33. Gut gemeinter Rat

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˗ˏˋ Matteo ˎˊ˗

Der Tag war graublau, als sei er nie aus der Dämmerung erwacht. Es regnete in Strömen. Der Regen war so dicht, dass ich die schwarz gekleideten Personen unter den schwarzen Regenschirmen nur verschwommen wahrnahm. Die Worte des Pfarrers drangen nur in Fetzen an mein Ohr. Viel lauter nahm ich das Schluchzen von Russos Freundin wahr, die in den Armen ihrer engsten Vertrauten hing und hinunter auf seinen Sarg starrte. Ich schluckte und wandte meinen Blick ab, ließ ihn über die verwitterten Grabsteine zwischen den dunklen Tannen streifen, die den alten Friedhof zierten. Auf diesem Friedhof lagen zu viele Leute, die ich kannte und die vor ihrer Zeit gestorben waren. Und jetzt Russo. Dieser Mann hatte mich schon als Bodyguard begleitet, als ich als rotzfrecher Halbstarker meine Privatschule auf den Kopf gestellt hatte. Er hatte den Lehrern gut zugeredet, die mich regelmäßig von der Schule hatten schmeißen wollen. Er hatte mir immer den Rücken freigehalten, wenn ich die falschen Leute provoziert hatte. Und nachdem ich Unterboss geworden war, hatte ich mit ihm Seite an Seite zusammengearbeitet. Der Gedanke ließ mich nicht los, dass ich hätte verhindern können, dass er gestorben war, wenn ich nur rechtzeitig gegen die Narcos vorgegangen wäre. 

Erst als Grete neben mir meine Hand drückte, merkte ich, dass ich zitterte. Mein Blick schwenkte zu Luciano, der wie ein Fels in der Brandung in der Menge um das Grab stand. Die Leute hatten sich achtsam um ihn verteilt. Sie standen in seiner Nähe, aber mit gebührendem Abstand. Er warf mir einen Blick zu. Und auch wenn keine Emotionen darin lagen, wusste ich, was er dachte. Wen hätten wir retten können, hätten wir anders gehandelt und andere Entscheidungen getroffen?

Ich machte meine Hand von Gretes los und schlang stattdessen meinen Arm um sie. Ich genoss, wie warm und weich sie war, als ich sie an mich zog. Sie duftete nach ihrem rosa Shampoo. Das, mit der Blumenwiese auf der Verpackung. Sie war meine stetige Erinnerung an die schönen Seiten des Lebens und ich gab mich allzu gern der Illusion hin, einen dauerhaften Platz in ihrem Herzen einnehmen zu können. Sie für immer an meiner Seite haben zu können. Die unschöne Wahrheit war, sie war zu gut für mich. Mein Blick fiel auf ihre verbundene Hand, die sie gegen ihren Bauch hielt, damit sie möglichst mittig unter unserem Regenschirm war und nicht nass wurde. Ich war eine wandelnde Bedrohung für das Leben jeder Person, mit der ich zu tun hatte. Ich verdrängte den Gedanken und konzentrierte mich darauf, dass Grete jetzt hier war, in meinen Armen.

Als mein Aston Martin nach der Beerdigung durch die Regenmassen schnitt, machte Grete das Radio an.

Die Reporterin las mit monotoner Stimme eine Meldung vor: „Der Bekannte Kunstsammler Baron von Falkenstein ist tot auf seinem Anwesen aufgefunden worden. Beim polieren seines Jagdgewehrs hatte sich eine Kugel gelöst, die ihn sofort tötete. Bei der Hausdurchsuchung durch die Polizei wurden zahlreiche gestohlene Gemälde bei ihm gefunden, unter anderem das Rembrandt - Original Christus im Sturm..."

Ich drehte genervt das Radio leise. Auch ohne ihn zu sehen, konnte ich Gretes Blick auf mir spüren. Ihr war offensichtlich bewusst, dass ich dahintersteckte.

„Sag Mal, der Tod dieses Barons-", begann sie.

„Ja, wirklich tragisch.", unterbrach ich sie und drückte etwas fester aufs Gas.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie unruhig mit ihren Händen spielte. Ich seufzte und verlangsamte das Tempo wieder.

„Sowas ist Teil von meinem Leben, Grete. Ich weiß, es stößt dich ab. Und das sollte es auch."

Ich fand mich ja selbst abstoßend. Ich hatte die Schnauze so dermaßen voll von diesem Mafiakrieg. Ich war ein Geschäftsmann und ein Gauner. Ich roch gute Geschäfte aus meilenweiter Entfernung und hatte keine Probleme, dabei unter dem Gesetz durchzuschlüpfen, wie es mir gerade passte. Ich hatte auch kein Problem damit, Leuten, die sich mir in den Weg stellten, Arme und Beine zu brechen. Das gehörte dazu. Aber ich war keine verdammte Killermaschine.

"Du stößt mich nicht ab.", murmelte sie. Ich warf ihr einen Blick zu. Das Verständnisvolle in ihren Augen ließ mein Herz warm werden.

„Ich hoffe, ich kann mich jetzt wieder auf meine üblichen Geschäfte konzentrieren. Immobilien ankaufen, Beamte bestechen, hier und da jemanden erpressen und Dinge mit dir unternehmen.", als ich sie beim letzten Punkt lächeln sah, fuhr ich fort: „Zum Beispiel mit dir schwimmen gehen, diesmal nackt, und dich auf alle erdenklichen Arten durchfi-"

„Matteo!", rief sie mit knallrotem Kopf. Mit verschämtem Blick drückte sie sich in den Beifahrersitz, „Du Perversling."

„Was? Was ist daran pervers, wenn ich dich auf alle erdenklichen Arten durchfüttern, also zum Essen ausführen möchte?", fragte ich. Das war definitiv nicht, was ich ursprünglich hatte sagen wollen und das wussten wir beide. Ich wandte mich leicht von ihr ab, damit sie mein Schmunzeln nicht sah.

Sie schnaubte und schüttelte den Kopf.

„Na klar.", meinte sie.

Ich zwickte ihr in den Oberschenkel. Sofort langte sie zu mir rüber und zwickte mich ebenfalls.

„Man greift den Fahrer nicht an.", tadelte ich hämisch und langte erneut zu ihr rüber, um sie unter ihrer Achsel zu kitzeln, ohne den Blick von der Straße zu wenden.

Kichernd zuckte sie von mir weg.

„Sobald dieses Auto steht, wirst du das bereuen.", prophezeite sie mir mit erhobenem Zeigefinger.

Nachdem ich sie zuhause abgesetzt hatte und eine wilde Grete-Attacke über mich ergehen hatte lassen, fuhr ich gut gelaunt weiter in mein Büro. Meine Arbeit hatte unter dem ganzen Wirrwarr der letzten Tage gelitten und ich konnte nur hoffen, dass meine Mitarbeiter alles alleine gestemmt hatten.

Nachdem ich mich drei Stunden lang durch E-Mails und Telefonate gewühlt hatte, kam Luciano hereinspaziert.

„Ich reise heute ab.", informierte er mich knapp.

Ich nickte und erhob mich.

„War schön, dich mal wieder gesehen zu haben.", erklärte ich, „Trotz der Umstände."

„Ich möchte mit dir noch über Grete reden.", erklärte er dann.

Sofort spannte ich mich an.

„Was ist mit ihr?"

„Sie gehört hier nicht her. Sie gehört nicht in unsere Welt."

„Ich weiß, Luciano. Deswegen war der Plan ja auch, sie gehen zu lassen, nachdem ich die Narcos rausgeworfen habe.", zischte ich.

Seine Worte griffen mich an, obwohl ich wusste, dass sie zu hundert Prozent wahr waren. Grete gehörte nicht in unsere verdorbene Welt. Sie wäre fast von meinen Feinden zu Tode gequält worden, nur, weil sie mit mir in Verbindung stand.

„Dumm nur, dass dank deiner kleinen Suchaktion jeder verdammte Gras-Dealer von hier bis nach New York mitbekommen hat, dass dir diese Frau etwas bedeutet.", fuhr Luciano fort.

„Tja, dann muss sie wohl bei mir bleiben.", erklärte ich.

Er warf mir einen Blick zu, der unmissverständlich klar machte, dass er wusste, wie gut mir der Gedanke gefiel. Mit den Händen in den Hosentaschen schlenderte er zu der Glaswand hinter meinem Schreibtisch und blickte in die Stadt hinunter.

„Es gibt eine Möglichkeit. Eine Möglichkeit wie du sie gehen lassen kannst. Wie sie ihr normales Leben zurückbekommt.", meinte er dann.

Langsam drehte er sich zu mir um. Ich schluckte und mein Kiefer verhärtete sich, als er mich mit regungslosem Gesicht ansah.

„Die Frage ist, bist du bereit dieses Opfer für sie zu bringen."

Mafia 101 - MatteoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt