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- Paddy's Sicht -

Um mich herum nur Dunkelheit. Wie durch Nebel kann ich leise Geräusche hören. Ein monotones Piepen und Brummen. Aber noch etwas anderes. Ich kann es nur nicht zuordnen. Gleichzeitig durchströmt mich eine Wärme, die ich sonst nur bei Merle gespürt habe. Jemand berührt meine Hand. Sofort kommt mir Merle in den Sinn. Merle. Sie kam völlig unverhofft in mein Leben, hat es auf den Kopf gestellt, mir dann mein Herz geklaut und ist mit einem lauten Knall wieder aus meinem Leben verschwunden. Aber die Chance, dass ausgerechnet sie hier ist, ist gering, wenn nicht sogar unwahrscheinlich.

Langsam lichtet sich der Nebel in meinem Kopf und die Dunkelheit verschwindet. Damit werden die Geräusche immer klarer. Die Person, die hier ist, scheint zu weinen. Aber warum? Und wo bin ich überhaupt? Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch es will mir einfach nicht gelingen. Immer wieder versuche ich, der Dunkelheit endgültig zu entkommen.

Dann trifft es mich wie ein Blitz. Ich höre Merle's Stimme. Sie spricht mit mir. Irgendwas von alles ist gut und ich soll ruhig atmen. Sie ist bei mir.

Endlich schaffe ich es, meine Augen für einen Bruchteil einer Sekunde zu öffnen und kann tatsächlich Merle erkennen, die meine Hand hält.

Im nächsten Moment wird es laut und hektisch. Mehrere Personen kommen zu mir. Ein Mann spricht mit mir oder doch mit Merle? Er sagt irgendwas von Aufwachphase. Dann höre ich meinen Namen. Die Person spricht so schnell, dass ich ihr nicht folgen kann. Ich vernehme immer nur Wortfetzen. Einer davon ist Beatmungsschlauch. Bin ich etwa im Krankenhaus? Was ist passiert?

Automatisch greife ich die Hand, die in meiner liegt, fester. Sofort spüre ich, dass jemand, vielleicht immernoch Merle, meine Hand ebenfalls fester umgreift und darüber streicht.

Wieder höre ich meinen Namen. Ruhig atmen, nicht in Panik verfallen. Kann unangenehm werden. Was geht hier vor sich? Dann wird irgendwas aus meinem Gesicht gelöst und schon spüre ich, dass sich in meinem Hals etwas bewegt. Ich spüre einen dumpfen Schmerz, während der Gegenstand scheinbar aus meinem Hals gezogen wird.

Vorsichtig öffne ich meine Augen. Vor mir steht ein Mann im weißen Kittel, definitiv ein Arzt, daneben Krankenschwestern. Und dann sehe ich Merle. Sie steht wirklich hier. Sie wirkt nervös.

Der Arzt redet wieder mit mir, doch ich kann mich nur auf Merle konzentrieren. Was ist passiert und warum ist sie hier?

Der Arzt erklärt, was passiert ist. Alkoholvergiftung, Magen ausgepumpt und sediert. Und dann sagt er doch tatsächlich, dass mir meine Verlobte?! alles erklären kann. Was geht denn hier ab?

Ganz langsam kommen schemenhaft meine Erinnerungen zurück.

Der Arzt und die Krankenschwestern sind gegangen, Merle steht noch immer da. Sie scheint nicht zu wissen, was sie tun soll.

Mit einem mal sind alle meine Erinnerungen wieder präsent. Ich war bei Merle, wollte ihr erklären, was es mit dem Strafverfahren gegen mich auf sich hat. Und ich wollte ihr sagen, dass ich Gefühle für sie habe. Doch sie wollte das nicht hören. Hat gesagt, dass es mit uns nicht funktionieren würde. Und das, obwohl sie auch Gefühle für mich hat. Das tat weh. Ich bin in die nächste Kneipe und habe mich besinnungslos betrunken. Das Ergebnis ist, dass ich jetzt hier im Krankenhaus liege. Aber ich weiß trotzdem noch immer nicht, warum ausgerechnet Merle hier ist.

