6. Nachts im Museum

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Als wir vor dem Eingang standen, sagte er knapp: „Schlüssel."

Ich schwankte leicht vor und zurück, während ich das elektronische Schlüsselkartenfeld anvisierte, als wolle ich es mit Telepathie dazu bewegen, heute ausnahmsweise mal nicht zu funktionieren. Ein mahnendes „Grete.", von der Seite bewegte mich endlich dazu, meinen Museumsausweis dagegen zu halten.

„Oh Gott, sie werden wissen, dass es eine Mitarbeiterin gewesen ist, wenn keine Tür aufgebrochen ist.", fiel mir ein, als wir das dunkle kühle Innere betraten.

„Meine Leute werden ein Fenster einwerfen, sobald wir weggefahren sind. Das wird die Kripo ablenken. Derjenige, der die Kameras ausgeschaltet hat, wird außerdem dafür sorgen, dass deine Schlüsselkarte digital keine Spur hinterlässt.", erklärte Matteo, „Und jetzt führe mich zu dem Bild."

Getarnt als nächtliche Putzkolonne holperten wir durch den Gang der Büros. Hier im Museum war es nie laut, aber jetzt war alles in eine gespenstische Stille gehüllt. Unterbrochen von unseren Schritten auf dem ausgetretenen Steinboden.

Vor Inas Werkstatt blieb ich stehen. Ich blickte Matteo an. Das Blau seiner Augen blitzte auffordernd in der Dunkelheit auf. Mit mehr als einem schlechten Gewissen trat ich in Inas Werkstatt und griff nach dem Schlüssel, der immer an einem Haken an der Wand hing. Ich griff ins Leere.

„Ähh", machte ich.

„Was ist?", fragte Matteo hinter mir.

„Der Schlüssel ist nicht da.", berichtete ich.

Kurz war es still. Dann polterte er neben mich und knipste eine Taschenlampe an. Weißes Licht fiel auf die Wand, in der nur ein leerer Nagel steckte. Er schloss die Augen und atmete tief durch, als brauche er alle Yoga-Sonnenenergie der Welt, um die Ruhe zu bewahren.

„Gut, suchen.", bestimmte er und begann, den Kegel der Taschenlampe durch das Zimmer wandern zu lassen. Ich schreckte zusammen, als ein kreidebleicher Kopf im Lichtschein auftauchte. Doch es war nur ein Porträtgemälde aus der Epoche der Gotik, das an Inas Staffelei lehnte. Schnell wandte ich meinen Blick ab von den wimpernlosen starren Augen, die mich eindeutig vorwurfsvoll ansahen. Wir wanderten durch den Raum, tasteten Schränke und Regalbretter ab. Matteo zischte dabei Flüche auf einer fremden Sprache, die ich als italienisch identifizierte. Auf Inas Schreibtisch erkannte ich etwas Metallisches.

„Ich glaube, ich habe ihn.", murmelte ich und hielt tatsächlich den Schlüssel empor.

„Grazie Dio.", stieß er erleichtert aus.

„Jetzt aber los, wir haben kostbare Zeit verloren.", grummelte er.

Wir eilten hinunter in den Museumskeller. Schon bei Tag war es mir hier unten immer etwas mulmig zumute. Bei Nacht war es hier schlicht und einfach gruselig. Der kalte modrige Geruch wurde durch die Dunkelheit verstärkt und ließ mich an Verliese und kalte Gräber denken. Die Kunstobjekte, die an den Wänden standen, erschienen im Schatten wie Monster und Gespenster, die ihre Arme nach uns reckten. Bevor ich es verhindern konnte, erschauderte ich.

„Grete?", hörte ich Matteo neben mir.

„Hm?", brummte ich.

„Hast du etwa Angst?", bohrte er nach. Seine Stimme war sanft, fast sorgsam, aber sie hatte auch einen neckenden Unterton. Natürlich, dachte ich missmutig, es war immerhin Matteo Mr. Unerträglich Strivale, über den wir hier redeten.

„Natürlich habe ich keine Angst. Ich kenne diesen Keller sehr gut.", gab ich zurück.

