Seit mein Vater gestorben war, war Luciano Strivale der Don. Man nannte ihn ‚Il Diavolo', den Teufel, und wenn man nur seinen Namen aussprach, erzitterte die Unterwelt. Man erzählte sich über ihn, dass man ihn nach seiner Geburt für tot erklärt hatte, nachdem man keinen Herzschlag bei ihm hatte feststellen können. Daraufhin soll er die Augen aufgeschlagen und versucht haben, mit seinen winzigen Händchen die Hebamme zu erwürgen. Bis heute solle sein Herz noch nie geschlagen haben. Ich glaubte dieses Ammenmärchen natürlich nicht, das er vermutlich selbst in die Welt gesetzt hatte. Aber es beschrieb seinen Ruf ganz gut.
Nachdem der Chauffeur auf den Flugplatz gefahren war, schwang ich mich aus dem Auto. Kurz begrüßte ich das kleine Empfangskomitee, das ich zusammengerufen hatte. Gespannt beobachteten wir, wie die Tür des Privatjets vor uns runtergelassen wurde. Ich verschränkte meine Hände ineinander und wippte zwei Mal auf meinen Schuhen hin und her. Ich hatte keine Angst vor meinem Bruder, aber eine gewisse Ehrfurcht vor dem Don war definitiv da.
Zwei Kerle mit brutalen Gesichtern stiegen aus dem Flugzeug hinab und positionierten sich rechts und links der Gangway. Dann erschien Luciano in seinem schwarzen Anzug und marschierte die Stufen hinunter. Ich spürte, wie meine Leute neben mir unsicher von einem Bein aufs andere traten, oder unauffällig ihre schwitzigen Hände an ihren Hosen abwischten. Der Mann hatte eine so beängstigende Aura, dass viele in seiner Gegenwart nur schwer ihren Fluchtreflex unterdrücken konnten.
Während ich die blauen Augen unseres Vaters geerbt hatte, hatte er die dunkelbraunen unserer Mutter geerbt. Nur waren seine noch um einige Töne dunkler, sodass sie so schwarz wirkten wie seine Haare. Ich versuchte sein hartes Gesicht zu studieren, als er näherkam. Eine Geste, die man sich eigentlich sparen konnte. Seine Mimik war wie immer kalt und emotionslos. Wenn er es nicht explizit darauf anlegte, war er unlesbar. Also fast immer.
Ich seufzte leise und trat auf ihn zu.
„Bruder." Seine Stimme ließ die Leute um uns herum zusammenzucken.
Innerlich verdrehte ich die Augen. Man sollte doch meinen, dass gestandene Mitglieder der Famiglia sich nicht gleich wegen der Stimme des Don in die Hose machten. Aber andererseits war der Don nicht dafür bekannt, Fehlverhalten gegenüber ihm zu dulden. Die allgegenwärtige Angst war nachvollziehbar.
„Luciano. Ist mir eine Ehre, dich hier empfangen zu dürfen.", meinte ich und schlug in seine Hand ein.
Die zwei Capos, unter den Leuten, die ich mitgebracht hatte, traten mit gesenktem Blick an ihn heran und begrüßten ihn ehrfürchtig. Luciano handelte sie kurz angebunden ab und folgte mir dann ins Auto, mit dem ich hergekommen war.
„Wie geht es dir?", fragte ich ihn, als wir auf der geräumigen Rückbank Platz genommen hatten.
„Wenn ich Velascos Kopf in den Händen halte, besser.", erklärte er.
„Wie ist der Stand?", fragte er dann.
„Es gibt einen Überläufer. Er hat uns Velascos Aufenthaltsort verraten. Ein abgelegenes Gehöft. Er scheint sich dort mit einigen Leuten verschanzt zu haben.", informierte ich ihn.
„Gut." Er hatte seinen Arm auf die Kante vor dem Autofenster gelegt. Dabei gab sein Anzugärmel den Blick auf sein Handgelenk frei und auf ein Stück der schwarzen Tattoos, die sich über seine Arme zogen. Eine Weile sah er sich die vorbeiziehende Landschaft an, die in der Dämmerung versank.
„In zwei Stunden will ich alle deine Leute gerüstet und formiert in deinem Lagerhaus sehen. Wir fahren von da aus Kolonne und gehen frontal drauf mit allem, was wir haben.", bestimmte er.
˚₊✩‧₊
Das Lagerhaus war in eine angespannte Stille getaucht, als Luciano und ich vor die Menge traten, die im funzeligen Licht der Industrielampen zu uns aufblickte. Luciano umfasste mit ausgebreiteten Armen das rostige Geländer der Galerie, auf der wir standen und ließ langsam seinen Blick über meine Leute wandern. So beängstigend seine Aura auch sein konnte, sein dominantes und todernstes Auftreten hatte auch etwas Versicherndes und Beruhigendes. Er schien jedem einzelnen mit seinem dunklen Blick in die Augen zu schauen und man merkte, wie die Menge kaum zu atmen wagte, während sie zurück starrte. Bevor er auch nur ein Wort gesprochen hatte, klebten die Leute bereits an seinen Lippen.
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Mafia 101 - Matteo
RomanceAusversehen einen Kratzer in ein fremdes Auto zu machen bringt Ärger mit sich. Aber dass es ihr Leben ins komplette Chaos stürzen würde, damit hatte Grete nicht gerechnet... Grete - eine zurückhaltende dauerpleite Couchpotatoe, die Kunstgeschichte s...