Kapitel 6 √

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Der halbe Tag war schon rum und ich fühlte mich langsam träge

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Der halbe Tag war schon rum und ich fühlte mich langsam träge. Einfach schlapp. Ich war alleine auf dem Weg zum Speisesaal gewesen, da meine Fächer nach der Freistunde nicht dieselben waren wie von den anderen. Es war bereits einige Zeit seit den Sommerferien vergangen und damit war auch die Aufregung über den Ferientratsch abgeklungen. Deshalb hatte sich schon eine Weile Ruhe breitgemacht. Eine ungewöhnliche Ruhe.

Normalerweise würde ich davon ausgehen, dass die Schülerinnen und Schüler der Cardell Academy einfach erschöpft waren, aber dieses Verhalten schien darauf hinzuweisen, dass gerade etwas im Umlauf war. Keine Krankheit oder Seuche. Na ja... etwas Ähnliches. Gerüchte. Ich konnte einfach nicht den Gedanken loswerden, dass es Tratsch gab, der leise durch die Gänge der Schule schlich und den Geist der Jugendlichen wie ein Parasit befiel.

Ein Schauder überkam mich und ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Es fühlte sich an, als läge eine Spannung in der Luft, die um mich herum kreiste. In meinem Inneren hatte ich das dumpfe Gefühl, dass ich dieses Mal in Verbindung mit einem großen Gerücht stand. Normalerweise war ich nicht in solches Geschwätz eingebunden, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Aber was hatte ich getan, dass ich jetzt finstere und giftige Blicke erntete?

Ich bog in den nächsten Gang ab und machte mich auf den Weg dorthin, wo es einfach war, die Gespräche anderer abzuhören - die Mädchentoilette.

Ich schloss mich in einer der Kabinen ein und wartete einige Minuten, bis die Tür mehrmals geöffnet wurde. Mein Verdacht, dass sich das aktuelle Gerücht um mich drehte, bestätigte sich.

Im Durcheinander der Unterhaltungen konnte ich aufschnappen, dass es um ein Mädchen ging, dessen Freund ausgespannt worden war. Ich war die Affäre. Es war mehr als deutlich, wie ich das erfuhr. Sie bezeichneten mich als die ›Bitch‹, was keine ausreichende Information war. Jeder hätte so genannt werden können, aber sie fügten ein Merkmal hinzu. ›Dieses Flittchen mit den verschiedenen Augenfarben‹. So beleidigten sie mich, um deutlich zu machen, dass sie über mich redeten.

Ich hatte zwei verschiedene Augenfarben, weswegen ich schon in meiner Kindheit viele kuriose Blicke erhielt. Ich habe mich nie wirklich dafür geschämt, dass mein linkes Auge hellblau und das andere blass lila-grau war. Es war nicht so, als hätte ich die freie Wahl über meine biologische Entwicklung gehabt. Für mich war meine Augenfarbe auch normal, solange bis mir in der Schule bewusst wurde, dass ich die Einzige damit war.

Mein Vater hat mir damals immer gesagt, ich solle die anderen Menschen nicht beachten. Meine Augen seien eine Stärke, da sie eine Seltenheit bilden würden, die viele beneideten. Deshalb dürfe ich mich niemals unterkriegen lassen. Besonders, weil sich die Taystens nicht bezwingen ließen.

Das war eine der wenigen Erinnerungen an ihn. Ich konnte nicht zurückrufen, wann das geschehen war. Es war zu lange her.

Meine Eltern sah ich kaum, da sie mit der Arbeit beschäftigt waren. Die Firma musste von jemandem geführt werden, bis ich an der Reihe war. Aber immerhin hatten sie mir etwas gegeben, was sich tief in mir verinnerlicht hatte. Wenn derartige Worte früh eingeprägt wurden, dann kommt man an den Punkt, an dem man es selbst glaubt. Man musste es glauben. Was blieb einem sonst übrig.

More Than You - Cardell Academy I (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt