18.

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Nach einer weiteren schlaflosen Nacht quäle ich mich wieder ins Büro.

Das Gespräch gestern mit Paddy war  irgendwie komisch. Was ist das mit uns? Wenn seine Aussage stimmt, hat er Gefühle für mich. Gründe, seine Aussage anzuzweifeln gibt es eigentlich nicht. Tja, und dann gibt es mich. Dramaqueen höchstpersönlich. Anstatt einfach den Moment zu genießen und schauen, wo es uns hinführt, zerdenke ich alles und blocke ab, ohne es je versucht zu haben. Eigentlich sollte ich glücklich darüber sein, dass Paddy mich oder ein uns noch nicht aufgegeben hat. Aber schon wieder sitze ich hier und meine Gedanken schreien mich an. Dabei ist es so einfach. Ich will Paddy und er mich. Alles andere würde sich ergeben.

Ich hatte mir mit dem Neuanfang in Berlin vorgenommen, eben genau diese schlechte Angewohnheit abzulegen und einfach den Moment zu genießen, das Leben einfach leben. Und schon nach kürzester Zeit bin ich gescheitert.

"Merle, auf was wartest du denn noch, wir haben Pause". Durch Katja's Worte schrecke ich zusammen. Ich hab total die Zeit vergessen. Habe ich heute überhaupt schon eine Akte bearbeitet?

Ich greife nach meiner Tasche und verlasse mit Katja das Büro Richtung Treppenhaus.

"Also irgendwas hast du, spuck es aus!" Ich wollte gerade anfangen zu erzählen, als ich wie versteinert stehen bleibe. Unten am Fahrstuhl steht Paddy. Auch Katja ist stehen geblieben und hat Paddy ebenfalls gesehen. "Wusste ich es, dein Problem hat mit Mr. Superstar zu tun. Deine Chance, los geh zu ihm hin und redet endlich!" Dann stehe ich auch schon vor ihm.

"Oh hi Paddy, was machst du denn hier?" wird er von Katja begrüßt. "Hey ihr Zwei, ich wollte zu euch und euch auf einen Kaffee einladen." Flehend sehe ich zu Katja, in der Hoffnung, dass sie mich jetzt nicht alleine lässt. "Sehr nett von dir aber ich lasse euch Zwei Hübschen mal alleine Kaffee trinken gehen." und damit ist Katja verschwunden.

Okay ganz ruhig bleiben. "Ähm ja, komm, gegenüber ist ein Café, da können wir hingehen".

"Ich wollte dich eben im Büro nicht so überfallen, tut mir leid." "Ist doch nicht schlimm, ich war nur überrascht, dich zu sehen. Hätte gedacht, dass du länger im Krankenhaus bleiben musst. Schön zu sehen, dass es dir wieder besser geht."

Unsere Bestellung wird serviert und es macht sich eine peinliche Stille breit. Mein Kopf ist so voll, doch gleichzeitig auch so leer, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll.

"Paddy ich... ähm... es tut mir Leid. Ich  weiß, habe ich schon einmal gesagt. Aber ich meine es auch so. Ich wollte nicht, dass du meinetwegen im Krankenhaus landest und es dir schlecht geht." Zaghaft lächelt Paddy mich an und greift nach meiner Hand. "Mach dir deswegen keinen Kopf. Es war einzig und alleine meine Schuld. Schließlich hab ich ja den Alkohol getrunken und mich so daneben aufgeführt, dass mich die Ärzte ruhig stellen mussten." "Ich fühle mich trotzdem schlecht. Der Auslöser dafür war nunmal ich." "Merle, kannst du mir einen Gefallen tun?" fragend sieht Paddy mich an. Nicht sicher, was jetzt kommt, nicke ich zaghaft. "Mittwoch Abend ist total scheiße gelaufen. Wir können uns jetzt ewig dafür die Schuld zuschustern oder du an deinem schlechtem Gewissen eingehen. Lass uns diesen Abend einfach abhaken. Wir können es nicht ungeschehen machen, nur daraus lernen und es in Zukunft besser machen. Also ist der Abend jetzt Geschichte?"

Paddy's Worte beeindrucken mich. Was bitte ist das für ein toller Mensch? Er hätte jeden Grund, den Kontakt zu mir abzubrechen. Dies tut er entgegen jeder Vernunft nicht, im Gegenteil, er gibt mir noch eine Chance.

Paddy's nervöser Blick ruht auf mir. "Weist du eigentlich, dass du so ein toller Mensch bist? Ich meine, du hättest jeden Grund, den Kontakt zu mir abzubrechen. Das tust du nicht. Eher im Gegenteil. Du gibst mir noch eine Chance, und das, obwohl ich so kompliziert bin und..." Ich kann meinen Satz nicht beenden, denn Paddy steht auf und zieht mich in seine Arme. Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, während Paddy sein Gesicht in meinen Haaren vergräbt. Er drückt mich so fest es geht, an sich ran.

"Merle, das was ich bislang von dir kennenlernen durfte, hat mich beeindruckt. Du bist eine starke Frau. Und ich möchte mehr von dir kennen lernen. Alle deine Stärken und Schwächen. Deine Träume und Ängste. Verstehst du? Ich will dich nicht mehr in meinem Leben missen".

Bei seinen Worten geht mir das Herz auf. Eigentlich ist es genau das, was ich auch will. Und doch stehe ich mir immernoch selber im Weg. Er scheint dies zu merken, denn er löst die Umarmung und schaut mich skeptisch an.

"Bitte, lass mich an deinen Ängsten und Zweifeln teilhaben. Sprich mit mir darüber. Wenn nicht jetzt, dann später. Wirklich Merle, du kannst mich zu jeder Tages-und Nachtzeit wegen jeder noch so unwichtigen Sache kontaktieren. Und ich gebe dir die Zeit, die du brauchst. Du bestimmst das Tempo. Das einzige, was mich wirklich fertig machen würde ist, wenn du mich wirklich endgültig aus deinem Leben ausschließen würdest und uns keine Chance geben würdest".

Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Ich kann mit Worten nicht annähernd das ausdrücken, was ich fühle.

Mit tränenerstickter Stimme bringe ich ein Danke heraus, bevor ich wieder in Paddy's Arme gezogen werde.

"Komm, du musst wieder rüber ins Büro, ich bringe dich noch".

Und das tut er bis an meinen Schreibtisch. Dann gibt es eine letzte Umarmung und einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Wenn ich könnte, würde ich jetzt dahinschmelzen.

"Don't you know, you're a beautiful soul" verabschiedet er sich endgültig von mir.

Völlig neben der Spur versuche ich mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren. Doch es will mir einfach nicht gelingen. Selten habe ich mir den Feierabend so sehr herbeigesehnt wie heute.

Als es dann endlich so weit ist, verlasse ich fast fluchtartig das Bürogebäude. Einen Plan, was ich heute noch mache, habe ich nicht. Soll ich mich bei Paddy melden? Diesen Gedanken verwefe ich sofort wieder. Nach seinen Worten heute Mittag muss ich für mich erstmal meinen Frieden mit den Geschehnissen am Mittwoch schließen, damit ich diesen Tag endgültig abschließen kann. Und dann muss ich mir erst einmal klar darüber werden, was ich will und welche Rolle Paddy dabei spielen wird.

Ohne den Weg bewusst angesteuert zu haben, sitze ich eine kurze Zeit später in der hintersten Reihe in einer Kirche. Obwohl ich nicht sehr gläubig bin, zieht es mich immer in eine Kirche, wenn ich grundlegende Entscheidungen treffen muss oder wenn ich mir bewusst machen muss, was ich bislang geschafft habe und Kraft für den weiteren Weg brauche.

Diese Kraft und dieses Bewusstsein bekomme ich nur in einer Kirche. In der absoluten Stille. Nur meine Gedanken und das Übermächtige, was über unser aller Leben wacht.

Hier vergesse ich auch absolut die Zeit. Ich lasse meine Gedanken freien Lauf. Befreie mich von Sorgen und Ängsten und öffne mich für neue Wege, die sich vor mir auftun. Ich vertraue darauf, dass ich geleitet werde und alles seinen Sinn haben wird. In diesem Zwiegespräch wird mir die Richtung meines Weges bewusst und ich kann voller Hoffnung und Vertrauen diesen Weg beginnen.

Mit einem Gefühl von Seelenfrieden und neuer Hoffnung verlasse ich die Kirche und mache mich auf den Weg nach Hause.

Dort angekommen, gönne ich mir noch ein klein wenig Wellness in Form eines heißen Bades mit Entspannungsmusik. Diesesmal wähle ich Paddy's Album 'Ruah'. Für mich persönlich sein bestes Album.

Während ich mein Bad genieße, denke ich nochmal über mein Leben nach. Früher hatte ich eine genaue Vorstellung vom Leben. Mit 30 wollte ich glücklich verheiratet sein, ein eigenes gemütliches Haus haben und mindestens ein Kind oder gerade schwanger sein. Dazu wollte ich beruflich angekommen sein und finanziell abgesichert sein.

Tja und in zwei Wochen kommt die böse 30. Was soll ich sagen, nichts von dem habe ich erreicht. Nicht glücklich verheiratet, kein Eigentum, keine Kinder. Stattdessen Gefühlschaos hoch zehn, eine Mietwohnung und keinen Plan, was ich an diesem Tag anstellen werde. Da es ein Samstag ist, werde ich mich den ganzen Tag in meiner Wohnung verkriechen und Netflix suchten. Vielleicht gönne ich mir den ein oder anderen Drink.

Zum Glück weiß niemand, dass ich bald Geburtstag habe und dann auch noch 30 werde...

Here to stayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt