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Ich lief ihr hinterher und wollte sie fangen.
Sie hatte ein langes Kleid an, welches über den Boden schliff.
„Na los Boris! Was ist los? Fang mich doch!", lachte sie und gerade als ich sie packen wollte, war ich von Flammen umgeben. Feuer.
Ich riss meine Augen auf und hob meine Hand zur Decke.

Immer war sie schneller als ich. Ich konnte sie nicht einholen. Nie konnte ich sie fangen. Nie.

Dieser Albtraum verfolgte mich schon seitdem sie gestorben war. Es sind fast zwei Jahre her.
Ein Jahr. Acht Monate. Dreizehn Tage.
Ihre Kleidung hing noch immer im Schrank, in dem Zimmer, welches ich nicht mehr betrat.
Es war abgesperrt und Dimitri hatte den Schlüssel versteckt. Alles, was mich an sie erinnerte, war in dem Zimmer.
Eine Art Pandoras Büchse.

Ich stand auf und machte das Bett. Als ich fertig im Badezimmer war ging ich runter und begrüßte alle. Es waren viele Leute dazugekommen und mittlerweile hatten die Tschaikovs ihre Hauptbase in Moskau, sie waren mit dem Auto nur noch 2,5 km entfernt. Alles lief gut. Besser als gut. Der Nachtclub expandierte sich und ich hatte die ganze Stadt und mehr in meiner Hand.
Trotzdem fehlte mir Etwas. Jemand.
Ich sagte ihren Namen nicht mehr.

„Die Routen sind leergeräumt und wir haben freie Fahrt. Die Clubs nehmen mehr als genug ein und die Polizei hält wie gewollt noch immer den Ball flach.", fasste Isak zusammen. Obwohl wir jetzt mehr Leute im Clan waren, waren immer noch dieselben Leute in meinem engeren Kreis.

Plötzlich kam ein Anruf, den ich entgegen nehmen musste.
„Was meinst du damit?! Verdammte Scheiße! Euch kann man nicht eine Sekunde alleine lassen!"
„Was ist passiert?", fragten Dimi, Isak, Aleksej und Matja.
„Mitkommen. Sofort. Die anderen machen ihre Routineaufgaben."

„Josip hat angerufen. Zwei Routen wurden übernommen. Unsere Leute dort sind tot aufgefunden worden."

🔫
„Keine Spuren. Unsere Laster mit dem Stoff sind auch weg.", erklärte Vitali.
„Fuck!", fasste ich mir an die Stirn und wir fuhren nach Hause.
Mittlerweile waren nur noch wir fünf und Vito, Viktor und Vitali da. Die Engsten.
„Die Arbeit ruft.", sagte ich und stand auf. Seit zwei Jahren lenkte ich mich so ab. Ich versank neben der Mafia in normaler Arbeit ein. Bürokram.
Ich stieg ins Auto und fuhr zum zentralen Club. Das war der Erste überhaupt. Dort wurde dieser Bastard von Athe-. Wie auch immer, ich hatte Arbeit zu erledigen.

Es waren schon zwei Stunden vergangen, als mein Diensthandy klingelte.

„Hallo Boss. Hier unten wartet Jemand. Er will dich sprechen."
„Sag ihm, ich bin in drei Stunden mit der Arbeit fertig. Wenn er warten will, kann er. Wenn nicht, scheint es nicht so wichtig zu sein."
„Alles klar."
Aufgelegt.
Wie sah ich denn aus? ‚Hier wartet einer' Dass ich nicht lachte. Es klopfte und ohne auf meine Antwort zu warten kam die Kellnerin rein.
„Ich habe ihren Lieblingsdrink." schnurrte sie und fasste an meine Schulter. „Hab ich ‚Reinkommen' gesagt?". Sofort wurde die dumme Kuh nervös und nahm ihre Hand weg. „Zwing mich nicht dazu, dich hier und jetzt zu kündigen. Abmarsch jetzt. Raus hier."

Ich hasste sowas. Widerlich.
Es klopfte an der Tür und sofort hob ich meinen Kopf und sah zur Tür. Noch ging die Tür nicht auf.
„Ja?"
Erst jetzt kam der Türsteher von vorhin wieder rein.
„Er hat einen Zettel hinterlassen."
Dankend nickte ich, als er ihn auf meinen Tisch platzierte und ging.
Ich faltete den kleinen Zettel auf.

она так близко к тебе
Sie ist dir so nah.

Was sollte das? Sofort schossen mir alle möglichen Gedanken in den Kopf. Doch ich durfte nicht daran denken. Bloß nicht.

Wahrscheinlich hatte sich Jemand einen Spaß erlaubt. Ich rätselte nicht länger und schmiss das Papierchen in den Mülleimer, bevor ich mich wieder meiner Arbeit widmete.

🔫
Nachdem alles erledigt war, ging ich noch eine Runde durch die belebte Stadt spazieren. Ich hatte ein weißes Hemd und Anzughosen an, denn es war eine dieser warmen Augustnächte. Mein Blick blieb an einem Pärchen hängen. Er kniete sich gerade vor sie hin.
„Ты выйдешь за меня?"
Willst du mich heiraten?
„Да!", antwortete sie und umarmte ihn.

Ich griff mir an die Brust und merkte, wie sehr sie mir eigentlich fehlte.
Ich ließ ein Grab für sie errichten. Neben ihren Eltern. Ich besuchte sie eigentlich regelmäßig, doch seit Monaten traute ich mich nicht mehr hin. Keine Ahnung wieso. Ich wusste es nicht. Es war nur ein Grabstein, denn die Genugtuung, wenigstens ihre Leiche zu haben, war mir nicht vergönnt.

Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dies war meine Strafe Gottes. Alle Leben die ich ruiniert hatte und nahm, das wurde mir Stück für Stück zurückgezahlt. Es vergeht kein Tag, an dem ich es nicht bereue, ihr misstraut zu haben. Und ihre Augen, ihre Augen würde ich nie vergessen. So grün. Giftgrün. Plötzlich stieß Etwas oder besser gesagt Jemand, gegen mich.
„Lana, was sagt man da?", fragte die Frau das kleine Mädchen.
„...Мне жаль.", entschuldigte sich die Kleine.
Ich lächelte das Mädchen an und sagte, dass es kein Problem wäre.

„Hier.", sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. Ich hatte Traubenzucker mit. Seitdem ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, nahm ich Traubenzucker als Ersatz.
„Wow, darf ich das nehmen, Atti?", fragte sie ihre Mutter.
„Bedank dich bei dem netten Herren.
Eine sehr angenehme Stimme. Ich wollte nicht zu ihr sehen.
„Dankeschön."
Ich lachte und wollte gerade gehen, doch irgendwie konnte ich nicht. Als ich mich zu den beiden umdrehte, waren sie schon weg. Komisch. Um diese Uhrzeit mit seinem Kind noch unterwegs zu sein.

Der Spitzname kam mir auch bekannt vor. Komisch.

🔫
Als ich mit dem Rauchen aufhörte, ließ ich den Alkohol eigentlich auch weg, aber heute gönnte ich mir einen Schluck.
Die Stimme dieser Frau hallte in meinem Kopf und ich bereute nun, dass ich sie nicht wenigstens ansah.
Seit ihrem Tod hatte ich Frauen nichtmal angesehen, geschweige denn mit ihnen geredet. Außer dem Personal, versteht sich.

Als ich den Schrank mit dem Liquor öffnete, sah ich den Schlüssel. Mein Blick fror kurz ein und ich griff kurz danach, nur um ihn in der gleichen Sekunde wieder loszulassen.
Ich trank zwei Gläser Whisky und wollte gerade durch die Tür raus, als ich zum Schrank lief und den Schlüssel nahm. Schnell ging ich zu unserem Zimmer und schob den Schlüssel in das Schlüsselloch. Langsam drehte ich ihn und hörte das Klicken. Monatelang war ich hier nicht mehr drinnen. Es roch immer noch nach ihr. Nach uns.

Ich griff in meine Hosentasche und holte mein Portemonnaie raus. Das hatte ich noch behalten. Unser einziges Bild zusammen.
Fuck. Es kam alles wieder zurück. Alles.
Ich stand auf und ging etwas raus. Ich fuhr in die Stadt. Ich liebte Moskau früher. Sie nahm mir die Möglichkeit, überhaupt irgendetwas zu lieben, geschweige denn zu genießen.

🔫

„Was soll das, Boris?!", weckte mich Dimitri und ich sah ihn verschlafen an.
Ich lag in unserem Bett, da bin ich dann wohl eingeschlafen.
„Ich dachte du hast es endlich hinter dir, hast sie vergessen."
„Dimitri. Ich werde sie niemals vergessen können.", antwortete ich und schob ihn zur Seite, damit ich vorbei konnte. Nachdem ich mich im Bad zurecht gemacht hatte, ging ich auch schon in den Nachtclub und setzte mich ins Büro.

Nach der Arbeit fuhr ich an dem Haus von Georgiev vorbei. Ich baute fast einen Unfall. Da stand ein Haus. Ein riesiges Haus.
Ich fuhr seit der Explosion nicht mehr vorbei, doch trotzdem wäre mir ein Haus aufgefallen.
Ich parkte sofort und griff nach meiner Waffe, entsicherte sie auch gleich.

Vorsichtig und leise öffnete ich die Tür. Drinnen war alles hell gehalten, ähnlich wie bei uns. Es sah aus, als ob drinnen keiner wohnte, so unberührt sah es aus. Es hatte sogar einen ähnlichen Bau und Umriss wie Unseres. Das war komisch. Gerade als ich das Wohnzimmer betrat, hörte ich ein leises Knistern. Der Kamin? Es war doch August.

„Du hast lange gebraucht, Aleksandrov."
Eine dunkle Silhouette stand bei dem Kamin und sofort zielte ich.
„Dreh dich langsam um. Ich will die Hände sehen."
Ich hörte ein Klicken und die Person zielte auf mich.
„Boris dein Name. Habe ich Recht?", fragte dieser Jemand.

Ich erkannte die Stimme.
Diese Frau.
Diese Augen.
Ihr Geruch und ihre Art.
Die Redensweise.
Athena.

Assassin youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt