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Nach einigen weiteren Ouzo beschlossen wir, eher gesagt, Katja und Christian, dass wir noch in eine Bar gehen. Ich lehne dies ab aber die 3 ziehen mich wortwörtlich hinter sich her, sodass ich kurze Zeit später in einer Bar sitze und einen Cocktail vor mir stehen habe.

Wie auch schon den ganzen Tag über treffen mich immer wieder Paddy's Blicke. Leider bin ich auch nicht besser und blicke immer wieder zu ihm. Dabei streiche ich wie automatisch über mein Tattoo, was auch Paddy bemerkt und zum dritten Mal heute seine Hand auf meine legt und diese wegschiebt, damit er mit seinen Fingern sanft über mein Tattoo streichen kann. Wieder entflammt das Feuerwerk in mir. Als ich aufsehe, treffen sich unsere Blicke. Kurz versinke ich in seinen unendlich schönen blauen Augen. Ich wünschte mir, ich könnte diesen Moment für immer festhalten. Was geschieht hier gerade?

Katja und Christian sind so mit sich selbst beschäftigt, dass die beiden gar nicht reagieren, als Paddy ihnen sagt, dass wir noch eine Runde spazieren gehen und dann nach Hause. Also verlassen nur Paddy und ich die gut gefüllte Bar.

Draußen vor der Tür überkommt mich dann doch wieder die Nervosität und Panik. Paddy und ich allein. Das kann ja nur peinlich werden für mich. Schließlich kriege ich in seiner Gegenwart keinen Ton raus.

"Bist du startklar?" holt Paddy mich aus meinen Gedanken. Als Antwort nicke ich einfach nur und schweigend gehen wir los.

Einige Minuten laufen wir schweigend nebeneinander und immer wieder blickt Paddy zu mir. "Du bist so wunderschön, Merle. Ich würde dich so gerne näher kennenlernen. Warum wehrst du dich so dagegen?" bricht Paddy letztlich das Schweigen. In meinem Kopf beginnt es zu arbeiten. Was antworte ich darauf? Wieder ganz automatisch streiche ich über mein Tattoo. Diese Geste hat Paddy bemerkt, was er wohl von mir denkt. "Was hat das Tattoo für eine Bedeutung? Es scheint dir viel zu bedeuten." spricht Paddy seine nächste Frage aus. Was mache ich jetzt? Schweigend davon laufen? Die Wahrheit sagen oder Paddy anlügen? Alles fühlt sich so falsch an und doch irgendwie richtig, um aus dieser unangenehmen Situation zu entkommen.

Seufzend bleibe ich stehen und Paddy sieht mich fragend an. "Ich also nunja ich weiß nicht, wie ich dir meine Situation erklären soll, ohne, dass du mich für verrückt hälst" flüstere ich leise, doch Paddy scheint jedes Wort verstanden zu haben. "Erzähl mir einfach die Wahrheit, das was dir gerade durch den Kopf geht." Zaghaft nicke ich, doch kann und vor allem will ich Paddy einen Teil meiner Vergangenheit erzählen? Wie wird er reagieren?

Wir setzen uns in einen Park auf eine Bank, über uns strahlen die Sterne. Eigentlich ist dieser Moment zu schön, um meine nicht gerade schöne Vergangenheit zu erzählen.

Ich atme noch einmal tief ein bevor ich anfange zu erzählen.

"Meine Eltern starben, als ich 14 war. Ich bin dann zu meinen Großeltern gezogen. Mein Opa starb nur 2 Jahre später. Die Zeit danach mit meiner Oma war schwierig. Wir haben uns nicht so gut verstanden. Umso wichtiger waren meine Freunde für mich, insbesondere meine beste Freundin, sie kannte ich schon mein ganzes Leben, wir sind zusammen aufgewachsen. Auch mein Exfreund war eine große Stütze für mich. Mit ihm war ich seit meinem 16. Lebensjahr zusammen. Mit 18 bin ich dann mit ihm zusammen gezogen, da veränderte sich etwas an ihm. Am Anfang dachte ich mir nichts dabei. 2012 nahm meine beste Freundin sich das Leben mit gerade einmal 20 Jahren. Mit ihrem Tod ist auch ein Teil von mir gestorben. Ich hatte niemanden mehr, der sich wirklich für mich interessiert, mit dem ich reden konnte. Ich bin mit ihrem Tod nicht klar gekommen. Es hat mich völlig zerstört. Mein Exfreund hat das nicht verstanden. Trost habe ich in dieser Zeit in der Musik gefunden, sie gab mir die Kraft, morgens aufzustehen und den Tag zu meistern. Ich hörte nur eine Band und von dieser fast immer die gleichen Songs. Irgendwann war mein Exfreund davon so genervt, dass er mir verboten hat, in seiner Gegenwart Musik zu hören. So lief das etwas mehr als ein Jahr. Dann war auch schon der erste Todestag meiner Freundin und all die Wunden, die bis dato zu heilen schienen, waren mehr denn je offen. Alles fing von vorne an. Bis ich eines Tages einfach nicht mehr konnte. Mein Exfreund hat mich nur kritisiert und schlecht gemacht, auf der Arbeit gab es Stress und ich war einfach unglücklich. Also stieg ich ins Auto und hörte Musik eines Künstlers, der mich sehr inspiriert und den ich bewundere. Auch seine Musik half mir in den dunkelsten Stunden. Ich fuhr zu dem Platz, an dem meine Freundin und ich uns immer getroffen haben. Dort angekommen, hörte ich von meiner Lieblingsband ein Lied, welches Leo und ich so oft gehört haben. Wir liebten diesen Song. Die Stimmen der Sänger beruhigten mich und ich war bereit, ebenfalls zu sterben. Das Messer hatte  ich schon an meinem linken Handgelenk angesetzt, doch ich konnte einfach nicht weitermachen. Ich konnte nicht. Ein paar Minuten saß ich so da, mit dem Messer an meiner Pulsader, der Song lief in Dauerschleife und meine Tränen in Bächen mein Gesicht herunter. Aber ich konnte einfach nicht den letzten Schritt gehen. Wie in Trance bin ich nach einer Weile zurück zu meinem Auto gegangen und als ich dieses startete, hörte ich ein Lied von meinem Lieblingskünstler, was passender nicht hätte sein können. In diesem Lied singt der Künstler über diese Situation, in der ich einige Minuten zuvor noch war." An dieser Stelle schaue ich das erste Mal wieder zu Paddy, der mich mit geschocktem, dennoch warmen Augen ansieht und dabei über mein Tattoo streicht. Ich glaube, er weiß, welches Lied von welchem Künstler ich meine, auch ohne dass ich die Namen genannt habe. "Hope, du meinst den Song von mir? Dafür steht das Tattoo?" will Paddy von mir wissen. Ich kann deinen Blick nicht deuten. Irgendwie ist darin Schmerz zu finden, zeitgleich aber auch Verwirrung und auch ein bisschen Freude und Stolz. "In dieser Nacht hatte ich irre Alpträume und dann plötzlich das Lied im Ohr. Ich bin gleich morgens in ein Tattoostudio gefahren und habe mir dann das Tattoo stechen lassen. Als Erinnerung an mich selbst, dass es immer Hoffnung gibt, auch wenn sie so zart wie Schmetterlinge sind. Hoffnung begleitet uns immer, jeden Tag, in jeder Situation. Und ja, das Wort Hope ist inspiriert durch deinen Song." Nun ist es raus. Ich habe mich soeben als Fan geoutet. "Wenn du von deinem Lieblingskünstler sprichst, dann sprichst du von mir?" Paddy's Blick geht tief in meine Augen bei der Frage. Als Antwort nicke ich nur und ein leichtes Lächeln umgibt seine Mundwinkel. "Dann schlussfolgere ich auch richtig, dass deine Lieblingsband The Kelly Family ist und der Song von ihnen war?" will Paddy weiter wissen. Wieder nicke ich nur als Antwort. "Und das Lied, welches du gehört hast, war An Angel?" kommt die nächste Frage. Diesesmal schüttel ich den Kopf. Jetzt sieht Paddy mich verwirrt an. "Nein, es war nicht An Angel, sondern I can't help myself." Kurz schaut Paddy mich noch verwirrt an, ehe er in schallended Gelächter ausbricht. Was bitte ist daran so lustig? Gerade als ich ihn das fragen will, antwortet Paddy. "Das hätte ich nicht gedacht. Du sagst, ich bin dein Lieblingskünstler, ich war bestimmt auch dein Schwarm bei den Kelly's, du trägst ein Tattoo, welches durch meinen Song inspiriert ist und in dem Moment, wo du eigentlich sterben wolltest, hörst du ein Lied von Angelo? Das ist echt crazy." spricht Paddy weiter. Ich brauche einen Moment, um das gerade geschehene zu verarbeiten. Ich offenbare mich Paddy gegenüber, oute mich als Fan und er macht sich darüber lustig? Ich finde das absolut nicht lustig und bereue es, überhaupt mit ihm geredet zu haben. Was glaubt er eigentlich, wer er ist?

"Schön, dass du dich darüber so amüsierst, ich finde das nicht ansatzweise lustig. Warum habe ich dir überhaupt irgendwas erzählt. Ich hätte einfach meine Klappe halten sollen" entgegne ich Paddy wütend und stehe dabei auf um nach Hause zu gehen. Nach ein paar Schritten drehe ich mich um. Paddy sitzt wie versteinert auf der Bank, unschlüssig, wie er reagieren soll. "Du bist echt ein Arschloch Michael Patrick Kelly, ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet" rufe ich ihm noch zu, bevor ich mich umdrehe und endgültig nach Hause gehe.

"Merle bitte warte, es tut mir leid. Bitte bleib stehen, ich möchte mich entschuldigen".

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