Nach ein paar Minuten des Schweigens will ich von Merle wissen, was hier abgeht. So beginne ich das Gespräch. Merle's Reaktion ist überrascht und ängstlich zugleich. Sofort schießen meine Fragen und Gedanken aus mir raus. Als Merle dann noch eher unfreiwillig sagt, dass sie sich wünschen würde, dass ich von Mittwoch nichts mehr weiß, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich muss einfach wissen, was sie von mir will. Hätte ich das mal lieber nicht gefragt, denn mit ihrer Antwort sticht sie gleich wieder messerscharf in mein Herz. So wie es sich anhört, ist sie nicht freiwillig hier, sondern wurde von Katja gezwungen. Na schönen Dank auch.

Sie wollte gerade gehen, doch so schnell gebe ich jetzt nicht auf. Immerhin ist sie ja hier. Ich kann ihr also nicht völlig egal sein. Also frage ich weiter. Auch auf die Gefahr hin, dass sie wieder ausrastet und ich es nur noch schlimmer mache. Aber ich glaube ihr nach wie vor nicht, dass es für uns keine Chance gibt. Wenn sie es ernst meinen würde, warum ist sie hier? Warum geht es ihr so schlecht, dass sie hier sitzt und weint. Und sie sie auch so schlecht aus. Als hätte sie letzte Nacht nicht geschlafen.

Ich habe nicht mit ihrer Antwort gerechnet. Ich dachte, sie geht wirklich oder lügt mich mit einer Ausrede an. Umso überraschter bin ich von ihrer Antwort.

Ja, sie hat mich verletzt. Aber ich kann nicht sauer oder wütend auf sie sein. Auch wenn ich es vielleicht sollte. Im Gegenteil, bin ich froh, dass sie einsieht, überreagiert zu haben.

Meine Gedanken überschlagen sich und so verfalle ich in englische. Ich muss ihr einfach sagen, was ich will und dass ich ebenfalls Gefühle für dich habe.

Vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihr aus. Sie zögert einen Augenblick, bevor sie mit zitternden Fingern meine Hand umgreift und zurück zu mir ans Bett kommt.

Eine Weile sitzen wir einfach nur schweigend da, aber das Schweigen ist keinesfalls peinlich. Es tut gut, sie hier neben mir sitzen zu haben. Ich merke aber auch, wie sich Müdigkeit breit macht. Immer wieder fallen mir die Augen zu. Irgendwann verabschiedet Merle sich von mir. "Kommst du morgen wieder?" Kaum waren meine Worte ausgesprochen, bin ich endgültig eingeschlafen. Ihre Antwort habe ich nicht mehr mitbekommen.

Erst am nächsten Morgen werde ich wach, als eine Krankenschwester mich weckt. Sie kontrolliert die Geräte, an denen ich angeschlossen bin und teilt mit, dass der Arzt gleich zu mir kommen würde.

Der jedoch ließ sich erst einige Zeit später blicken. Nach einem kurzen Check meiner Werte und kurzem Gespräch teilt dieser mir mit, dass jetzt noch einmal Blut abgenommen wird und wenn die Werte stimmen, könnte ich nach Hause.

So liege ich hier rum und warte. Auf die Ergebnisse, auf meine Entlassung aber vor allem auf Merle. Dass sie hier jetzt auftaucht ist unwahrscheinlich, sie müsste arbeiten sein.

Nach einer Ewigkeit kommt wieder eine Krankenschwester und entfernt die Geräte. Nebenbei erwähnt sie, dass ich entlassen werde. Es sei soweit alles in Ordnung. Dann hebt sie die Decke an und schiebt das Krankenhaushemd ein wenig nach oben. Oh Gott, was macht sie denn jetzt? Die Situation ist mir total unangenehm. Kurz schaue ich nach, was sie machen will, als mich ein kurzer Schmerz durchströmt. Okay was war das?! "Herr Kelly ruhig weiter atmen. Der Schmerz lässt sofort nach. Ich habe Ihnen den Blasenkatheter gezogen. Jetzt sind Sie wieder frei. In der Tasche sind frische Sachen für Sie. Ich helfe Ihnen noch, sich aufzusetzen". Blasenkatheter? Es wird ja immer schlimmer. Und in dem Zustand hat Merle mich gesehen.

Kurze Zeit später sitze ich auf der Bettkante, bereit, mir die frischen Sachen anzuziehen und endlich nach Hause zu gehen.

Auf dem Weg nach Hause entscheide ich mich jedoch anders und nenne dem Taxifahrer die Adresse der Kanzlei, in der Merle arbeitet.

Ich hoffe inständig, dass die da ist. Theoretisch dürfte sie gleich Mittagspause haben.

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