Augen seien einzigartig. Wie er ihn angesehen hatte, und wie er verlangt hatte, dass er ebenfalls bei ihm im Bett schlafen solle.
Und wie er ihn im Schlaf umarmt hatte.
 
Suna schluckte den Bissen hinunter, spürte, wie sein Herz wieder schneller schlug.
Unsicher darüber, ob er die Wahrheit sagen sollte, stach er in seinem Essen herum. „Ne, es war eigentlich so wie immer.“
„Okay, das is‘-“
„Nur warst du dieses Mal betrunken.“
 
Nun war es Osamu, der in seiner Bewegung innehielt. Es dauerte, bis er verstand, was Suna damit meinte, und schließlich bildete sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht.. „Haha. Lustig.“
Der Mittelblocker musste ebenfalls etwas grinsen. „Ich weiß.“
 
Eine Weile blieb es still.
 
„Wo is‘ Atsumu eigentlich wirklich hin?“, fragte Suna nach einiger Zeit.
Osamu hob die Schultern. „Ich glaub, der hat sich in der Bar, in der wir waren, eine gefunden.“
Suna zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Was is‘ mit Nara?“
„Was wohl…“
 
Suna verstand, nickte. „Ah. Okay.“
 
Kurz bevor sich wieder die unangenehme Stille ausbreiten konnte, hörte der Braunhaarige Schritte hinter sich.
„Ah, guten Morgen! Dass ihr auch einmal aufsteht, hätte ich nicht gedacht“, sagte sein Vater gut gelaunt, holte sich einen Apfel aus der Küche.
„Ich bin eh schon ewig auf, wie du ja schon weißt“, kommentierte Suna.
„Guten Morgen“, wünschte Osamu leise zurück, wandte sich dann endlich ordentlich seinem Essen zu.
 
„Hab dich schon ewig nich‘ mehr gesehen. Sag, wie geht’s dir?“
 
Suna seufzte leise – Sein Vater liebte es, Smalltalk zu führen.
„Ganz gut“, antwortete Osamu, setzte dabei ein unschuldiges Lächeln auf. „Wie geht es Ihnen?“
„Ja, auch gut“, sagte er, stützte sich dabei an der Lehne eines Sessels ab.
 
Eine Weile verblieb er so, doch wandte sich schließlich um und ging in die Küche, um dort Geschirr von einem Ort zum anderen zu räumen.
Kaum war er weg, verschwand auch das Lächeln von Osamu wieder – die Vermutung, dass er es nur aus Höflichkeit aufgesetzt hatte, bestätigte sich damit für Suna.
 
Dieser war mit dem Essen fertig, legte seine Stäbchen auf den Teller, wischte sich den Mund mit der Serviette ab und betrachtete Osamu eine Weile, als dieser mit leerem Blick auf den Tisch starrte.
Seine grauen Haare fielen ihm ins Gesicht. Seine hellen Lippen waren nicht ganz geschlossen, die Unterlippe stand ein Stückchen hervor, als würde er ein wenig schmollen. Osamu seufzte wieder, stützte seinen Kopf wieder mit der Hand ab, dabei rutschten weitere Strähnen seiner Haare nach, landeten auf seinem linken Auge – Suna konnte deutlich seinen braunen Undercut erkennen.
Es war schon so lange her, seitdem er einen der Zwillinge in ihren Naturhaarfarben gesehen hatte – Er wusste, dass keiner der Beiden in naher Zukunft vorhatte, die Färbung rauswachsen zu lassen, und irgendwie enttäuschte ihn das.
 
Er musste gestarrt haben, denn Osamus Blick traf seinen, und aus Reflex sah Suna schnell zur Seite, sah auf den Boden, durch den Raum und schließlich zurück zum Tisch, doch mied die grauen Augen, in die er gerade so tief versunken gewesen war, bestmöglich.
Doch er spürte, wie Osamu ihn musterte, und er wusste nicht, ob er ihn damit nachäffte oder er irgendetwas im Gesicht hatte.
Um nicht so komplett ahnungslos da zu sitzen, begann er, die verschiedenen Teller auf dem Tisch zu sortieren.
 
„Rin.“
Suna schrak hoch, dabei fiel ihm sein eigener Teller aus der Hand und landete mit einem lauten Klack wieder unbeschadet am Tisch. „J-Ja?“, stotterte er – sein Herz hatte ein paar Takte ausgesetzt, als Osamu seinen Namen genannt hatte.
„Es tut mir Leid, falls ich mich daneben benommen habe.“
„Schon gut. Kannst nichts dafür.“

Ungefähr zwei Minuten blieb es still.
Seishin verließ die Küche, machte sich auf in sein Schlafzimmer.
 
„Ich bin kein Alkoholiker.“
„Das is‘ mir bewusst“, sagte Suna schnell, presste dabei irritiert die Augen zusammen – als er sie wieder öffnete, sah er, dass Osamu den Blick abgewandt hatte.
Er zögerte.
„Ich weiß nicht, was genau mit Miyu los ist, aber ich glaube, dass sie Probleme hat. Und ich spreche nicht nur von psychischen Problemen.“
Suna kniff verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Von was denn dann?“
„Keine Ahnung… Ich glaube, dass das mit ihrer Familie zu tun hat. Jedenfalls is‘ sie gestern ziemlich ausgerastet, als ich ihr gesagt hab, dass ich Schluss mache.“
„Wieso?“ Das weckte Sunas Interesse an der ganzen Sache dann doch.
„Naja, sie meinte, dass ich das noch bereuen werde und ich keine Ahnung habe, zu was sie fähig is‘. Und dass ich niemals jemanden finden werde, der mich so akzeptiert wie sie und dass ich alleine sterben werde und sowas halt.“ Er hob die Schultern, als wären diese Aussagen das Normalste der Welt.
Suna bereitete das ganze Bedenken – Er wusste auch nicht, zu was Miyu wirklich fähig war, aber sie war ihm des Öfteren nicht gerade unschuldig vorgekommen.
 
„Denkst du nicht, dass sie vielleicht gefährlich werden könnte?“
„Miyu ist ein Mensch, der sehr gerne droht, um anderen Angst zu machen. Sie hat des Öfteren davon geredet, dass sie einen Bruder hätte, den sie fürchterlich hasst und den sie aus dem Leben streichen will. Und das, obwohl sie ihm nie persönlich begegnet is‘. Ganz zu schweigen von unseren ehemaligen Nachbarn, bei denen sie meinte, sie könne deren Kind dazu bringen, ihr bei allem zu helfen, was sie wollte.“
 
Suna schluckte – Im Endeffekt hatte niemand eine Ahnung, was in Miyus Kopf vorging, und wenn er ehrlich war, wollte er darüber auch nicht nachdenken. Allein die Tatsache, dass sie darüber nachdachte, ein Familienmitglied aus dem Leben zu streichen brachte ihm ein mulmiges Gefühl im Magen.
Er wollte das Thema wechseln, und zwar schnell.
 
„Hast du eigentlich was von ihnen gehört?“
„Von wem?“
„Von euren ehemaligen Nachbarn.“
„Achso, die Toshiyukis…“ Osamu zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass sie nach Tokio gezogen sind, nachdem mein Vater sie aus der Nachbarschaft geekelt hat, weil Akio es gewagt hat, eine Blume durch den Zaun von unserem Garten zu stehlen.“
 
Suna entfuhr ein kurzes, leises Lachen. „Der Junge is‘ ‘n Wahnsinn.“
„Manchmal glaube ich, dass er einmal schlimmer als Atsumu werden wird, was gewisse Dinge angeht.“
„Warte, das geht?“
„Stimmt auch wieder. Naja, beleidigen will ich ihn dann auch nicht, er war ja trotzdem ein netter kleiner Junge… Also, ich meine Akio.“
 
Suna unterdrückte sich den Lachanfall, der versuchte, sich an die Oberfläche seines Schutzmantels zu drängen. Er kam jedoch nicht dagegen an, weshalb ein kurzes, unterdrücktes Lachen zu hören war.
Osamu grinste in sich hinein, schenkte Suna einen Seitenblick, während er sich wieder seine Stäbchen schnappte und einen großen Bissen nahm.
Der Braunhaarige presste sofort die Lippen zusammen, brachte sich auf andere Gedanken.
 
Er war froh, dass Osamu nichts weiter dazu sagte – doch allein die Tatsache, wie er ihn ansah, war trotz allem genug, um sein Herz wieder höher schlagen zu lassen.

Promise me that we'll be fine - OsaSunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt