Erdiger Geruch lag in der Luft, gemischt mit dem Duft der Tannennadeln und einem Hauch Harz. Blätter raschelten im Wind und das Knacken von Ästen war zu hören. In der Ferne zwitscherten Vögel aufgebracht.
Ich spürte unter mir die Kälte des Felsens, auf dem ich kniete. Mit Pfeil und Bogen in meinen Händen visierte ich das Reh auf der etwas entfernten Lichtung an.
Eines der Vielen. Diesen Sommer hatten sich die Rehe ganz schön vermehrt und setzten dem Wald übel zu; fraßen junge Bäume und die Fleischfresser des Waldes kamen nicht hinterher. Das war der Grund, warum ich beschlossen hatte, jagen zu gehen. Aber auch um Fleischvorräte für den bald schon kommenden Winter zu schießen.
Ich atmete tief durch. „Volle Konzentration", sagte ich mir. Äußerlich wirkte ich gefasst und ruhig. So weit hatte ich meine innere Unruhe in solchen Situationen im Griff. Obwohl mein Herz wie verrückt pochte, wusste ich doch, dass ich bei der Jagd mit Pfeil und Bogen nicht zögern durfte. Dadurch würde ich nur Gefahr laufen, den Pfeil zu verschießen und meine Beute nur zu verletzten. Nicht zu töten. Ein verletztes Reh, das sich quält und durch den Wald läuft, wollte ich um jeden Preis vermeiden. Es wäre ein noch qualvollerer Tod, dem ich dem Reh ersparen wollte.
Doch trotz der Jahrelangen Erfahrung, drückte sich mir jedes Mals mein schlechtes Gewissen auf. Das bekam ich einfach nicht in den Griff...
War es wirklich okay, dieses ahnungslose Lebewesen zu töten? Nur, weil es „zu viel" war? Weil ich Essen für den Winter brauchte? Immer wieder stellte ich mir diese Fragen. Doch bis heute habe ich darauf keine Antwort gefunden.
Ich wurde aus meinen Gewissensfragen gerissen, als ich bemerkte, wie sehr sich meine innere Unruhe doch schon auf meinen Körper übertragen hatte. Meine Hände zitterten. Ein Zeichen dafür, mich endlich zu beruhigen. Meinen Atem zu kontrollieren und zur Ruhe zu kommen. „Volle Konzentration und Fokus auf die Beute", rief ich mir erneut ins Gedächtnis. Immer noch graste das Reh ahnungslos auf der Lichtung.
Bevor erneut Zweifel in mir aufkommen konnten, visierte ich es wieder an. Spannte die Sehne meines Bogens. Doch ehe ich den Pfeil los ließ, atmete ich noch einmal innerlich tief durch. Nur um Augenblickte später von einem markerschütternden Gebrüll so aus der Konzentration gerissen zu werden, dass ich den Bogen verriss. Der Pfeil schnellte durch die Luft und rammte sich in den Baumstamm direkt neben dem Reh.
Aufgeschreckt von dem Lärm, und wohl auch zusätzlich durch den Pfeil, ergriff es die Flucht ins Unterholz. „So ein Dreck." Genervt stöhnte ich auf. Jagen fiel mir zwar nicht immer leicht. Doch aus der Konzentration gerissen zu werden und einen Pfeil zu verschießen mochte ich tatsächlich noch weniger. Ich rappelte mich geschwind auf und sprang von dem Felsen. Das Gebrüll begleitete mich während ich rüber zur Lichtung lief, um meinen verschossenen Pfeil wieder einzusammeln.
„Wohl ein Bär", überlegte ich dabei. „So wie sich das anhört ist der ganz in der..." Ich konnte meinen Gedanken nicht zu Ende denken, denn ich erstarrte förmlich, als ich einen Schritt auf die Lichtung machte und mich umsah. Das Gebrüll, es war wirklich ein Bär, war näher als zunächst angenommen. Nur wenige Schritte von der Lichtung entfernt, etwas tiefer im Unterholz, kämpfte ein Bär gegen etwas. Oder besser jemanden. Genauer mit einer Frau, wie ich erschrocken feststellen musste.
Aus Reflex und vor lauter Angst, auch von dem Bären bemerkt zu werden, ließ ich meinen Pfeil erst einmal in dem Baum stecken und versteckte mich hinter dem selbigen.
Vorsichtig lugte ich hervor und beobachtete den mir dargebotenen, angsteinflößenden Anblick.
„Ob die Frau Hilfe braucht?", fragte ich mich und war gerade im Begriff nach einem weiterten Pfeil in meinem Köcher zu greifen. Doch als ich diesen gerade spannen wollte, realisierte ich, dass es eher der Bär war, der Hilfe bräuchte. Diese Frau, ihre rötlichen Haare wirkten eher wie die Mähne eines Löwen, nahm es allen Ersten mit bloßen Händen gegen einen ausgewachsenen Bären auf. Sie war aber auch Alles andere als zierlich gebaut. Selbst von meinem Standpunkt aus konnte ich ihren muskulösen Körper ausmachen. Aber dennoch...
„Zum Fürchten", murmelte ich und schüttelte mich vor den ganzen kalten Schauern, die mir dieser Anblick den Rücken runter jagte. „Da misch ich mich bestimmt nicht ein. Hab weder Lust, von dem Bären oder gar von der Frau danach in Stücke gerissen zu werden. Ich hole einfach meinen Pfeil und sehe schleunigst zu, dass ich von hier weg komme. Jage ich eben wo anders."
Ich griff nach dem Pfeil und wollte ihn aus dem Baumstamm heraus ziehen. Doch er hatte sich zu tief ins Holz gebohrt. Ich bekam ihn nicht auf Anhieb heraus. Ich zog und riss daran herum. Versuchte mich zu beeilen und dabei so wenig Lärm wie möglich zu machen – ich wollte nicht zwingend entdeckt werden...
Endlich lockerte sich der Pfeil ein wenig. Mit einem erneuten kräftigen Ziehen dachte ich eigentlich, dass ich ihn damit hätte. Umso überraschter war ich, dass der Pfeil immer noch zu tief steckte. Das Einzige was passierte, war, dass ich abrutschte, den Halt auf dem mit Laub bedeckten Boden verlor. Ein erschrockener Aufschrei entwich mir, als ich auf meinen Hintern plumpste. Hinter mir verstummte das Gebrüll in diesem Moment.
„Verdammt", fluchte ich in Gedanken. „Die haben mich bemerkt." Ich schloss schon gedanklich mit meinen Leben ab, weil ich erwartete von einem Bären zertrampel zu werden. Doch das blieb aus. Die schweren Schritte, die ich dem Bären zuordnete, entfernten sich schnell von der Lichtung. Stattdessen hörte ich hinter mir andere Schritte, die auf mich zu kamen.
„Die gruselige Frau", schoss es mir durch den Kopf. „Die macht mit mir kurzen Prozess. Warum hätte sich nicht der Bär zu mir flüchten können?"
„Hey,Rehlein", hörte ich nun eine laute Stimme hinter mir. Sie klang rau undkräftig. Die Stimme musste zu der Frau gehören, was sie für mich nochunheimlicher erscheinen ließ. Ich schluckte und blickte langsam über mich. Natürlichmusste ich Recht behalten, denn die rothaarige Frau stand nun direkt über mir.Ihre kurzen, buschigen Augenbrauen hatte sie in Zorn zusammen gezogen. Genausowie ihre Augen, die mit rötlicher Farbe umrandet waren, die vor allem denäußeren Augenwinkel betonte. Ihr Blickwar düster und verhieß nichts Gutes. Zudem spürte ich ihr Mana auflodern, alssie sich nun vor mir aufbaute. „Hey, Rehlein. Was glaubst du, tust du hier? Duhast mich gerade um meine Beute gebracht."
DU LIEST GERADE
Faws Rising
FanfictionOC Fawn hat eigentlich genug damit zu tun, ihren Wald vor Wilderern zu verteidigen, die seit kurzem vermehrt für gutes Geld auf dem Schwarzmarkt Tiere töten. Vor allem Fleischfresser, wie Wölfe deren Fell in diesem Bereich des Waldes einen silbrigen...