Vor der Metalltür, die mir Ina gezeigt hatte, blieb ich stehen. Ich reichte Matteo den Schlüssel in die behandschuhte Hand und er öffnete das Schloss mit einem Knacken. Seufzend blickte ich Christus im Sturm auf dem See Genezareth im Schein der Taschenlampe an. Das hier war vermutlich das letzte Mal, dass ich das Bild live betrachten konnte. Was für eine Schande. Und ich würde daran Mitschuld sein, dass das Bild der Öffentlichkeit für immer entrissen wurde. Mein Magen verkrampfte sich.

Matteos Hand an meinem Arm schreckte mich aus meinen Gedanken. Dann hörte auch ich es. Schritte. Auf der Kellertreppe. Ich erstarrte. Durch den Türrahmen erspähte ich einen Taschenlampenlichtkegel, gefolgt von einem Mann in der Uniform einer Sicherheitsfirma. Schnell schloss Matteo die Tür hinter uns. Mit gespitzten Ohren verfolgte ich die Schritte durch den Saal. Angstschweiß bildete sich auf meiner Stirn und ich versuchte, meine Atmung ruhig zu halten. Ich konnte fast Matteos Herz neben mir schlagen hören, so mucksmäuschenstill war es in unserem kleinen Saferaum.

Nach einiger Zeit entfernten sich die Schritte des Sicherheitsmannes wieder. Schnaufend erklomm er die Treppe und verschwand. Kurz harrten wir aus, dann drehte sich Matteo zu mir um und ich entließ erschöpft meinen Atem.

„Noch zehn Minuten.", gab er zu bedenken, „Dann gehen die Überwachungskameras wieder an."

Ich riss meine Augen auf. Das hieß, wenn wir hier in zehn Minuten nicht raus waren, waren wir geliefert. Dann konnte ich den Rest meines Lebens im Knast verbringen, dessen war ich mir sicher.

Matteo schnappte sich das Gemälde.

„Halt mir die Tür auf.", befahl er.

Ich eilte zu der Metalltür des Saferaums. Gemeinsam manövrierten wir das über 100 Jahre alte Kunstwerk aus dem Keller. Am Putzwagen angekommen, den wir in einer Nische im Flur abgestellt hatten, wickelten wir es in eine Decke. Dann stopften wir es in die große blaue Mülltüte. Nichts, was ich je in meinem Leben getan hatte, hatte sich so falsch angefühlt, dachte ich missmutig.

„Fünf Minuten.", informierte mich Matteo flüsternd.

Mein Herz raste auf hundertachzig und meine Hände wurden zittrig. Fünf Minuten, das war wirklich nicht viel. Wenn jemand sagte ‚Gib mir noch fünf Minuten.', dann brauchte die Person eigentlich immer länger. Fünf Minuten, das war wirklich so gut wie ni-

Ich hielt unsanft in meinen panischen Gedanken inne. Schritte- der Sicherheitsmann kam zurück. Während ich völlig erstarrte, war Matteo zum Glück so geistesanwesend und drückte uns inklusive des Wagens in eines der Büros. Aus dem Türspalt beobachtete ich, wie der Sicherheitsmann mit seiner Taschenlampe den Flur ausleuchtete. Wenn er sich dazu entschied, den Flur entlang zu laufen, dann waren wir verloren. Dann würden wir es niemals in fünf Minuten rausschaffen. Ich griff zaghaft nach Matteos Hand. Ich wusste das klang bescheuert, aber ich wollte wenigstens mal einen Mann berührt haben, bevor ich für zehn Jahre ins Gefängnis kam. Er drückte sanft meine Hand und tätschelte meinen Handrücken. Aufgeregt verfolgte ich das warme Kribbeln, das seine Berührung unter meiner Haut auslöste. Gut, dass ich das noch hatte spüren dürfen, vor dem Justizvollzug. Ich zog meine Hand wieder weg. Just in diesem Moment drehte der Sicherheitsmann ab und verschwand in dem Gang, aus dem er hergekommen war.

„1...", begann Matteo in die Stille hinein, „2...3...renn."

Ich sprintete los, Matteo mit dem Wagen hinter mir her. Beim Rennen zog ich meine Schlüsselkarte aus meiner Hosentasche, sodass wir, kaum an der Tür, auch schon ins Freie stolperten. Matteo schubste den Putzwagen in den Kofferraum und wir sprangen auf die Autositze.

Mafia 101 - MatteoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt