Als ich um fünf vor sechs bei der Villa meiner Mutter ankam, sah ich aus wie der durchschnittliche Nebendarsteller bei The Walking Dead. Ich hatte tiefe Augenringe und meine Augenlider und Hände zuckten vom akuten Schlafmangel und den hohen Mengen Koffein, die ich zu mir genommen hatte. Der Chauffeur öffnete mir die Tür und ich stieg aus. Vor mir erhob sich das große protzige Gebäude im römischen Stil. Ich sah mich im Vorhof um. Es standen bereits einige Luxuslimousinen und italienische Sportwagen dort. Fackeln säumten den Weg zum Eingang. Zwei Bedienstete beeilten sich, mir mit einer kleinen Verbeugung die Flügeltür des Hauses zu öffnen. Ich schnappte mir einen Aperitif von einem Tablett und schlenderte durch die Eingangshalle in den großen Salon.
Als ich eintrat, erhoben sich die Anwesenden achtungsvoll von den samtenen Möbeln und kamen auf mich zu, um mich zu begrüßen.
„Heeee, sieh dich an!", rief mein Onkel Cicero und drängte sich an den ehrfürchtigen Capos vorbei. Fröhlich klopfte er mir auf die Schulter. Der kleine Mann mit dem leuchtenden Blick und dem runden Bauch war ein heiterer Mensch, der sich in hohen Jahren dem Weinbau verschrieben hatte. Auch wenn das fröhliche Äußere darüber hinwegtäuschen konnte, war er ein eiskalter Killer der Mafia. Er hatte einmal drei auf ihn angesetzte Assassinen mit jeweils drei verschiedenen Hygieneartikeln erdrosselt, als diese ihn im Bad überrumpelt hatten. Der erste hatte eine Tamponschnur aus dem Vorrat seiner Frau zu spüren bekommen, der zweite war an einer Rolle Klopapier erstickt und den letzten hatte Cicero mit einem Thrombosestrumpf erwürgt. Der Mann war eine Legende.
„Onkel Cicero, schön dich zu sehen.", rief ich und da er meine Schulter hielt, klopfte ich ihm auf die Brust.
„Wie geht es dir?", fragte ich ihn.
Das war sein Stichwort und seine Miene verdüsterte sich.
„Ach, was soll ich sagen? Ich habe mir vorgenommen, jetzt in meinen hohen Jahren ein sauberes Leben zu führen. Keine krummen Geschäfte mehr. Ehrlicher Weinanbau. Aber diese ganzen Gesetze, sie gehen mir gehörig auf die Eier, verstehst du? Ständig wollen sie meine Waren kontrollieren, für alles braucht man einen Zettel vom Amt. Und diese verdammten Steuern. Bist du erfolgreich? Hast du etwas erreicht? Der Staat hält sofort seine Hand auf, damit alle etwas davon haben. Schulen wollen sie damit bauen und Straßen, sagen sie. Ja, was soll ich alter Mann denn mit einer Schule, da habe ich ja gar nichts von! Straßen sind akzeptabel. Damit kann ich mich arrangieren.", er hielt inne und fuhr kopfschüttelnd fort: „Also wirklich, der Staat verdirbt einem die ganze Freude am Geschä-"
Er verstummte, als eine Frau den Raum betrat, die mit ihrer Präsenz und ihrer lauten Stimme sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Meine Mutter. Sie war wie immer todschick gekleidet, mit viel Schmuck und aufwendig frisierten Locken. Mit ausgestreckten Armen kam sie auf mich zu.
„Matteo, Liebling, komm her. Endlich bekommt deine Mutter dich auch mal wieder zu Gesicht.", rief sie.
Immerhin schien ihr Ärger über die umgeleiteten Anrufe verflogen. Sie drückte mich an sich, wie ein fünfjähriges Kind und ich ließ es über mich ergehen. Die Umstehenden wussten es besser, als einen blöden Kommentar abzugeben. Sie würden den Abend nicht überleben.
Meine Mutter drehte sich zu ihrer Freundin um.
„Sieh dir meinen Sohn an. So ein gutaussehender Mann. Und nie bringt er eine Frau mit nach Hause. Es wird Zeit, dass er heiratet. Dasselbe ist mit meinem anderen Sohn Luciano. Sie alle beide sollen endlich heiraten! Sonst bringt das Junggesellenleben sie noch ins Grab und damit brechen sie ihrer lieben Mutter das Herz."
Theatralisch fasste sie sich an die Brust.
„Hörst du, Matteo? Du brichst deiner Mutter noch das Herz!", rief sie.
Ich knirschte mit den Zähnen.
„Du bist nicht zu überhören."
Zu denken, dass ich irgendwann heiraten würde war ein schlechter Scherz. Zu denken, dass mein Bruder Luciano jemals heiraten würde war eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. Aber meine Mutter brauchte ihre Träumereien.
Nachdem wir ein übertriebenes sieben Gänge Menü hinter uns gebracht hatten, ging die Gesellschaft in den Salon zurück, um Zigarren zu rauchen, Cognac zu trinken und über Geschäfte zu reden.
Ich stand am Fenster und schwenkte gedankenverloren mein Getränk im Glas. Mein Blick streifte über meisterhaft geschnittene Buchsbäume in der Abendsonne, die die Form perfekter Kegel und Spiralen hatten.
„Guten Abend Matteo.", erklang eine weibliche Stimme dicht neben mir.
„Hallo Ignazie.", grüßte ich zurück, ohne den Blick vom Garten abzuwenden.
„Wie schön, dich mal wieder zu sehen, Matteo. Es ist ja schon länger her.", schnurrte sie.
„Hast du-", sie hielt inne und schob sich in mein Blickfeld, „Hast du später schon was vor?", fragte sie.
Ich musterte sie. Ihr Kleid betonte ihren Körper so enganliegend, dass es keinen Platz für Fantasie ließ. Sie wickelte einen Finger um eine Strähne, die aus ihrer Hochsteckfrisur gefallen war, während sie mich erwartungsvoll ansah.
„Warum?", fragte ich und sah sie mit regungslosem Gesicht an.
„Wir könnten den Abend von damals wiederholen.", flüsterte sie verschwörerisch, „Ich bekomme dich nämlich, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr aus dem Kopf, Herr Strivale.", gurrte sie.
Ich beugte mich zu ihrem Ohr. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie sie vorfreudig ihre Hände rang, dann flüsterte ich: „Nein."
Ich richtete mich wieder auf. Vorwurfsvoll sah sie mich aus ihren hellgrauen Augen an und zog eine Schnute.
„Deine Mutter mag mich.", erklärte sie fast trotzig.
Ich musste lachen. Was wollte sie denn damit erreichen? Dachte sie, das würde mich motivieren, es mit ihr zu versuchen?
„Meine Mutter würde auch ein frisiertes Stinktier mögen, wenn es ein potentieller Heiratskandidat für mich wäre.", erklärte ich lächelnd.
Verärgert atmete Ignazie aus.
„Ist es wegen diesem Mädchen?", fragte sie dann.
„Wegen wem?" Ich sah sie verwirrt an. Seit ich vor über einem Jahr mit Ignazie geschlafen hatte, hatte ich einige Frauen gehabt. An die meisten konnte ich mich kaum noch erinnern.
Sie zückte ihr Handy und googelte ein Bild. Es zeigte einen Schnappschuss des Innenraums eines Clubs – meines Clubs. Ich nahm ihr Handy in meine Hand, um das Bild genauer betrachten zu können. Grete war darauf zu erkennen, wie sie mit breitem Lächeln ihre Arme um mich schlang.
Unternehmer Matteo Strivale mit Freundin gesichtet?, hatte irgendein Klatschpressen-Journalist darunter gedichtet.
Ich klickte den nächsten Artikel an. Ein Bild erschien, auf dem ich hinter Grete am Tanzpodest hing und meinen Arm um sie gelegt hatte. Jetzt zeigt er öffentlich seine Liebe – Matteo Strivale im siebten Himmel, hatte ein anderer rasender Reporter dazu erfunden.
Ignazie zog eine Augenbraue hoch, als sie mein erstarrtes Gesicht sah.
„Mir hast du damals gesagt, du gehst nicht mit Frauen aus, aber wie es scheint haben sich deine Prioritäten geändert.", meinte sie schnippisch. Dann schnappte sie ihr Handy aus meiner Hand. Mit kritischem Blick betrachtete sie das Bild.
„Und ich hatte gedacht, du stehst auf Models. Und nicht auf stinknormale langweilige Mädchen."
Ich ließ sie einfach stehen und wählte Russos Nummer, während ich auf die Terrasse hinaustrat.
„Russo, da sind Bilder von mir mit einer Frau in den Medien gelandet, ich will, dass du alles daransetzt, die aus den Zeitungen herauszubekommen...ja, ist mir egal ob das gute PR ist, ich will, dass die Bilder aus dem Internet verschwinden." Aufgebracht legte ich auf und fuhr mir mit der Hand durch die Locken. Da ich keine Dates außerhalb meines Schlafzimmers hatte, war ich nie mit Frauen zu sehen. Nicht mal mit irgendwelchen Mafiatöchtern wie Ignazie, bei denen es egal war, wenn man mich mit ihnen sah. Aber bei Grete war das anders. Grete gehörte nicht zu uns. Grete war... schutzlos.
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Mafia 101 - Matteo
Любовные романыAusversehen einen Kratzer in ein fremdes Auto zu machen bringt Ärger mit sich. Aber dass es ihr Leben ins komplette Chaos stürzen würde, damit hatte Grete nicht gerechnet... Grete - eine zurückhaltende dauerpleite Couchpotatoe, die Kunstgeschichte s...